Widerstandsforschung: Das Vollkornbrot
freiheitlich-rechtsstaatlicher Grundentwicklung
Es ist eine pädagogische Notwendigkeit und Pflicht zu wissen, daß es in menschen- und völkerrechtsverachtenden Systemen in fast allen Lebensbereichen Verwerfungen, Resistenzen und passiven bis aktiven Widerstand gegeben hat. Immer wieder gab es Menschen, die in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen Widerstand leisteten und dafür drakonische Strafen einschließlich der Todesstrafe mehr oder weniger bewußt in Kauf nahmen. Die "Intelligenz-Aktion" in bzw. nach dem Krieg gegen Polen Ende 1939/40 hat zur Erschießung von rund 60.000 Ärzten, Anwälten, Lehrern, ehemaligen Offizieren und einflußreichen Kaufleuten geführt. Trotz dieser konkreten Aktionen und der universitären Totalgenozidplanung für Polen war Widerstand möglich und sogar zuweilen erfolgreich:
Foto des Vilim Francic (1898-1978) und Kurzbiographie in Polnisch hier
Link zur Darstellung des hochgefährlichen Besuchs der
SS-Zentrale im Juli 1940 durch V. Francic
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Hinweis auf fünf bürgerliche
Hochschullehrer und Wissenschaftler der Berliner Universität, welche
ermordet wurden, in: Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Mitte und
Tiergarten. Band 8 der Schriftenreihe Widerstand in Berlin, Berlin 1994.
(wird kostenfrei von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand abgegeben)
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Die "Sonderaktion Krakau" 1939 -
1941 Vorabveröffentlichung von Frauke Kerstens, Historikerin,
Veröffentlichung mit Genehmigung der Gedenkstätte und Museum
Sachsenhausen, bei der Frau Kerstens wissenschaftliche Mitarbeiterin war; alle
Rechte bei der Autorin. Berlin 2001. (Vorbemerkung: Das letzte Drittel des Artikels stellt sehr anschaulich und
lebendig die zahlreichen Eingabeaktionen dar, die schliesslich zur
vollständigen Freilassung der bis dato noch lebenden Krakauer
Wissenschaftler führten.) Am 6. November 2000 jährte sich zum 61. Mal der Jahrestag
des Beginns der sog. "Sonderaktion Krakau", einer beispiellosen Aktion
in der Geschichte des Nationalsozialismus: 183 Professoren, Dozenten und
Hochschulangehörige der Jagiellonen-Universität, der Berg- und
Hüttenakademie und der Handelsakademie Krakau waren an diesem Tag in dem
Hörsaal 66 der Jagiellonen-Universität von einem Sonderkommando der
deutschen Sicherheitspolizei unter dem Kommando des SS-Sturmbannführers
Bruno Müller festgenommen worden. Nach Aufenthalten in Gefängnissen in
Krakau und Breslau, überstellte die Gestapo am 28. November 1939 169
Wissenschaftler in das KZ Sachsenhausen. In diesem Lager starben im Verlauf
weniger Wochen 12 Professoren. Bereits am 8. Februar 1940 wurde der
größte Teil der Professoren, die älter als 40 Jahre waren,
aufgrund nationaler und internationaler Proteste freigelassen. Eine kleine
Gruppe der Hochschullehrer verblieb im KZ Sachsenhausen und erhielt im Laufe der
Zeit ihre Freiheit zurück. Die jüngeren Wissenschaftler
überstellte man am 4. März 1940 in das KZ Dachau, wo sie dank
nationaler und internationaler Interventionen bis Oktober 1941 nach Krakau
zurückkehren konnten. Was war der Grund für das Vorgehen gegen die
Hochschulangehörigen, das unter dem Namen "Sonderaktion Krakau"
in die Geschichte einging und in der deutschen Geschichtsschreibung kaum
Erwähnung findet? Wer gab den Befehl zur Verhaftung? Gab es überhaupt
einen direkten Befehl? Wer trägt die Verantwortung für die Aktion?
Warum beugte sich das Nationalsozialistische Regime den Interventionen und
entließ die Wissenschaftler in die Freiheit? Um diese komplexen Fragen zu beantworten, muß
zunächst in groben Zügen auf die nationalsozialistische Außen-
bzw. Polenpolitik eingegangen werden, bevor auf die näheren Umstände,
die zur Verhaftung der Hochschulangehörigen führten, eingegangen wird.
Es folgen die Darstellungen der Aufenthalte in den Konzentrationslagern
Sachsenhausen und Dachau, teilweise gestützt auf die zahllosen
Erinnerungsberichte der Verhafteten, und die Darlegung der vielfältigen
Interventionen, die zur Freilassung der Häftlinge führten.
Abschließend soll ein Resümee der gesamten "Sonderaktion
Krakau" gezogen werden. Kurz nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten am
30. Januar 1933 hielt Adolf Hitler vor den Befehlshabern des Heeres und der
Marine eine wichtige programmatische Rede. Dabei sprach er sowohl von den
wirtschaftspolitischen als auch von den innen- und außenpolitischen
Zielen, die er bereits 1924 in seinem programmatischen Werk "Mein
Kampf" formuliert hatte. Der Kampf gegen die Versailler
Friedensverträge, bereits eine Zielsetzung der Außenpolitik der
Weimarer Republik, war für Hitler von ebenso großer Bedeutung wie
seine "Lebensraumpolitik". Noch am 13. März 1933 sprach er davon,
daß "eine Verständigung mit Polen weder möglich noch
erwünscht sei. Ein gewisses Maß deutsch-polnischer Spannung
müssen wir erhalten, um die übrige Welt für unsere
Revisionsforderungen zu interessieren und um Polen politisch und wirtschaftlich
niederzuhalten". Trotzdem wies Hitler offiziell zunächst immer
wieder auf die deutsche Absicht, den Frieden zu wahren, hin und setzte die
Außenpolitik der früheren Regierungen der Weimarer Republik fort. Am
26. Januar 1934 schloss Deutschland mit Polen einen Nichtangriffs- und
Freundschaftsvertrag ab. Es folgten ein Abkommen über die moralische
Abrüstung im Februar und ein Protokoll über die Normalisierung der
Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Polen im März 1934. Das
Deutsche Reich konnte damit einen ersten Schritt aus der durch den Austritt aus
dem Völkerbund hervorgerufenen Isolation treten. Ohne die bestehenden
Grenzen anzuerkennen, gelang es, das Verhältnis zu Polen in den folgenden
Jahren erheblich zu verbessern, so daß sich Polen gegenüber den
außenpolitischen Vorstößen des Deutschen Reiches im Jahre 1938
neutral verhielt. Ihren Gipfel erreichten die deutsch-polnischen Beziehungen im
Zuge der Zerschlagung der Tschechoslowakei. Bereits im Vorfeld hatte der
polnische Außenminister Józef Beck darauf hingewiesen, daß
auch "Polen dieses Land lediglich als eine europäische
Unmöglichkeit betrachte". Im Gegensatz zu seinem früheren
Verhalten gab Polen jetzt seine Neutralität auf und kündigte für
sich Gebietsansprüche an, die von deutscher Seite anfänglich
wohlwollend aufgenommen worden sind. Nach dem Abschluß des Münchener
Abkommens und der Besetzung des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich besetzte
am 2. Oktober 1938 Polen das Teschener Land. In der Folgezeit wurden, initiiert
durch Polen, weitere Streitigkeiten bezüglich des Grenzverlaufes beigelegt,
wobei Oderberg an Polen ging. Nach der Beilegung der Sudetenkrise richtete sich das deutsche
Augenmerk immer mehr auf Polen. Für einen militärischen Angriff gab es
aber noch keine Pläne und der Versuch, Polen an Deutschland zu binden,
stand noch im Vordergrund. Die Danzig-Frage mit dem polnischen Korridor -
Gebiete, die nach dem Versailler Vertrag 1919 an Polen abgetreten werden
mußten, diesem einen Zugang zur Ostsee gewährten und Ostpreußen
vom Deutschen Reich trennten - sollten gelöst werden. Auch der polnische
Außenminister war sehr daran gelegen, eine endgültige und für
Polen akzeptable Lösung in der Danzig-Frage zu finden. Der Vorschlag des
deutschen Außenministers Joachim von Ribbentrop mit der Rückkehr
Danzigs an Deutschland wurde entschieden von Polen abgelehnt. Noch im November
1938 ordnete Hitler an, Pläne für eine schnelle Besetzung Danzigs, die
von Ostpreußen ausgehen sollte, auszuarbeiten. Diese sollte nach
Möglichkeit ohne Krieg und mit vorteilhaften politischen Konditionen
realisiert werden. Trotz des Baus eines Ostwalls waren die Pläne noch
defensiv ausgerichtet und Hitler sprach sich immer noch für eine friedliche
"Annäherung an die Polen aus, um sie in die deutsche
Einflußsphäre hineinzuziehen". Anfang 1939 versuchte Hitler,
den polnischen Außenminister Beck noch einmal von der Globallösung zu
überzeugen, ein Plan des deutschen Außenministers Ribbentrop. Danach
sollte "Danzig politisch zur deutschen Gemeinschaft gelangen,
wirtschaftlich aber bei Polen bleiben. Danzig ist deutsch, wird stets deutsch
bleiben und früher oder später zu Deutschland kommen. Er könne
jedoch versichern, daß in Danzig kein fait accompli geschaffen würde.
Bezüglich des Korridors [...] wies er darauf hin, daß es
selbstverständlich vollständig unsinnig sei, Polen den Zugang zum
Meere fortnehmen zu wollen". Dieser Vorschlag wurde ebenso wie der Beitritt
zum Anti-Komintern-Pakt von Beck strikt abgelehnt, obwohl er nicht abgeneigt
war, für Polen territoriale Zugewinne im Osten zu erlangen. Eine Reise
Ribbentrops nach Warschau war ebenfalls erfolglos, so daß sich die
deutsche Politik änderte. Die folgenden Monate mit der Besetzung der
Rest-Tschechei, der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, der
Oberhoheit des Deutschen Reiches über die rumänische Wirtschaft und
der Besetzung des Memellandes führten dazu, daß die
deutsch-polnischen Beziehungen sich noch mehr verschlechterten. Die am 31.
März beschlossene britisch-französische Garantieerklärung
für Polen tat ihr übriges. Jetzt war eingetreten, was man nach den
eigentlichen Plänen vermeiden wollte. Hitler hatte immer noch die Hoffnung
gehegt, in gleicher Weise gegen Polen vorzugehen wie er mit der Tschechoslowakei
verfahren war. Die von dem Propagandaminister Joseph Goebbels
niedergeschriebenen Bemerkungen machen deutlich, was die meisten
Nationalsozialisten über diese Garantieerklärung gedacht haben:
"London und Warschau haben einen gegenseitigen Beistandspakt
abgeschlossen. Beck ist also den Lords doch in die Falle gegangen. Polen wird
das vielleicht einmal sehr teuer bezahlen müssen. So hat es bei der
Tschechei auch angefangen. Und das Ende war dann die Aufteilung dieses
Staates". [...] Polen macht noch große Schwierigkeiten. Die
Polacken sind und bleiben natürlich unsere Feinde, wenngleich sie uns aus
Eigennutz in der Vergangenheit manchen Dienst getan haben". Am 1. April sprach Hitler von der britischen
Einkreisungspolitik und drohte Polen und England. Die einzelnen Abteilungen der
Wehrmacht bereiteten bereits Pläne für einen Angriff gegen Polen aus,
die zum 1. Mai vorzulegen waren und spätestens ab dem 1. September 1939 in
die Tat umgesetzt werden sollten. Bereits am 3. April sprach Hitler vor
Angehörigen der Wehrmacht, bei der er zum ersten Mal den militärischen
Decknamen "Fall Weiß" für die Operation gegen Polen
gebrauchte: "Die gegenwärtige Haltung Polens erfordert es, [...]
die militärischen Vorbereitungen zu treffen, um nötigenfalls jede
Bedrohung von dieser Seite für alle Zukunft auszuschließen. Das
deutsche Verhältnis zu Polen bleibt weiterhin von dem Grundsatz bestimmt,
Störungen zu vermeiden. Sollte Polen seine bisher auf dem gleichen
Grundsatz beruhende Politik gegenüber Deutschland umstellen und eine das
Reich bedrohende Haltung einnehmen, so kann ungeachtet des geltenden Vertrages
eine endgültige Abrechnung erforderlich werden. Das Ziel ist dann, die
politische Wehrkraft zu zerschlagen und eine den Bedürfnissen der
Landesverteidigung entsprechende Lage, im Osten zu schaffen. Der Freistaat
Danzig wird spätestens mit Beginn des Konfliktes als deutsches Reichsgebiet
erklärt. Die politische Führung sieht es als ihre Aufgabe an, Polen in
diesem Fall womöglich zu isolieren, d.h. den Krieg gegen Polen zu
beschränken. [...] Die großen Ziele im Aufbau der deutschen Wehrmacht
bleiben weiterhin durch die Gegnerschaft der westlichen Demokratien bestimmt.
Der Fall "Weiß" bildet lediglich eine vorsorgliche
Ergänzung der Vorbereitungen". Nach der Kündigung des
deutsch-britischen Flottenabkommens und des Nichtangriffsvertrages zwischen
Deutschland und Polen am 24. April 1939 war Hitlers Zielsetzung immer mehr auf
die schnelle Vernichtung des polnisches Staates gerichtet. Ebenso wie sein
Generalstab rechnete er nicht mit dem Eingreifen der Westmächte. Hitlers
weitere Aussagen sind als logische Konsequenz seiner Zielsetzung zu sehen.
"Die Polen sind nicht bereit, deutschen Forderungen ohne Kampf
nachzugeben. Dann sollten sie eben eine kämpferische Auseinandersetzung
erleben. Und sie würden zerschmettert werden. Nur Zeitpunkt und
Umstände waren noch zu bestimmen". Ab Mai 1939 traf man im Sicherheitshauptamt der SS - am
27.09.1939 mit in das Reichssicherheitshauptamt integriert - Vorbereitungen
für den Angriff auf Polen. Bereits ab 1937 trug man hier Informationen
für einen möglichen Krieg gegen Polen zusammen. Ein
Sonderfahndungsbuch Polen, das etwa 61.000 Namen polnischer Intelligenz
umfasste, die nach dem Einmarsch der Wehrmacht verhaftet und getötet werden
sollten, wurde eingerichtet. Unter der Leitung von Alfred Franz Six baute das
Amt II die Zentralstelle II P (Polen) auf, die die Vorbereitungen zum Angriff
auf Polen aufeinander abstimmen sollte: Die Zentralstelle hatte die Aufgabe
"sämtliche das Deutschtum in Polen berührende Vorgänge
weltanschaulich-politischer, kultureller, propagandistischer und
wirtschaftlicher Art" zusammenzufassen. Dieses Sonderfahndungsbuch sollte
möglichst schnell aufgebaut und den Einsatzgruppen, die wahrscheinlich auch
für Polen aufgestellt werden sollten, zur späteren Verfügung
übergeben werden. Gleichzeitig erstellte man auch eine Sonderfahndungsliste
der dringend gesuchten, zu verhaftenden und zu tötenden Personen und eine
Einsatzkartei mit einer Personalkartei von im Deutschen Reich lebenden Polen.
Auf dieser Liste waren Personen vermerkt, die in die Konzentrationslager
eingewiesen werden sollten. Am 23. Mai 1939 hatte Hitler mit den Befehlshabern und
führenden Offizieren der drei Wehrmachtsteile eine Besprechung, bei der er
u.a. über das weitere Vorgehen gegen Polen sprach: "[...] Danzig
ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um die
Erweiterung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung,
sowie der Lösung des Baltikum-Problems. [...] Zwingt uns das Schicksal zur
Auseinandersetzung mit dem Westen, ist es gut einen größeren Ostraum
zu besitzen. [...] Das Problem "Polen" ist von der Auseinandersetzung
mit dem Westen nicht zu trennen. [...] Es entfällt also die Frage Polen zu
schonen und bleibt der Entschluß bei erster passender Gelegenheit Polen
anzugreifen. An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird
zum Kampf kommen [...]". Die Pläne sahen vor, daß nach den
militärischen Erfolgen der Wehrmacht Einsatzgruppen nachrücken
sollten. Bei dem ersten Gespräch über die Aufstellung dieser
Einsatzgruppen für Polen, das am 5. Juli stattfand, unterrichtete der Chef
der Sicherheit Werner Best, der für die Gesamtplanung zuständig war,
über den Verlauf der Vorbereitungen. Die Einsatzgruppen sollten sich aus
Angehörigen der Sicherheitspolizei, der SS, der Kripo, der Geheimen
Staatspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) zusammensetzen. Gemäß
Bests Vorschlag wurden zunächst vier, später noch zwei
zusätzliche, Einsatzgruppen aus jeweils 500 Personen gebildet. Zusammen mit
Heinrich Müller und Josef Meisinger, in deren Zuständigkeitsbereich
die Polizei gehörte und Six, verantwortlich für den SD, klärte
Best die Personal- und organisatorischen Fragen der Einsatzgruppen. Ab dem 14.
Juli führte Best Einzelgespräche mit den künftigen Kommandanten
der Einsatzgruppen und unterwies sie über das weitere Vorgehen. Die
allgemeinen Richtlinien für die Einsatzgruppen, die Anfang August erlassen
wurden, wichen kaum von den früheren ab: Danach zählten zu ihren
Aufgaben, "die Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen
Elemente im Feindesland rückwärts der kämpfenden Truppen".
Sachlich richtiger übten die Einsatzgruppen die Arbeit der
Staatspolizeistellen außerhalb des Reiches aus. Sie waren den Armeen
unterstellt und unterstanden alleinig dem Leiter der Einsatzgruppen, die ihre
Anweisungen entweder vom Höheren SS- und Polizeiführer, dem
Armeeoberkommando oder später auch vom Reichssicherheitshauptamt erhielten.
Vom Einfluß der Gestapo waren sie dadurch eigentlich vollkommen
gelöst. Mitte August trafen sich Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Best
und Meisinger mit den Einsatzgruppenleitern zu einer letzten Beratung:
"Uns wurde damals mitgeteilt, daß unsere Aufgabe in erster Linie
die Absicherung des Gebietes im Rücken der kämpfenden Truppe sein
sollte, daß wir ferner Widerstandsbewegungen zu verhindern und zu
bekämpfen hätten (und) daß im Rahmen der Bekämpfung von
Widerstandsbewegungen und -gruppen alles erlaubt sei, also sowohl
Erschießungen als auch Verhaftungen. [...] Es wurde aber darauf
hingewiesen und lag ja an sich auch auf der Hand, daß der Motor der
Widerstandsbewegungen in der polnischen Intelligenz zu suchen war".
Unter dem Decknamen "Unternehmen Tannenberg" bildete sich in Berlin
ein Sonderreferat, daß von Best geführt wurde und als
Verbindungsstelle der Einsatzgruppen Kontakt zu den mobilen Einheiten in Polen
halten sollte. Die organisatorischen Fragen fielen in Bests Aufgabenbereich,
während die politische Führung direkt von Himmler und Heydrich
ausgeübt wurde. Sie unterstanden unmittelbar dem Befehl Hitlers. Am 12. August 1939 bestimmte Hitler, daß am 26. des
gleichen Monats der Angriff gegen Polen beginnen sollte, die Mobilmachung sollte
am 25. einsetzen. Der Beginn des Angriffs wurde wegen des Militärpaktes
zwischen Polen und Großbritannien, der am 25. August unterzeichnet wurde,
auf den 1. September verschoben. Hitler war daran gelegen, die Einmischung
Englands zu verhindern, Vermittlungsversuche scheiterten aber ebenso wie
deutsch-britische Gespräche, in denen Hitler mit seinen Erpressungs- und
Einschüchterungsversuchen zu hoch pokerte. Der Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes
mit dem geheimen Zusatzprotokoll am 22. August legte die beiderseitigen
Interessen fest und besiegelte das Schicksal Polens. Damit wurde von deutscher
Seite der bedeutendste und nach außen sichtbare Schritt auf dem Wege der
Vorbereitung des Angriffs gegen Polen unternommen. Hitler sah sich gezwungen
"seine Kolonisations- und Herrenrassenpolitik im Osten zunächst auf
den polnischen Raum zu beschränken". Am 31. August erhielt das Heer den Befehl, den Angriff auf
Polen für den 1. September vorzubereiten: "Nachdem alle politischen
Möglichkeiten erschöpft sind, um auf friedlichem Wege eine für
Deutschland unerträgliche Lage an seiner Ostgrenze zu beseitigen, habe ich
mich zur gewaltsamen Lösung entschlossen. Der Angriff gegen Polen ist nach
den für Fall "Weiß" getroffenen Vorbereitungen zu
führen mit Abänderungen, die sich beim Heer durch den inzwischen fast
vollendeten Aufmarsch ergeben. Aufgabenverteilung und Operationsziel bleiben
unverändert. Angriffstag 1. September 1939. Angriffszeit
4.45". Der sog. Überfall auf den deutschen Rundfunksender in
Gleiwitz und weitere vorgetäuschte Überfalle in Hochlinden und
Pitschen lieferten den agitatorischen Rechtfertigungsgrund für den Angriff.
"Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges
geben, gleichgültig ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach
gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Bei Beginn und Führung
des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg",
hatte Hitler noch in einer Ansprache am 22. August dargelegt. Der deutsche
Überfall auf Polen begann am 1. September 1939. Nur wenige Wochen konnte
sich die polnische Armee gegen die deutsche Übermacht wehren. Im Oktober
war Polen vollständig geschlagen. Bereits am 3. September 1939 legte Heydrich in seiner Funktion
als Chef der Sicherheitspolizei den Geheimerlaß über die
"Grundsätze der inneren Staatssicherheit während des
Krieges" fest. Danach konnten Gegner, Widerständler oder Saboteure
ohne Gerichtsurteil hingerichtet werden. Ursächlich könnte der
Erlaß dieser Grundsätze mit dem sog. "Bromberger
Blutsonntag" des gleichen Tages zusammenhängen. Dabei wurden in
Bromberg und weiteren polnischen Städten etwa 5450 der dort lebenden
Volksdeutschen von polnischen Armeeangehörigen und Zivilisten umgebracht,
wobei der Anlaß für diese Gewalttaten bis heute noch nicht
hinreichend geklärt ist. "Das Vorgehen der Einsatzgruppen in Polen
erhielt durch den "Bromberger Blutsonntag" seine dramatische
Verschärfung und Radikalisierung" und diente wahrscheinlich als
Katalysator der weiteren Entwicklung. Die Grausamkeiten und Übergriffe
drängten frühere Vorgehensweisen vollkommen in den Hintergrund. Auf
Initiative der SS-Führung gab Hitler wenige Tage später gegenüber
dem Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, seine Pläne
über die sog. "völkische Flurbereinigung" in den besetzten
Gebieten bekannt, nach der ein "umfassendes, völkisch bzw, rassisch
motiviertes Programm der Vertreibung der Bevölkerung und der Germanisierung
des Landes" beginnen sollte. Was für Heydrich die "völkische
Flurbereinigung" beinhaltete, sagte er bei einer Besprechung mit Best und
Mitgliedern der Amtsleitung der Gestapa: "Die führende
Bevölkerungsschicht in Polen soll so gut wie möglich unschädlich
gemacht werden. Die restliche verbleibende niedrige Bevölkerung wird keine
besonderen Schulen erhalten, sondern in irgendeiner Form heruntergedrückt
werden. Das Hinausschieben polnischer Juden aus Deutschland soll
durchgeführt werden, auch der Juden, die aus Polen zugewandert sind und
inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. [...] Es wird
entschieden, daß die Führerschicht, die auf keinen Fall in Polen
bleiben darf, in deutsche KZ’s kommt, während für die Unteren
provisorische KZ’s hinter den Einsatzgruppen an der Grenze angelegt
werden". Auch der Abwehrchef Admiral Wilhelm Canaris wurde über
diese Besprechung informiert. Gegenüber dem Chef des OKW (Oberkommando der
Wehrmacht), Wilhelm Keitel sprach er davon, "daß umfangreiche
Füsilierungen in Polen geplant seien und daß insbesondere der Adel
und die Geistlichkeit ausgerottet werden sollten". Keitel wußte
bereits davon und unterrichtete Canaris darüber, daß "diese
Dinge bereits vom Führer entschieden seien und der Führer dem
Oberbefehlshaber habe wissen lassen, daß, wenn die Wehrmacht damit nicht
einverstanden sei, sie es sich auch gefallen lassen müsse, wenn neben ihr
SS, Sicherheitspolizei und der gleichen Organisationen in Erscheinung
träten. Es würde daher neben jedem Militärbefehlshaber auch ein
entsprechender ziviler Funktionär eingesetzt werden". "Letzteren
würde eben die "volkstümliche" Ausrottung
zufallen". Heydrich erließ am 8. September den Befehl, alle
männlichen Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit ab einem Alter von
16 Jahren zu verhaften und in Konzentrationslager zu überstellen. Damit
verschärfte sich die ohnehin schwierige Situation für die
jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich. Die Führungsspitze der
Nationalsozialisten legte im September seine neuen Leitlinien bezüglich der
künftigen Polenpolitik fest. Sie zielte auf die Zerstörung Polens als
eigenständiger Staat. Daneben sollten die westpolnischen Territorien
Deutschland angeschlossen werden. Nach der Vertreibung aller Juden und unter
Umständen aller Polen aus Westpolen nach Osten sollten diese in einem unter
deutscher Herrschaft stehenden Raum in Zentralpolen wieder angesiedelt werden.
Als Instrument dieser Politik dienten zunächst die Einsatzgruppen. Unter
der Leitung von Heydrich gründete Himmler am 27. September 1939 das
Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und vereinte die zentralen Ämter der
Sicherheitspolizei, das Sicherheitshauptamt des Reichsführers SS, das
Geheime Staatspolizeiamt und das Reichskriminalpolizeiamt. Damit schuf Himmler
ein zentrales Amt, das "in einer perversen Mischung von bürokratischer
Handlungsweise und hemmungsloser Willkür die gesamte Verfolgungs- und
Vernichtungspolitik des Dritten Reiches steuerte" und an fast allen
nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Terroraktionen beteiligt war.
Zwischen dem RSHA und dem OKW kam es infolge der systematischen Liquidierung der
polnischen Führungsschicht zu Problemen. Erst Rückfragen des
Armeekommandos ergaben, daß der Befehl zu diesem Vorgehen direkt von
Hitler an die Einsatzgruppen stamme. Waren diese ursprünglich den
jeweiligen Armeeteilen in Polen unterstellt, so wurde die Exekutivgewalt der
Wehrmacht jetzt unterwandert. Die Wehrmacht forderte daraufhin über alle
Befehle, die an die Einsatzgruppen gingen, informiert zu werden. Durch eine
Unterredung zwischen Heydrich und dem Generalquartiermeister General Wagner
wurde auch das Heer über Hitlers Pläne bezüglich der
"völkischen Flurbereinigung" unterrichtet. "Die
Einsatzgruppen hätten im Auftrag und nach Weisung des Führers gewisse
volkspolitische Aufgaben im besetzten Gebiet durchzuführen. Die
Ausführung dieser Aufgaben im einzelnen soll den Kommandeuren der
Polizeieinsatzgruppen überlassen bleiben und liegt außerhalb der
Verantwortlichkeit der Oberbefehlshaber". Damit wurden die Einsatzgruppen
einer möglichen "Kontrolle" entzogen. Sie wurden faktisch
unabhängig und von oben eröffnete man ihnen den Handlungsrahmen
für ihre exzessiven Gewalttaten, für die sie besonders beim
Rußlandfeldzug bekannt wurden. Hitlers Erlaß zur "Errichtung
einer Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für hauptamtliche
Angehörige der Reichsführung SS, die Angehörigen der
SS-Verfügungstruppen, der SS- Totenkopfverbände und die
Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderen Einsatz"
schützte auch die Einsatzgruppen vor einer "ordentlichen"
Gerichtsbarkeit. Dadurch wurde auch die SS immer eigenständiger und erhielt
eine Vormachtstellung gegenüber der Partei. Mit der Auflösung des "Referats Tannenberg" am
6. Oktober und der Errichtung des "Polen-Referats" wurden die
Einsatzgruppen und -kommandos als ortsgebundene Dienststellen errichtet.
Himmlers Ernennung zum "Reichskommissar für die Festigung des
deutschen Volkstums" am 7. Oktober durch Hitler, vergrößerte
dessen Macht im Osten fast uneingeschränkt. Dadurch lag in seinem
Zuständigkeitsbereich die ethnische Neuordnung Europas. Auf diese
Neuordnung ging Hitler kurz in einer Rede vor dem Reichstag am 6. Oktober ein.
In seiner üblichen Verfahrensweise informierte er nur einen kleinen Kreis
der Führungsspitze über seine tatsächlichen Absichten:
"Die Verwaltung hat nicht die Aufgabe, aus Polen eine Musterprovinz oder
einen Musterstaat nach deutscher Ordnung zu schaffen, oder das Land
wirtschaftlich oder finanziell zu sanieren. Es muß verhindert werden,
daß eine polnische Intelligenz sich als Führerschicht aufmacht. In
dem Lande soll ein niederer Lebensstandard bleiben. Wir wollen dort nur
Arbeitskräfte schöpfen. [...] Eine nationale Zellenbildung darf [...]
nicht zu gelassen werden. [...] Die Durchführung bedingt einen harten
Volkstumskampf, der keine gesetzlichen Bindungen gestattet. Die Methoden werden
mit unseren sonstigen Prinzipien unvereinbar sein. [...] Alle Ansätze einer
Konsolidierung der Verhältnisse müssen beseitigt werden. [...] Die
Führung des Gebietes muß es uns ermöglichen, auch das
Reichsgebiet von Juden und Polen zu reinigen. [...] Klugheit und Härte in
diesem Volkstumskampf müssen es uns ersparen, dieses Landes wegen nochmals
auf das Schlachtfeld zu müssen".Diese Aussage dokumentiert die
rücksichtslosen und brutalen Pläne Hitlers, die er bezüglich
Polen hatte. Nach seinem Dafürhalten waren die Polen "mehr Tiere als
Menschen, gänzlich stumpf und amorph. Daneben [ gab es ] eine
Schlachzizenschicht, die wenigstens das Produkt der niederen Klassen vermischt
mit einer arischen Herrenschicht sei. Der Schmutz der Polen ist
unvorstellbar". Die zunehmenden Differenzen zwischen SS und Wehrmacht und
Hitlers Auffassung, daß die "Militärstellen zu weich und zu
nachgiebig" seien, verstärkte die Bemühungen zur Errichtung einer
zivilen Verwaltung in Polen. Bereits am 8. Oktober hatte man die westpolnischen
Gebiete als Reichsgaue "Danzig-Westpreußen" unter dem Gauleiter
und Reichsstatthalter Albert Forster und "Posen" unter dem Gauleiter
und Reichsstatthalter Arthur Greiser in das Deutsche Reich eingegliedert. Die
Regierungsbezirke Kattowitz und Zichenau wurden an Schlesien bzw.
Ostpreußen angeschlossen. Am 12. Oktober errichtete Hitler durch einen
Erlaß den Rest Polens zum "Generalgouvernement für die besetzten
polnischen Gebiete" und setzte Hans Frank zum Generalgouverneur und Arthur
Seyß-Inquart zu dessen Stellvertreter ein. Am 25. Oktober 1939 löste
die Zivilverwaltung die bisherige Militärverwaltung in Polen ab. Bereits am 14. Oktober hatte Heydrich in einer Besprechung im
RSHA, bei der auch die Leiter der Einsatzgruppen anwesend waren, die
"Liquidierung des führenden Polentums" befohlen. Um die Aktion
bis zum 1. November abschließen zu können, sollten die Leiter Listen
mit den politischen Führern erstellen, damit gegen sie gezielt vorgegangen
werden konnte. Zu den politischen Führern Polens zählten die
Nationalsozialisten auch die polnische Intelligenz. Neben dem Adel und der
Geistlichkeit sah man in der polnischen Intelligenz ein Widerstandszentrum, das
sich gegen die neue Ordnung auflehnen würde und deshalb mit allen Mitteln
bekämpft werden müsse. Aus diesem Grunde sollte "ihre
Ausschaltung garantieren, daß Polen so zerschlagen würde, daß
es in den nächsten Jahrzehnten als politischer Faktor nicht mehr in
Rechnung gestellt zu werden brauche". Da man Polen nur als
Arbeitskräftereservoir benötigte, konnte auch die schulische Bildung
niedrig gehalten werden. So hätte man sichergestellt, daß sich
niemals wieder eine polnische Führungsschicht entwickeln könnte.
Für die nichtdeutsche Bevölkerung sah man eine höhere
Schulbildung nicht für notwendig an. Vier Klassen in der Volksschule
würden ausreichen, damit bis 500 gerechnet und der Name richtig geschrieben
werden könne. Die nationalsozialistische Schulpolitik in den besetzten
Gebieten Polens sollte die schon früher geäußerten Ziele
unterstützen, damit die Territorien wirtschaftlich genutzt, ausgenutzt,
ausgebeutet und die Ressourcen der Kriegswirtschaft dienstbar gemacht werden
konnten. Daneben sollten sowohl die Gebiete als auch die Bevölkerung
eingedeutscht oder vertrieben und Reichsdeutsche und volksdeutsche Umsiedler
angesiedelt werden. Die Grundlagen für das Schulsystem im Generalgouvernement
wurden in einer Verordnung von Frank am 31. Oktober 1939 festgelegt.
Gemäß dieser konnten die polnischen Volksschulen und Fachschulen
wieder eröffnet werden. Wie mit den höheren Lehranstalten und
Universitäten weiter verfahren werden sollte, sollte eine besondere
Vorschrift klären. Bereits am 2. Oktober hatte der Chef der Zivilverwaltung
des Militärbezirks Krakau Dr. Dill, eine Mitteilung veröffentlicht,
nach der der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden konnte. Davon setzte er auch
den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard
Rust in Kenntnis. Weil der Schulbetrieb genehmigt war und auch der anderen
Bevölkerung von von Brauchitsch in seiner Funktion als Oberbefehlshaber des
Heeres am 11. September die Wiederaufnahme der normalen Arbeit befohlen wurde,
ging die Universitätsleitung der Jagiellonen-Universität in Krakau
davon aus, daß neue Semester eröffnen und mit den Vorlesungen
beginnen zu können, obwohl sie keine offizielle Genehmigung hatte. Sie war
nicht darüber informiert worden, daß am 25. Oktober der
Verwaltungschef beim Militärbefehlshaber Krakau die Ferien an den Mittel-
und Hochschulen auf unbestimmte Zeit verlängert und sie bis auf weiteres
geschlossen hatte. Die Vorbereitungen für das neue Studienjahr und die
Pläne für die Eröffnungsfeierlichkeiten, die mit einem
Gottesdienst am 4. November und den Vorlesungen am 6. November beginnen sollten,
wurden fortgesetzt. Die Verantwortung dafür lag in den Händen eines
Komitees, das auch die deutsche Militärverwaltung von dem Vorhaben
unterrichtete. "Das Verhalten der deutschen Behörden, mit denen der
Rektor Kontakt hatte, war von einer Art, daß dies gänzlich zu der
Schlußfolgerung berechtigte, daß die deutschen Behörden unser
Vorhaben, die Universität zu eröffnen, anerkennend billigten". Es
lag aber weder im Interesse der Zivilverwaltung noch des Ministeriums für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, die Universitäten zu
eröffnen. Als das Ministerium von der Aufnahme des
Universitätsbetriebs erfuhr, schrieb Rust am 31. Oktober 1939 an Frank:
"Nach mir zugegangenen Nachrichten beabsichtigen Professoren der
polnischen Universität Krakau die Universität Krakau am 6. November
1939 wieder zu eröffnen. Ich gebe davon Kenntnis mit der Bitte, die
Wiedereröffnung der Universität unter allen Umständen zu
verhindern". Am 3. November stattete der Rektor der
Jagiellonen-Universität, Tadeusz Lehr-Splawinski dem
SS-Sturmbannführer Bruno Müller auf dessen Aufforderung einen Besuch
ab. Müller hielt sich bereits seit September 1939 in Krakau auf. Ihm hatte
man die Leitung des "Einsatzkommandos der in Wien für den Einmarsch in
Polen aufgestellten Einsatzgruppe mit der Marschroute Wien - Mährisch
Ostrau - Krakau (Ankunft in Krakau am 10.9.1939)" anvertraut. Das
Sonderkommando von Müller war der Einsatzgruppe I (Wien), dessen
Einsatzleiter SS-Brigadeführer Bruno Streckenbach und Stellvertreter
Walther Huppenkothen war, unterstellt. Nach seiner Ankunft in Krakau bezog
Müller das Studentenwohnheim der Jagiellonen-Universität in der
Pomorska-Straße. Zu seinen Aufgaben zählte die sog.
"Gegnerbekämpfung", zu der auch die Reorganisation der
Jagiellonen-Universität nach Nationalsozialistischen Gesichtspunkten
gehörte. Zu seiner Unterstützung sollte auch Hans Schneider, der
"Erfahrungen mit der Zerschlagung von Universitätseinrichtungen, die
dem Nationalsozialismus nicht genehm waren", hatte, dem Kommando zugeteilt
werden. Dessen Berufung scheiterte aber aus medizinischen Gründen. Als
Müller den Rektor der Jagiellonen-Universität traf, informierte er
sich über die Universität und bestand darauf, daß am 6. November
eine Vollversammlung, an der alle Professoren und Dozenten teilnehmen sollten,
einberufen werde. Auf dieser Vollversammlung wollte er dann einen Vortrag
über "den deutschen Standpunkt in Wissenschafts- und
Hochschulfragen" halten. Nach anfänglichen Zögern kam die
Professorenschaft überein, geschlossen zu dem Vortrag zu gehen, um sich
nicht etwaigen Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen. Außerdem erwarteten
sie ein klärendes Wort über ihre jetzige Lage. "Der Vortrag
kündigte sich, sowohl was den Inhalt als auch die Form anging, sehr
interessant an, reizte uns aber wenig. Manche entschlossen sich von vornherein,
nicht hinzugehen. Die Senatsmitglieder konnten sich das nicht erlauben, und der
Rektor bat, überzeugte, redete auf alle ein, daß hier keine Ablehnung
demonstriert werden dürfe, sondern wir glatt Kontakt aufnehmen
müssten. Deshalb entschied sich die übergroße Mehrheit, ihn in
der Not nicht allein zu lassen". Als sich dann fast alle Hochschullehrer
und Assistenten um 12.00 Uhr im Hörsaal 66 der Jagiellonen-Universität
zusammengefunden hatten, trat Müller, begleitet von bewaffneten SS-Leuten
an das Rednerpult. Er sprach davon, daß die Universität ohne
Zustimmung der Deutschen den Universitätsbetrieb aufgenommen und damit
einen feindlichen Akt gegen das Deutsche Reich begangen habe. Man sei sich gar
nicht der gegenwärtigen Situation bewusst und welche Konsequenzen das
hätte: "Sie haben die Universität eröffnet und
Vorlesungen begonnen, ohne uns zu fragen. Sie haben die Examenskommissionen
gebildet und die Prüfungen abgehalten, ohne uns zu fragen. Sie haben die
wissenschaftliche Arbeit begonnen, ohne uns zu fragen".
"Für Deutschland ist ein derartiges Verhalten ein feindlicher und
böswilliger Akt; im übrigen ist die Krakauer Universität immer
das Hauptzentrum des wissenschaftlichen Kampfes gegen das Deutschtum gewesen.
Ich gebe Ihnen hiermit bekannt, daß dieses Gebäude umstellt ist, die
Universität ist geschlossen, und diese Anordnung wird mindestens für
die Dauer des Krieges gelten. Und Ihr alle seit verhaftet und werdet in ein
Gefangenenlager verbracht, wo Ihr genug Zeit haben werdet, Euch über Euer
Verhalten Gedanken zu machen". In den Schutzhaft-Karteikarten, die von
jedem Verhafteten angefertigt wurden, wurde als Grund der Schutzhaft
"Aktion gegen Univ. Professoren" auf Anordnung "II D Haft Nr.
96" vermerkt. Das Sonderkommando transportierte die Verhafteten in
bereitgestellten LKWs in das Gefängnis in der Montelupich-Straße.
Unter ihnen befanden sich 138 Mitglieder des Lehrkörpers der
Jagiellonen-Universität und 21 Angehörige der Bergakademie, die sich
gerade in der Universität aufhielten. Des weiteren gehörten zu den
Verhafteten 4 Dozenten der Krakauer Handelsakademie, 4 Lehrer, 3 Studenten, 4
Gymnasialprofessoren, 2 Verwaltungsangestellte der Jagiellonen-Universität,
ein Ministerialbeamter, ein Diplomingenieur, ein Jurist, ein Ordensgeistlicher,
ein Professor für Augenheilkunde, ein Professor für Hydrobiologie und
der frühere Senatspräsident des Appellationsgericht in Kattowitz.
Insgesamt 183 Personen wurden im Zuge der "Sonderaktion Krakau"
festgenommen. Nach ihrer Ankunft in dem Gefängnis wurden die Verhafteten
u.a. in die Kapelle, einem Aufenthaltsraum und einem zerstörten
jüdischen Gebetsraum geführt, wo sie auf den Fußböden
schlafen mußten. Am nächsten Morgen nahm die Gestapo die Personalien
auf und brachte die Verhafteten in das Gefängnis in der
Mazowiecka-Straße. Dort gestattete man ihnen, mit ihren
Familienangehörigen zusammenzutreffen, die den Häftlingen u.a.
Kleidung, Lebensmittel, Bücher und Schreibutensilien brachten. Vor dem
Weitertransport am 9. November 1939 wurden bereits neun Dozenten entlassen,
unter ihnen zwei kranke Professoren, die Professoren Zdzislaw Przybylkiewicz,
Józef Karol Kostrzewski, Fryderyk Zoll, Mitglied der Deutschen Akademie
für Recht, und der Sprachwissenschaftler Jan Zilynski. Die übrigen
Häftlinge eskortierte die SS zum Bahnhof und transportierte sie nach
Breslau. Dort wurden die Verhafteten in zwei unterschiedliche Gefängnisse
gebracht, bevor sie am Abend des 27. November mit einem für sie unbekannten
Ziel erneut in den Zug gesetzt wurden. Die zuvor gehegte Hoffnung auf eine
Rückkehr nach Krakau schwand, als die Bahnhofsschilder sichtbar wurden. Am
frühen Nachmittag des 28. Novembers erreichte der Zug einen Bahnhof in
Berlin und hielt dort zunächst für einen längeren Zeitraum auf
einem Nebengleis, wo weitere Waggons mit Häftlingen angehängt wurden.
Erst am Abend traf man in Oranienburg ein. Bei einsetzenden Schneeregen trieb
die SS die Professoren auf den Weg von dem Bahnhof zum Konzentrationslager
Sachsenhausen. Der nächste Halt war der Appellplatz des Lagers, auf dem sie
erneut den Schikanen der SS ausgesetzt waren. Nach dem die Häftlinge
stundenlang auf dem Appellplatz stehen bleiben mußten, wurden sie in die
Häftlingsschreibstube geführt. Hier durchliefen sie die übliche
Aufnahmeprozedur: Funktionshäftlinge nahmen die Personalien auf und
vergaben die Häftlingsnummern. Die persönlichen Gegenstände wie
Gepäck, Kleidung, Wertsachen und Ausweispapiere mußten abgegeben
werden. Gebetsbücher, Medaillions mit Jesusbildern und Kreuze der
Geistlichen und Gläubigen erregten besonders die Wut des SS-Personals.
Einem "Kleriker wurde das Medaillon vom Hals gerissen,
anschließend wurde ihm befohlen, es mehrmals zu küssen, und bei jedem
Kuß erhielt er einen Schlag ins Gesicht". Nach einer kurzen
ärztlichen Untersuchung wurden die Häftlinge zur Rasur, in die Duschen
geführt und erhielten anschließend ihre Häftlingskleidung.
"Wir mußten uns nackt ausziehen, wurden geschoren, rasiert und
gebadet und bekamen einen Haufen alter Fetzen, die KZ-Bekleidung. Es gab auch
bereits getragene Leibwäsche, in der Regel ohne Knöpfe. Neu war nur
die gestreifte Hose, dazu bekam ich eine alte grüne Uniformjacke, eine wie
die Hose gestreifte Mütze und Strümpfe, die überall gestopft
waren. Am wertvollsten waren die Schuhe, die zwar alt, aber heil und bequem
waren. Dazu ein Paar aus Tuchstücken zusammengenähte Fausthandschuhe.
Diese Kleidung mußte uns gegen die Kälte ausreichen, und das in einem
strengen Winter, wie es ihn, so weit die Erinnerung zurückreichte, nicht
gegeben hatte. Als wir endlich die Baracke erreichten, die ab jetzt unser Haus
werden sollte, erkannte mich niemand wieder, auch ich nicht, wenn ich in den
Spiegel schaute. Bis auf die Haut rasiert und ohne Backenbart und den
Schnurrbart, war ich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Man konnte mich
erst an der Stimme erkennen". Die Häftlinge verloren ihre
individuelle Persönlichkeit und wurden zu namenlose Nummern. Für eine Nacht wurden die Häftlinge der
"Sonderaktion Krakau" in der Baracke 19 untergebracht. Bei eisigen
Temperaturen mußten sie auf dem Fußboden auf Strohsäcken unter
dünnen, abgenutzten Decken schlafen. Am nächsten Tag wurden sie auf
die Baracken 45 und 46 verteilt und erhielten die roten Winkel für ihre
Häftlingskleidung, die sie zusammen mit ihrer Nummer und dem
vorangestellten "P" als polnische, politische Schutzhäftlinge
auswies. Die Geistlichen der Gruppe wurden in eine andere Baracke
geführt. Jeden Morgen und Abend hatten sich alle Häftlinge des
Konzentrationslagers auf den Appellplatz zu begeben, um dort gezählt zu
werden. Fehlte ein Häftling bei den Appellen mußten die Anderen so
lange in Reih und Glied stehen bleiben, bis der Abwesende gefunden wurde.
"Wir standen frühmorgens auf, so daß wir im Winter noch bei
völliger Dunkelheit auf den Appellplatz kamen. Nachdem wir uns von unserem
Lager hochgerissen hatten, wurde schnell bei elektrischem Licht wie
vorgeschrieben die Decke am Ende des Strohsacks zusammengelegt. Dann wuschen wir
uns in gesonderten Waschbecken in den Latrinen, die ungeheizt und sehr gut
durchlüftet waren, weil die Tür nach draußen auch bei
stärksten Frost immer offenstand. Der Winter war hart, und zu dem auf das
stärkste eingehaltenen Reglement gehörte auch, daß man sich mit
freiem Oberkörper im Frost waschen mußte.[...] Wenn wir uns angezogen
hatten, warteten wir auf den Befehl, das Frühstück zu holen, das aus
einer Mehl- oder Sagosuppe mit Kartoffeln bestand.[...] Nach dem
Frühstück gingen wir in geschlossener Formation oder einzeln, je
nachdem, in welcher Stimmung der Blockälteste war, auf den Appellplatz.
[...] Jeder mußte auf den Appellplatz kommen, gleichgültig, ob gesund
oder krank. Die Kameraden stützten den Sterbenden an den Schultern und
hielten ihn bis zum letzten Atemzug fest, damit er stand, bis das Leben des
Gequälten zu Ende ging". Die Häftlinge durften sich bei den
Appellen nicht bewegen. Falls dieses doch geschah, wurde derjenige schnell Opfer
von Gewaltexzessen der SS. Aber auch ohne Grund quälte die SS die
Häftlinge. So wurden die Krakauer Wissenschaftler Zeuge, wie ein bereits
kranker Häftling den sog. "Sport treiben" mußte. Dabei
hatte er Kniebeugen zu machen, sich auf den Boden zu legen, zu rollen, auf und
nieder zu hüpfen. Als der Häftling sich nicht mehr rührte und
bewegungslos auf dem Boden lag, trat ein SS-Mann an ihn heran und brach ihm mit
dem Absatz seines Stiefels die Nase. Im Gegensatz zu den übrigen Häftlingen, die nach dem
morgendlichen Zählappell in ihren Kommandos meistens schwere
körperliche Arbeiten zu verrichten hatten, waren die "Krakauer"
mit Ausnahme von gelegentlichen Arbeiten im Kartoffelkeller, Reinigen der
Baracken und Einsammeln von Müll von den Arbeitskommandos befreit. Dagegen
ordnete die SS bei ihnen die sog. "Stehkommandos" an. Dabei
mußten die Häftlinge in ihren Baracken stundenlang, ohne sich
abzustützen, stehen. Die Benutzung der Toiletten war dabei kaum
möglich. In den sonst "üblichen" Stehkommandos wurde
für solche Fälle ein Eimer herumgereicht. Die Häftlinge der
"Sonderaktion Krakau" erhielten insofern eine Vergünstigung, da
ihnen auch häufig Sitzkommandos in ihrem Tagesraum an den Tischen
gewährt wurden. Normalerweise war es bei diesen Kommandos nicht gestattet,
sich zu unterhalten, aber den Krakauer Häftlingen diente diese Zeit
für Vorträge, Diskussionen, Gespräche und Sprachkurse. Die
Vorträge aus den jeweiligen Fachgebieten waren so zahlreich, daß
sogar ein Plan über den Zeitablauf aufgestellt wurde. Diese
Möglichkeiten der Kommunikation hatte für ihr Lagerleben eine
große Bedeutung. "Dieses intellektuelle Leben war für uns
eine große moralische Unterstützung, lenkte die Aufmerksamkeit von
dem Unglück ab, übertrug unsere Gedanken in die Sphären, wo die
Lagerbehörde keinen Zugang hatte. Es bildeten sich viele Freundschaften und
entstanden Grundlagen für spätere Zusammenarbeit. Die intellektuelle
Arbeit stärkte uns, kostete aber viel Mühe und Anstrengung, wir
hatten doch ununterbrochen Hunger, wir waren erschrocken, jeden Tag starben
Mithäftlinge". Der Slavist Vilim Francic führte eine Kasse, in die nach
Möglichkeit jeder Häftling der "Sonderaktion Krakau" einen
Geldbetrag einzahlte. Von dieser Kasse wurden unterschiedliche Dienste bezahlt,
Einkäufe in der Lagerkantine, der Kauf der Briefformulare und Briefmarken,
Funktionshäftlinge bestochen, aber auch Mithäftlinge unterstützt,
die über kein eigenes Geld verfügen konnten. Ebenso wie diese Kasse
boten auch die Gespräche mit den Geistlichen und der Glaube Rückhalt
für die Häftlinge. Die Professoren Leon Sternbach und Joachim
Metallmann gehörten dem jüdischen, während die Anderen dem
katholischen Glauben angehörten. Durch diesen konnten sie die
gefährliche Zeit im Konzentrationslager, in der sie ihrer sämtlichen
früheren Werte und Normen beraubt worden waren, überleben. Ihr
katholischer Glaube gab ihnen in dem "Balanceakt auf dem Seil"
Hoffnung, Zuversicht und einen inneren Halt. Der Oberassistent am Seminar
für klassische Philologie der Jagiellonen-Universität, Mieczyslaw
Brozek sagte später, daß er im Konzentrationslager Sachsenhausen
seinem Leben ein Ende gesetzt hätte, sein Glauben ihn aber davor bewahrt
hätte". Vilim Francic führte auch einen wöchentlichen
Arbeitsplan, damit die älteren unter den Häftlingen geschützt
wurden. Die jüngeren Dozenten und Assistenten übernahmen die Arbeit
für die Älteren und unterstützten sie, wo sie nur konnten.
"Die Kranken und Alten wurden sowohl bei
außerplanmäßigen Einkäufen wie bei der Verteilung von
"organisierten" Lebensmitteln, wie zum Beispiel Fleischbrühe aus
der SS-Kantine, besonders berücksichtigt. Zigaretten (die am meisten
gesuchte und teuerste Ware im Lager) wurden uns zum Einkaufspreis plus 15
Prozent "Trinkgeld" für das Risiko von jenen Häftlingen
geliefert, die das Lager zum Arbeitseinsatz verließen und draußen
mit Arbeitern aus Berlin zusammenkamen. Silvester 1940 hatte ich [Vilim
Francic] zum Beispiel ungefähr 150 Päckchen Zigaretten in meinem
Spind (sie gehörten der Gruppe), was natürlich gegen das Reglement
verstieß und mir Bunkerhaft einbringen konnte. Ich hatte Angst vor einer
Revision, eine unruhige Nacht, aber am nächsten Morgen bekam jeder Raucher
eine Schachtel". Nach der Lagerordnung konnte jeder Häftling zwei Briefe
oder Postkarten aus dem Lager versenden und erhalten. Jeder Brief, der in
deutsch geschrieben werden mußte, durchlief die Zensur im Lager, so
daß es nicht möglich, über die wahren Zustände im Lager zu
berichten. Die Häftlinge vereinbarten deshalb mit ihren
Familienangehörigen eine Art von Geheimsprache, um sich an der Zensur
vorbei mitteilen zu können. In dem Briefwechsel zwischen Wladyslaw
Semkowicz; Professor für historische Hilfswissenschaften und
mittelalterliche Geschichte, und seiner Frau Jadwiga, bezeichnete sich Semkowicz
immer als "Dus": "Du schreibst, daß Karol in der Russischen
Gefangenschaft ist. Ich befürchte, er leidet dort, sowie Dus auch an
Kälte, Hunger und Beschwerlichkeiten". Wladyslaw Semkowicz hatte in
einem Brief an seine Frau seine Enkelkinder von ihrem Großvater
grüßen lassen. Es war bekannt, daß die Gestapo häufig mit
dem Decknamen "Großvater" bezeichnet wurde, deshalb
beschlagnahmte die Zensur diesen Brief. Die Folge war, daß der
Briefkontakt für zwei Wochen unterbrochen wurde. Einige der Professoren bauten ein "besonderes"
Verhältnis zu dem SS-Personal auf. Kazimierz Stolyhwo, Professor für
Anthropologie, der schon in Krakau hätte entlassen werden können, wenn
er sich zur Arbeit für das "Institut für Deutsche Ostarbeit"
bereit erklärt hätte, war wegen seines Äußeren häufig
das Opfer der SS. Aber er verwickelte sie in Gespräche, beschimpfte sie
gelegentlich und lobte ihre bisweilen menschlichen Züge, obwohl er sich
fragte, warum die SS zu solchen Taten fähig war. Der Professor für
Neurologie und Psychiatrie, Eugeniusz Brzezicki sprach sehr gut deutsch und
unterhielt sich häufig mit der SS, so daß es ihm ermöglicht
wurde, in das Krankenrevier des Lagers zu gehen. Auf diesem Wege gelang es ihm,
seinen Mithäftlingen mehrmals zu helfen. "Einer ganzen Reihe von
Kollegen erleichterte er einen Arztbesuch (obgleich man nie wußte, ob
ärztliche Behandlung sich nicht zu einer ärztlichen Mißhandlung
auswuchs) oder sogar die Aufnahme ins Revier, für so manchen zauberte er
irgendwo Medikamente herbei. Wenn wir ihn fragten, wie er das schaffte, dann
erklärte er uns, diese Menschen seien doch schließlich alle krank,
und man müsse nur mit ihnen entsprechend zu reden verstehen". Die
mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln, die teilweise auch noch ranzig waren,
führte dazu, daß die schon vorher geschwächten oder
kränklichen Professoren noch schwerer erkrankten. Einer der Professoren
schabte von verbranntem Holz die Kohle ab, die dann eingenommen wurde und so den
an Ruhr Erkrankten ein wenig half. Gegen die Mangelerscheinungen wurde ein aus
Eichenrinden abgekochter Sud getrunken und Mundwasser und Zahnpasta wegen des
Calciums darin geschluckt. Als der Professor für Botanik, Jan Zablocki an
Angina erkrankte, brachte man ihn ins Krankenrevier. "Ich wurde in einem
kleinen Raum auf einer oberen Pritsche auf einen Strohsack gelegt. In dem Raum
lagen vier Patienten. Die einzige Frage, nachdem ich dahin getragen worden war,
lautete: Hast du Geld ? Nachdem ich sagte, daß ich im Brustbeutel 20 RM
habe, nahm mir der Pfleger das Geld ab, und damit war die Untersuchung zu Ende.
... Abends wurde unter meiner Pritsche ein Häftling mit hohem Fieber
untergebracht, der immerzu jammerte und sich auf dem Strohsack hin und her warf.
Nach 23 Uhr tauchte der Pfleger in der Stube auf, um sich auszuschlafen. Das
Jammern des Kranken störte ihn jedoch, und er wandte deshalb eine ganz
eigene Beruhigungsmethode an. Er schlug ihn mit den Fäusten und brach ihm
den Arm. Als das jedoch nichts nützte und der Kranke noch stärker
jammerte, erwürgte er ihn und sagte zu uns: Der hat schon genug,
stören wird der uns nicht mehr". In dem von Terror bestimmten
Leben war der Tod allgegenwärtig. Täglich starben Häftlinge an
Hunger, Entkräftung oder Kälte. Für den 18. Januar 1940 hatte der
Lagerführer Höß für alle Häftlinge, die keinem
Arbeitskommando zugewiesen waren, Stehkommandos angeordnet. Bei einer Temperatur
von minus 25 Grad mußten etwa 800 Häftlinge stundenlang auf dem
Appellplatz stehen. Bereits nach wenigen Minuten brachen die ersten
Häftlinge zusammen, die nicht ins Krankenrevier gebracht werden durften.
Von dem Fenster seines Arbeitszimmers in Turm A beobachtete Höß den
Appellplatz. Nach mehreren Stunden konnten die Häftlinge wegtreten. Die
Bilanz dieses Tages waren 240 erkrankte Häftlinge für das
Krankenrevier und 78 Tote. In der folgenden Nacht verstarben 67 weitere
Häftlinge. Ein Opfer dieses Tages war auch Professor Antoni Hoborski. Er
erlitt starke Erfrierungen an den Füßen. Als die Verbände
eiterten, mußte er ins Krankenrevier gebracht werden, wo man ihm die
abgefrorenen Zehen amputierte. Sehr schnell bekam er eine Blutvergiftung, an der
er am 8. Februar starb. Vorher waren bereits andere Professoren verstorben. Das erste Todesopfer unter den Häftlingen der
"Sonderaktion Krakau" war Professor Antoni Meyer. Bereits vor seiner
Verhaftung war er an Magenkrebs erkrankt. Die ohnehin geringen
Lebensmittelrationen im Lager konnte er nichts mehr zu sich nehmen, so daß
er immer mehr abmagerte. Sein Leben war nur noch von Schmerzen bestimmt.
Zusätzlich bekam er noch einen starken Husten und mußte mehrmals in
der Nacht austreten. Wenige Tage vor Weihnachten wurde er ins Krankenrevier
gebracht, wo er in der Nacht vom 24. auf dem 25. Dezember 1939 verstarb. Erst
einige Tage später erfuhren seine Mithäftlinge von dessen Tod. Am 28.
Dezember starb Stanislaw Estreicher, am 1. Januar Stefan Bednarski, am 4. Januar
Jerzy Smolenski, am 8. Januar Tadeusz Garbowski, am 9. oder 10. Januar Michal
Siedlecki, am 10. Februar Feliks Rogozinski, am 11. Januar Kazimierz Kostanecki,
am 16. Januar Adam Rózanski, am 19. Januar Ignacy Chrzanowski, am 24.
Januar Wladyslaw Taklinski und am 21. Februar Leon Sternbach. Nach ihrer
Rückkehr in Krakau verschieden bald darauf noch Jan Nowak, Stefan
Kolaczkowski, Antoni Wilk, Jan Wlodek und Arnold Bolland an den unmittelbaren
Folgen ihrer Haft im Konzentrationslager. Jeder Tod eines Professors erschütterte die Kollegen sehr.
Stefan Bednarski, Michal Siedlecki und Ignacy Chrzanowski starben an Lungen-
bzw. Rippenfellentzündung, Feliks Rogozinski wahrscheinlich an einer
Krebserkrankung, Jerzy Smolenski, bereits vor der Verhaftung erkrankt, starb an
völliger Entkräftung ebenso wie Tadeusz Garbowski. Kazimierz
Konstanecki hatte schon früher Herzbeschwerden, geschwollene Beine und
bekam im Lager eine Gürtelrose. Er starb an der fehlenden ärztlichen
Versorgung seiner Leiden. Stanislaw Estreicher hatte ein Geschwulst an der
Prostata, so daß das Wasser lassen für ihn sehr problematisch war. Um
die Blase zu entleeren, mußte ihm ein Katheter gesetzt werden, weshalb er
stundenlang in der Kälte vor dem Revier wartete. Ein Sanitäter, der
zunächst Bestechungsgelder erwartete, machte dann den Eingriff und ging
dabei brutal und nicht sorgfältig vor. Eine dadurch verursachte
Harnleiterentzündung führte dazu, daß Stanislaw Estreicher nicht
mehr normal Wasser lassen und den Harn auch nicht mehr richtig bei sich behalten
konnte. Seine komplette Kleidung wurde immer nasser. Stanislaw Estreicher
entkräftete zusehends, nahm keine Flüssigkeiten zu sich und konnte
nicht mehr schlafen. Die nächtlichen Gänge zu den Latrinen, die nur in
den Unterhemden gemacht werden durften, taten ihr übriges. Als er immer
wieder das Bewußtsein verlor, trugen ihn seine Kollegen in das
Krankenrevier, wo Stanislaw Estreicher nicht behandelt wurde. Innerhalb von zwei
Tagen verstarb er. Auch der Tod von Adam Rózanski ging allen
Mithäftlingen besonders nahe. "Er nahm keine Mahlzeiten mehr zu
sich, war bereits seit mehreren Tagen schwer krank und mußte dennoch jeden
Tag zu den Appellen gehen. Gestützt auf unsere Schultern, ging er zum
Appellplatz. In der Zeit, in der wir nicht in Habachtstellung stehen
mußten, stützten wir ihn, aber wenn das Kommando Achtung! kam, dann
war er seinen Kräften überlassen und konnte sich nur schwer auf seinen
unsicheren Beinen halten. [...] Als wir ihn ins Glied schleppten, war der
Bewußtlose schon in der Agonie. Er stand neben mir. Gemeinsam mit seinem
Assistenten, [...] hielt ich ihn am Arm, ohne mich um die Vorschriften zu
scheren. Der ausgemergelte Körper wollte immer wieder auf die Erde
rutschen, sein Kopf hing herunter, so daß wir ihn nur schwer in stehender
Position halten konnten, damit nicht einem Bewacher auffiel, daß er nicht
in der vorgeschriebenen Haltung stand. Der Appell verlängerte sich, und
auch die Agonie von Professor R. zog sich hin. Unter der Last des
zusammensackenden Körpers ließen unsere Kräfte nach. Die hinter
uns stehenden Kollegen tauschten mit uns die Plätze, bis zu dem Augenblick,
bis wir wieder unsere Plätze einnehmen konnten. Er starb in unseren Armen,
er starb im Stehen, durch unsere Kraft gehalten. Wir sahen jedoch und
spürten, daß ihm der Augenblick des Abschieds von dieser Welt nicht
schwerfiel. [...] Der Tod selbst war schmerzlos, obwohl der Körper die Qual
des entsetzlichen Kampfes mit dem Tod erkennen ließ. Und als der Appell zu
Ende ging, trugen wir ihn zu der Spitalbaracke. Dort an der Tür verschied
er". Wladyslaw Taklinski wurde auf dem Weg vom Bahnhof zum
Konzentrationslager von der SS geschlagen und mit Füßen getreten. Er
wäre zu diesem Zeitpunkt schon zusammengebrochen, wenn ihm seine Kollegen
nicht geholfen hätten. Schon vor seiner Verhaftung war er schwer herzkrank
und benötigte Digitalis und Stärkungsmittel. Im Lager aß
Wladyslaw Taklinski kaum etwas und gab die Hälfte seiner spärlichen
Rationen sogar noch an jüngere Mithäftlinge ab. Ödeme an den
Beine ließen diese so anschwellen, daß ihm kaum noch die Hose
paßte. Flüssigkeit, die von der aufgeplatzten Haut an den Beinen
stammte, sammelte sich auf der Hose und gefror bei den kalten Temperaturen. Im
Krankenrevier erhielt er zwar noch ein Fläschchen Digitalistinktur, aber
diese konnte Wladyslaw Taklinski auch nicht mehr helfen. Er verlor immer mehr an
Kräften und mußte zu den täglichen Appellen getragen werden.
Unter großen Schwierigkeiten gelang es, ihn in das Revier aufnehmen zu
lassen. Er soll von einem Sanitäter in seinem Krankenbett ermordet worden
sein, der ihn einen Knüppel auf den Hals gelegt und sich auf diesen
Knüppel gestellt hatte. Die Entlassung für einen Teil der Häftlinge der
"Sonderaktion Krakau" am 8. Februar 1940 kam sehr überraschend.
Zuvor hatte man bereits am 23. Dezember 1939 den Professor für
vergleichende Anatomie, Henryk Hoyer freigelassen. Am Morgen des 8. Februars
hatte die SS gerade vor dem versammelten Lager einige Häftlinge aufgerufen,
die über den sog. "Bock" gelegt werden sollten. Bei dieser
grausamen Bestrafung hatte sich der Häftling auf ein Holzgestell zu legen
und wurde mit einem Ochsenziemer, Peitsche, Stock oder dicken Knüppel 5-
bis 25-mal je nach seiner Strafverfügung geschlagen. Der Häftling
mußte selbst die Schläge zählen und durfte sich weder
verzählen noch bewußtlos werden, da sonst die Tortur von neuem
beginnen konnte. Häufig mußten Mithäftlinge die Bestrafung
ausführen. Schwere Verletzungen an den Nieren und dem Muskelgewebe waren
nicht selten die Folge dieser Schläge. Nach der Bestrafung ließ der
Blockälteste alle "Krakauer" auf dem Appellplatz stehen und
befahl, den nach 1900 Geborenen vorzutreten und in ihre Baracke
zurückzugehen. Die Krakauer befürchteten schon, auch Opfer einer
Bestrafung zu werden, als ein SS-Mann vortrat und nach einer Liste 102 Personen
namentlich aufrief. Diese erklärte er dann aber für entlassen. Bis zu
ihrem endgültigen Abtransport sollten sie zunächst in ihrer Baracke
warten und mit niemanden reden. In der Effektenkammer erhielten die Professoren
später ihre persönlichen Gegenstände wieder zurück und
konnten Zivilkleidung anziehen. In LKWs wurden sie zum Bahnhof
Berlin-Charlottenburg gefahren. Von ihrem eigenen Geld hatte die SS die
Fahrkarten nach Krakau bezahlt. Am Mittag des 9. Februars 1940 kehrte die Gruppe
nach Krakau zurück. Auf dem Bahnhof erwartete sie bereits die SS, die sie
noch einmal in das Gefängnis in der Montelupich-Straße brachte. Nach
der erneuten Aufnahme ihrer Personalien mußten sie unterschreiben,
daß sie sich während ihrer Haft keine gesundheitlichen Schäden
zugezogen hätten. Danach wurden sie endgültig entlassen. Die Tochter
von Izydor Stella-Sawicki beschrieb die Ankunft ihres Vaters
folgendermaßen: "Als es klingelte und ich die Tür
öffnete, erkannte ich den vor mir stehenden hochgewachsenen dünnen
Mann im ersten Augenblick nicht. Mein Vater war ein kräftig gebauter Mann,
der vor der Verhaftung ungefähr 90 kg gewogen hatte. Nach der
Haftentlassung wog er mit der Kleidung 68 kg. Innerhalb von drei Monaten hatte
er also mehr als 20 kg verloren! Auf dem kahlgeschorenen Kopf waren die
Schädelnähte zu sehen, und seine Arme und Beine waren durch die
Gelenkkapseln zusammengehaltene Stäbchen, an denen die Haut herunterhing.
Nach dem Bad stellte sich heraus, daß er an den Fingerkuppen und den Zehen
blutige Blasen hatte. Das waren Erfrierungen. Nach einiger Zeit gingen die
Blasen zurück und fielen ab. Meine Mutter hielt Vater die ersten Tagen
über auf einer sehr strengen Diät und bereitete erst allmählich
reichhaltigere und größere Mahlzeiten zu. So blieb mein Vater von der
Krankheit verschont, die viele der Professoren nach ihrer Rückkehr nach
Hause bekamen". Bei den im Lager verbliebenen Wissenschaftlern vertrieb bald
Resignation die Freude über die Entlassung einer großen Gruppe der
Mithäftlinge. Sie wußten nicht, was mit ihnen passieren sollte. Die
Älteren unter ihnen waren in ständiger Sorge, daß ihnen der Tod
durch eine Sonderbehandlung der SS bevorstehen würden, weil sie, obwohl
auch älter als 40 Jahre, nicht mit den Anderen entlassen worden waren. Die
Privilegien, die den "Krakauern" vorher von den Blockältesten
gewährt worden waren, sollten ihnen jetzt wieder entzogen werden. Der
Blockälteste hatte geglaubt, daß am 8. Februar alle Krakauer
Professoren entlassen worden waren. Der Rest der Gruppe konnte ihn aber davon
überzeugen, daß nach wie vor Wissenschaftler im Lager verblieben
waren. Weiterhin wurden sie keinem Arbeitskommando zugewiesen. Die schon
früher geschlossene Gemeinschaft trat noch näher zusammen. In der
kleineren Gruppe wurden jetzt engere Freundschaften geknüpft und die
bisherigen Vorträge und Diskussionen fortgesetzt. Anfang März stellte die SS einen Transport mit
arbeitsfähigen Häftlingen zusammen, der für das
Konzentrationslager Dachau bestimmt war. Dieses Lager war von September 1939 bis
zum Februar 1940 geschlossen, als Theodor Eicke den Auftrag erhalten hatte, dort
eine SS-Totenkopfdivision aufzustellen und auszubilden, die zu den ersten
Divisionen der Waffen-SS gehören sollte. Die Häftlinge hatte man
vorübergehend in die Konzentrationslager Flossenbürg, Buchenwald und
Mauthausen überführt. Nur eine kleine Gruppe von etwa 100
Häftlingen blieb im Lager zurück. Als Dachau wieder für den
"normalen" Betrieb geöffnet wurde, brauchte man
Arbeitskräfte, zumal viele der Häftlinge, die man nach Mauthausen und
Flössenburg überstellt hatte, bei der schweren ungesicherten Arbeit in
den Steinbrüchen umgekommen waren. Die Krakauer Häftlinge sahen den
Umständen entsprechend noch gut aus und kamen zum überwiegenden Teil
in den Transport in das Konzentrationslager Dachau. "Auf den Transport
nach Dachau haben wir drei Tage gewartet. Die in Sachsenhausen gebliebenen
Kollegen verabschiedeten sich von uns. [...] Über Dachau hörte man
beunruhigende Informationen. Unsere Niedergeschlagenheit war desto
größer, weil in den Briefen von zu Hause unsere baldige Freilassung
angekündigt wurde. Viele von uns waren sicher, daß die Abfahrt nach
Dachau die Entlassung sehr verzögern würde. An dem letzten Abend in
Sachsenhausen haben wir viel gesungen, manche sind an den Zaun, der die
"Priesterbaracken" abtrennte, gegangen, dort haben sie unsere Priester
gerufen und die haben ihnen die Beichte abgenommen". Insgesamt elf
Häftlinge verblieben noch im KZ Sachsenhausen. Weiterhin mußten sie
in keine Arbeitskommandos. Im April konnten die Krakauer sogar in die
Musterbaracke Nr. 2 des Lagers übersiedeln. Dadurch war es ihnen
möglich unbegrenzt Brot kaufen zu dürfen, das sie als Tauschware
benutzten. Außerdem schliefen sie in richtigen Betten mit einem eisernen
Bettgestell und richtiger Bettwäsche. Die Musterbaracke diente als
Vorzeigeobjekt für eventuelle Besuche des Internationalen Roten Kreuzes
oder anderer offizieller Besuche. Dadurch konnten die wahren Zustände in
den andren Baracken verschleiert werden. Immer wieder entließ die SS
einzelne Krakauer. Als Wladyslaw Semkowicz eines Tages während des Appell
aufgerufen wurde, erwartete er eher eine Bestrafung, als entlassen zu werden.
Deshalb trat er zunächst auch nicht vor. Nach dem üblichen Prozedere,
erhielt er seinen Entlassungsschein und mußte zu Fuß nach Berlin
gehen, wo er den Zug nach Kattowitz und weiter nach Krakau benutzen konnte. Am
18. November 1940 erreichte er Krakau. Bis Weihnachten 1940 wurden alle in
Sachsenhausen verbliebenen Häftlinge der "Sonderaktion Krakau"
entlassen. Eine Ausnahme bildeten die beiden jüdischen Häftlinge unter
ihnen: Leon Sternbach starb im Februar 1940. Auf der offiziellen Todesurkunden
soll er am 21. Februar 1940 an "Darmkatarrh", eine übliche
vorgeschobene Todesursache, verstorben sein. Nach der Zeugenaussage eines
Mithäftlings soll Leon Sternbach von dem berüchtigten SS-Mann Gustav
Sorge, von den Häftlingen "Eiserner Gustav" genannt, ermordet
worden sein. Als die Häftlinge mehrere Stunden um ihre Baracke laufen
mußten, brach Leon Sternbach zusammen und bat um Hilfe. Sorge soll ihn
gegen die Barackenwand gelehnt und dann erschlagen haben. Nach dem Bericht eines
anderen Mithäftlings soll Leon Sternbach an der im Lager grassierenden Ruhr
erkrankt sein. Auf Anordnung der Blockführer hatten die Schwerkranken in
den Latrinen zu übernachten. Wegen der anhaltenden Kälte froren die
Leitungen zu und mußten mit kochendem Wasser am nächsten Morgen
aufgetaut werden, damit die Spülungen betätigt werden konnten. Papier
hatte in dieser Zeit einen höheren Tauschwert als Brot. Der 75-jährige
Leon Sternbach erkrankte so schwer an der Ruhr, daß sein ohnehin
geschwächter Körper weiter an Kraft verlor, so daß auch
Kohletabletten nicht mehr halfen. Es gelang einem Mithäftling, ihn ins
Krankenrevier zu bringen, wo Leon Sternbach verstorben sein soll. Joachim
Metallmann kam am 5. September 1940 auf einen Transport in das KZ Dachau. Von
dort überstellte man ihn in das Konzentrationslager Buchenwald, in dem
Joachim Metallmann am 21. August 1942 verstarb. Am 4. März 1940 erreichte der in Sachsenhausen
zusammengestellte Transport das Konzentrationslager Dachau. Unter den 1.500
Häftlingen befanden sich auch 43 Häftlinge der "Sonderaktion
Krakau". In dem Gedränge beim Aussteigen gelang es ihnen, in einer
Gruppe zusammen zu bleiben. Nach der üblichen Aufnahmeprozedur gelangten
mit Ausnahme von fünf Häftlingen alle in die Stube 4 der Baracke
Nummer 23. Die Baracken waren von besserer Qualität als in Sachsenhausen
und gegen die Kälte isoliert. Sie bestanden aus vier Stuben und wurden
jeweils von etwa 90 Häftlingen bewohnt. Jede Stube konnte durch einen
Kachelofen beheizt werden. Jeder Häftling hatte zunächst in den
dreistöckigen Betten eine Schlafstelle. Die Ernährungssituation war in
Dachau zwar besser, aber trotzdem noch unzulänglich. Zunächst wieder
in Stehkommandos eingeteilt und den üblichen Drangsalierungen der SS
ausgesetzt, meldeten sich die Krakauer freiwillig zur Arbeit. Die begehrten
Posten als Funktionshäftlinge waren schon mit früher eingetroffenen
Häftlingen besetzt, aber einige konnten doch noch in
"angenehmeren" Kommandos unterkommen. Tadeusz Milewski arbeitete im
SS-Krankenbau, Henryk Batowski und Kazimierz Bulas meldeten sich freiwillig als
Dolmetscher und hatten so zu großen Teilen des Lagers Zugang. Dobieslaw
Doborzynski, der Dozent für Physik war, arbeitete in der
Funktechnik-Werkstatt und baute und reparierte Funkgeräte. Unter dem
Vorwand die Geräte zu testen, konnte er dank seiner Englisch- und
Französischkentnisse Feindsender abhören und die Mithäftlinge
über die Situation außerhalb des Lagers informieren. Arkadiusz
Piekara, Professor für Experimentalphysik, meldete sich für die
Schneiderwerkstatt. Kurzzeitig hatten zwei Wissenschaftler im
Leichenträgerkommando zu arbeiten, wo sie eine Häftlingsleiche erst
ins Krankenrevier und dann in die Leichenhalle tragen mußten. Diese
für sie schreckliche Situation bewirkte, daß sie sich eine andere
Arbeit suchten, was zu Beginn der Neuorganisation in Dachau noch möglich
war. Anatol Listowski, Professor für Pflanzenzucht, hörte von der sog.
"Plantage" in Dachau. Es handelte sich dabei um eine Art von
Gutsbesitz, der sich in der Nähe zum Häftlingslager befand,
unmittelbar Himmler unterstand und der SS und dem RSHA in Berlin gehörte.
In der Plantage wurden neben Gemüse, Heilpflanzen und Kräuter auch
Blumen angebaut. So versuchte man beispielsweise aus den Gladiolen, Vitamin C zu
gewinnen. "Der größte Garten trug den Namen
‚Plantage‘. Sie war eine riesige, viereckige Anbaufläche von
ungefähr fünfhundert Metern Seitenlänge [...]. Die Plantage
diente besonders zum Anbau medizinischer Pflanzen. Zur Urbarmachung des
Moorbodens zog man von 1940 bis 1943 besonders Juden und Geistliche heran, die
dabei zu Hunderten dahinstarben. Die Plantage ist so im wahren Sinn des Wortes
mit Menschenschweiß und Menschenblut gedüngt". Die meisten
der Krakauer Häftlinge arbeiteten in dieser Kräuterplantage. Sie
gruben Gräben, transportierten Schlacke, rissen alte Betonwände ab und
bauten neue Gewächshäuser für die Anzucht wieder auf. Die
Häftlinge mußten immer in Bewegung sein und zumindest den Anschein
erwecken zu arbeiten, wenn ein SS-Mann kommen sollte. Das geschah aber selten.
So trugen Stanislaw Leszczycki und Kazimierz Lepszy Gewächshausfenster von
einem Ende der Plantage zum anderen und wieder zurück. Aleksander Kocwa
mischte Kamillensamen mit Sand und trennte das ganze dann wieder. Trotzdem waren
die Häftlinge auch in der Plantage nicht vor den Strafen der SS sicher. Die
Plantage gehörte bis zu seiner Abberufung im Winter 1940 in den
Verantwortungsbereich von SS-Untersturmführer Paul Neumann, den die
Krakauer als "den ungewöhnlichsten SS-Mann beschrieben, den sie je
getroffen hatten. Er sei sehr gutmütig gewesen, sogar
schüchtern". Neumann gründete in der Plantage die
wissenschaftliche Abteilung, als er aus einem Gespräch mit zwei Krakauer
Häftlingen erfuhr, daß diese Biologen waren und sich noch mehr
Wissenschaftler unter ihnen befanden. Die Lage der Häftlinge verbesserte
sich dadurch erheblich. Karol Stamach, Professor für Hydrobiologie, baute
aus zusammengesuchten Utensilien ein Gerät, um das Wachstum der Pflanzen
messen zu können. Andrzej Bolewski machte Bodenanalysen. Zusammen mit
Stanislaw Turski, einem Mathematikprofessor, Wiktor Ormicki und einem weiteren
Wissenschaftler baute der Geographieprofessor Stanislaw Leszczycki, eine
Wetterstation. Kazimierz Piwarski schrieb die kompletten Daten nieder, die
Kazimierz Lepszy in Diagramme übertrug. "Damit hatte ich
[Leszczycki] also eine Spezialisierung in der Arbeit, einen guten Platz im
warmen Kaninchenstall, und ich wurde im Kreise der Mithäftlinge
Facharbeiter. Das half mir, weitere zehn Monate im Lager zu überleben. Die
inmitten der Pflanzungen, zwischen Gemüsebeeten, Frühbeetkästen
und Gewächshäusern stehende meteorologische Station fiel ins Auge und
war der Stolz der Lagerführung. Um den Temperaturschreiber zu verfolgen,
liefen wir alle zwei Stunden, getreu der Parole ‚Bewegung, immer
Bewegung!‘ ganz eifrig aus dem Kaninchenstall, um Temperaturmessungen am
Trockenthermometer und am Naßthermometer vorzunehmen". Bei
hochrangigen Besuchen im KZ Dachau wurde die Plantage immer wieder besucht und
die meteorologische Station vorgeführt. Die Einstufung als Facharbeiter
brachte gewisse Vorteile für den Häftling. Er stieg in der
Lagerhierarchie auf und konnte sich besser mit Kleidung und Lebensmitteln
versorgen. Ein besonderes Verhältnis verband Neumann mit dem
Pharmakologen Józef Hano, der zu dem als hervorragender Internist galt
und bereits viele Häftlinge behandelt hatte. Sie führten sehr oft
private Gespräche. Als ein SS-Offizier Józef Hano aufsuchte und ihn
bat, nach seinem kranken Kind zu sehen, heilte Józef Hano es vom Fieber.
Seine Fähigkeiten sprachen sich herum, so daß er immer öfter
auch von der SS konsultiert und nach Behandlungsmöglichkeiten gefragt
wurde. Im Laufe des Jahres 1940 kamen immer mehr Häftlinge in das
KZ Dachau, so daß das Lager bald überfüllt war. Die
Neuzugänge aus anderen Lagern schleppten Krankheiten und Ungeziefer ein,
die nicht bekämpft werden konnten. Die Ernährungslage verschlechterte
sich zusehends. Verfügten die Häftlinge über Geld, konnten sie
sich gelegentlich zusätzliche Nahrungsmittel in der Kantine kaufen. Die
Arbeit in der Plantage verführte dazu, etwas von dem angebauten Gemüse
zu nehmen. Obwohl die Plantage nicht so scharf bewacht wurde, wie andere
Arbeitskommandos, war es unter Strafandrohung verboten, dort irgendetwas zu
essen. Immer wieder gab es Exekutionen, das Schlagen über den Bock oder das
sog. "Pfahlhängen" bzw. "Baumhängen" als
Bestrafung. Bei dem Pfahlhängen wurde ein Häftling mit auf dem
Rücken gefesselten Händen an einen hohen Pfahl oder Baum gehängt,
so daß seine Füße den Boden nicht berühren konnten und die
Arme das ganze Gewicht zu tragen hatten. Nicht selten renkten bei dieser Strafe,
die zwischen einer halben und vier Stunden dauern konnte, die Schultergelenke
aus. Trotz der drohenden Gefahr durch eine Bestrafung, die immer das Leben
kosten konnte, "beschafften sich die Krakauer auf der Plantage
zusätzliche Lebensmittel. Sobald die Pflanzen sprießten,
aßen wir Löwenzahnblätter, Bohnenkraut, Petersilie, Rapunzel und
natürlich Salatblätter. So füllten wir uns den Magen und
beseitigten den Vitaminhunger. Die Avitaminose ließ damals monströse
Furunkel entstehen, die die Häftlinge, weil sie kein Mull hatten, zumeist
mit einem Stück Zeitungspapier abdeckten. Im Sommer verschwanden die
Furunkel. Schließlich besserte sich unser Aussehen sehr stark".
Aber fast jedes Verhalten der Häftlinge konnte die SS nutzen, um eine
Bestrafung zu verhängen, sei es ein Schmutzfleck auf der Kleidung, ein
fehlender Knopf, die Verletzung der Grußpflicht, das Rauchen oder das
Essen innerhalb der Arbeitszeit und vieles mehr. Die SS provozierte aber auch
das Fehlverhalten der Häftlinge, um eine Bestrafung vornehmen zu
können. Der Jurastudent Janusz Maria Borkowski erhielt eine Stunde
"Pfahlhängen", weil er den Brief seiner Mutter bei sich trug. Die
gleiche Bestrafung nahm die SS an Boguslaw Lesnodorski, Stanislaw Skowron und
Mieczyslaw Brozek vor. Boguslaw Lesnodorski hatte in seinem Geldbeutel eine
Briefmarke, Stanislaw Skowron hatte schlecht gearbeitet und Mieczyslaw Brozek
hatte einen Befehl falsch verstanden. Stanislaw Leszczycki und Stanislaw Turski
hatten bei der Arbeit Zeitung gelesen und sollten mit einer Stunde
Pfahlhängen bestraft werden. Diese Strafe konnte aber nicht vollstreckt
werden, weil sie vorher entlassen wurden. Stanislaw Malaga, zur Zeit seiner
Verhaftung Assistent der pädagogischen Psychologischen an der Jagiellonen
Universität, kam gerade von dem Besuch beim Lagerzahnarzt zurück, als
er im Gespräch mit einem Mithäftling vertieft, einen SS-Offizier nicht
vorschriftsmäßig grüßte und die Mütze zog. Beiden
Häftlingen befahl der SS-Mann stramm zu stehen und schlug Stanislaw Malaga
derart hart ins Gesicht, daß diesem der behandelte Zahn herausfiel. Als die Häftlinge zum erkennungsdienstlichen Fotografieren
gehen mußten, wurde Wiktor Ormicki von der Gruppe der Krakauer
Häftlinge getrennt. Ein SS- Mann hatte ihn gefragt, ob er jüdische
Vorfahren hätte, worauf Wiktor Ormicki gestand, von einer semitischen
Familie abzustammen. Dieses Geständnis bedeutete die Überstellung in
eine Strafkompanie, in der bereits alle jüdischen Häftlinge des Lagers
untergebracht waren. Die Strafkompanie war in einer eigenen Baracke von den
anderen mit Stacheldraht getrennt und wurde von den sog.
"Berufsverbrechern" oder abgekürzt "BVern" geleitet.
Mehrmals konnten seine Kollegen Wiktor Ormicki noch sehen, dann wurde er im Juni
1940 in das Konzentrationslager Mauthausen und am 16. August 1940 nach Gusen,
ein Außenlager des KZ Mauthausen überstellt. Da sich Wiktor Ormicki
eine Armverletzung zugezogen hatte und ein Attest des Lagerarztes besaß,
war er zunächst von der schweren Arbeit in den Steinbrüchen befreit.
Dieser Schein konnte monatelang gefälscht werden, so daß er der
Arbeit entging. Nach einer Zeugenaussage soll Wiktor Ormicki am 17. September
1941 in Mauthausen-Gusen ermordet worden sein. Die Lagerleitung hatte zuvor den
Befehl erhalten, alle jüdischen Häftlinge aus Gusen zu vernichten. Die
ohnehin nur geringe Zahl tötete die SS, auf vielfältige Weise: u.a.
spritze sie den Häftlingen Benzin ins Blut, ertränkte, erhängte,
erschlug sie oder jagte sie in den unter Strom gestellten Zaun des
Geländes. Wiktor Ormicki wurde mit sieben weiteren jüdischen
Häftlingen getötet. Zwei Kapos führten ihn aus der Baracke und
schlugen ihn mit einem Knüppel nieder. Vor die Wahl gestellt in einem
Faß ertränkt oder erhängt zu werden, wählte Wiktor Ormicki
das Erhängen an einem Wasserleitungsrohr. Nach der Ermordung wurden die
Toten auf Befehl der SS wieder in ihre Betten gelegt, um den gewaltsamen Tod zu
vertuschen, das Lager aber hatte bereits Kenntnis darüber. Während ihrer Haftzeit kam immer wieder das Gerücht
auf, daß alle Häftlinge der "Sonderaktion Krakau" entlassen
werden würden. Aus den Briefen von ihren Familien wußten sie bereits,
daß auch die älteren Professoren aus dem KZ Sachsenhausen wieder nach
Krakau zurückkehren konnten. Im März und April 1940 entließ die SS bereits
fünf Krakauer Häftlinge, ab August immer wieder einzelne
Häftlinge. Am 21. Dezember 1940 wurde eine Gruppe von sechs Häftlingen
freigelassen. Mit Ausnahme von Kazimierz Piwarski, der im Oktober 1941 nach
Krakau zurückkehren konnte, entließ die SS alle übrigen
Häftlinge im Januar 1941. Die SS setzte sie am Bahnhof in Dachau in einen
Zug. Über München erreichten sie am nächsten Tag Krakau. Mit der
Auflage sich täglich bei der Sicherheitspolizei zu melden, wurden sie
endgültig entlassen. "Zu Hause brach Freude über meine
Rückkehr aus. [...]. Die Bekannten und Freunde sahen in mir einen Mann, der
heldenhaft die Verfolgungen des Okkupanten ertragen hatte. [...] Ich war frei,
mußte aber täglich im Büro der Sicherheitspolizei in der
Pomorska-Straße erscheinen, um mich zu melden. Mit der Zeit ging ich immer
seltener hin, alle drei Tage, einmal die Woche und bald noch seltener hin, bis
ich nach einigen Monaten überhaupt aufhörte, mich dort zu melden. Das
wurde von einem Deutschen genehmigt [...]. Mein physischer Gesundheitszustand
war nicht so schlimm. [...] Aber mein psychischer Zustand erforderte, daß
ich an mir arbeitete. Anfänglich konnte ich nicht einmal lesen, jede
Konzentration bedeutete eine Qual. Die Gedanken liefen davon, und wieder war ich
im Lager. Ich mußte lernen, an das zu denken, was ich las. Und dazu
arbeitete ich mit der Enzyklopädie, in der ich die einzelnen
Stichwörter las, zuerst die kurzen und einfachen, und allmählich
konnte ich zu den längeren übergehen. Dann kamen Reisebeschreibungen
an die Reihe, bis ich schließlich, nach mehreren Wochen, wieder zum
normalen Absorbieren wissenschaftlicher und populärer Literatur
übergehen konnte". Bereits unmittelbar nach der Aktion gegen die
Hochschulangehörigen am 6. November 1939 verbreitete sich die Nachricht
über die Verhaftung sehr schnell in der ganzen Stadt. Einige Frauen, die
den Saal vor der Verhaftung hatten verlassen müssen, und Passanten auf der
Straße hatten die Vorgänge beobachtet und konnten darüber
berichten. Die Familienmitglieder bemühten sich bald, nähere
Informationen über den Aufenthaltsort der Festgenommenen zu erhalten. Sie
glaubten zunächst, daß die Verhaftung im Zuge des Polnischen
Nationalfeiertages am 11. November erfolgt war und daß alle später
wieder freigelassen werden würden. Als sich diese Hoffnung nicht
erfüllte, organisierten sich die Familienmitglieder und schmiedeten
Pläne für das weitere Vorgehen. "In unserer Wohnung in der
ulica Pieradzkiego 15 fand damals der Informationsaustausch statt und es wurden
die gegenseitigen Absprachen unter allen Betroffenen sowohl hinsichtlich der
Weitergabe aller neuen Nachrichten, wie auch hinsichtlich der Verständigung
mit Frau Professor Eugenia Stolyhwowa und Frau Professor Zofia Kowalska
getroffen, die im Namen von uns allen bei den deutschen Behörden
intervenierten". Die Ehefrau von Wladyslaw Konopczynski, Jadwiga
Konopczynska reiste noch im November 1939 nach Warschau und suchte dort die
schwedische Botschaft auf. Der erste Sekretär in der Botschaft, Sven
Grafström sandte das Bittgesuch von Jadwiga Konopczynska zusammen mit einer
von ihr angefertigten Liste mit 68 Namen der Professoren in die schwedische
Hauptstadt. Ein Schriftwechsel zwischen dem schwedischen Außenministerium,
dem schwedischen Gesandten in Berlin und dem Auswärtigen Amt folgte daraus.
Der Bruder des Inhaftierten Maciej Starzewski, Gesandter der Republik Polen in
Kopenhagen, wandte sich an den schwedischen Botschafter Carl Hamiliton. Dieser
schrieb noch im Dezember nach Stockholm. Die Familienmitglieder intensivierten
ihre Bemühungen, als Henryk Hoyer nach seiner Entlassung aus Sachsenhausen
Weihnachten 1939 nach Krakau zurückkehrte und über die wahren
Zustände im Konzentrationslager berichtete. Die Telegramme mit den
Todesmitteilungen, die aus dem Lager ab dem 25. Dezember 1939 eintrafen, taten
ihr übriges. Am 5. Januar 1940 schickte Jadwiga Semkowiczowa an das
Auswärtige Amt in Deutschland ein Gesuch, in dem sie um die Freilassung
ihres Mannes bat. Sie legte dem Gesuch ein ärztliches Zeugnis bei und wies
auf den "schlimmen Gesundheitszustand" und auf das Alter ihres Mannes
hin. Eugenia Stolyhwowa und Zofia Kowalska gelang es im Januar 1940 bis zu dem
Staatssekretär im Amt des Generalgouverneurs, Joseph Bühler
vorzudringen, wo sie von einem höheren Offizier empfangen wurden, der genau
über die "Sonderaktion Krakau" unterrichtet war. Dieser war
erstaunt, als er von dem Tod von bereits acht Professoren erfuhr und half, eine
Eingabe zu verfassen. Außerdem gab er den beiden Frauen darüber
Auskunft, an welche deutschen Stellen man sich wenden sollte, um mit den
Interventionen erfolgreich zu sein. Die Familienmitglieder machten eine
Sammeleingabe, die zu dem SS-Obergruppenführer Friedrich Wilhelm
Krüger, dem Höheren SS- und Polizeiführer beim Generalgouverneur
Frank, gelangte. Darin erwähnten sie auch bereits früher geschriebene
Interventionen. Außerdem wandten sich Eugenia Stolyhwowa, die Ehefrau von
Stanislaw Golab, Irena Golab und die Ehefrau von Andrzej Bolewski schriftlich an
Professor Fabio Frassetto in Bologna bzw. Professor Bartoloti in Florenz und
Professor Jaime Marcet-Riba in Barcelona. Die Tochter von Wladyslaw Konopczynski, Halina Heitzmannowa
reiste im Januar 1940 über Wien nach Mailand und trat in Kontakt mit Jozef
Michalowski, dem Direktor des Wissenschaftlichen Instituts der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Rom. Dieser wußte bereits von der
Verhaftung und ermöglichte Halina Heitzmannowa die Weitereise nach Rom.
Józef Michalowski unterstützte sie und machte sie mit führenden
italienischen Persönlichkeiten und Wissenschaftlern bekannt, die bei den
Interventionen von Nutzen sein könnten. Der polnische Bevollmächtigte
beim Vatikan, Maciej Loret machte Halina Heitzmannowa mit weiteren wichtigen
Persönlichkeiten bekannt. Sie besuchte den polnischen Botschafter im
Vatikan, Kazimierz Papée, der ihr seine Hilfe anbot. Ebenso wie Maciej
Loret versprach er alles, was in seinen Kräften stand, für die
Freilassung der Professoren zu tun. Nach dem Halina Heitzmannowa italienischen
Aristokraten von der "Sonderaktion Krakau" berichtete, versprachen
diese, die italienische Königin für die Sache zu gewinnen. Große
Hoffnung verband Halina Heitzmannowa von dem Treffen mit dem Präsidenten
der Kriegsinvaliden, Carlo Delcroix, der ein Freund und Mentor von Mussolini war
und dadurch großen Einfluß auf diesen hatte. "Wenn
überhaupt, jemand in der Lage sei, dann könne er auf den Duce
einwirken, damit dieser bei Hitler die Freilassung der Verhafteten erwirke.
[...] Dieses Gespräch vergesse ich nie. Mehr als eine Stunde lang fragte
mich dieser schwerbeschädigte Mensch nach allen Einzelheiten nicht allein
der Verhaftung, sondern auch nach dem täglichen Leben unter der Okkupation,
nach dem Schicksal der Kinder, der Flüchtlinge, der Obdachlosen, der
Verwundeten. [...] Zum Schluß sagte er mir ergriffen, daß er alles
mögliche tun werde, um Mussolinis Hilfe zu erwirken. So wie er das sagte,
war ich überzeugt, daß er sein Wort halten werde". Als Janina Dubinska-Bednarska über den Tod ihres Ehemannes
in Sachsenhausen informiert wurde, reiste sie nach Erhalt eines
Duchlaßscheines nach Berlin. Unter Vortäuschung falscher Tatsache
konnte sie zu dem bekannten deutschen Arzt, Professor Ferdinand Sauerbruch
vordringen, der auch viele bekannte Nationalsozialisten behandelte. Als sie
Sauerbruch von dem Schicksal der Häftlinge in Sachsenhausen erzählte,
bot er seine Hilfe an. Möglicherweise war es seiner Initiative zu
verdanken, daß eine Sonderkommission das KZ Sachsenhausen besuchte und die
Lagerverhältnisse begutachtete. Den Krakauer Häftlinge gestattete die
SS nach diesem Besuch den Empfang von Lebensmittelpaketen. In Berlin sprach Frau
Bednarska auch mit Professoren der Berliner Universität, unter denen sich
der Anthropologe Eugen Fischer und der bekannte Slavist Max Vasmer befanden. Max
Vasmer versprach seine Unterstützung, befürchtete aber auch
Repressalien, wenn er sich für einige Wissenschaftler einsetzte, die in
ihren Werken gegen den Nationalsozialismus eingetreten waren. Bereits am 10.
Januar 1940 schrieb Max Vasmer an Martin Schliep im Auswärtige Amt:
"Von mehreren deutschfreundlichen Ausländern bin ich in den letzten
Tagen darauf aufmerksam gemacht worden, dass die nach deren Mitteilungen
erfolgte Verhaftung einer größeren Anzahl von Krakauer Professoren in
uns wohlgesinnten Kreisen des neutralen Auslandes einen sehr peinlichen Eindruck
gemacht hat, den zu mildern nach Ansicht dieser neutralen Herren im Interesse
unserer Kulturpolitik liegen müßte. Es wurde betont, dass mehrere
dieser Krakauer Gelehrten in den skandinavischen Ländern wissenschaftlich
als führend gelten. [...] Ich erfülle die Bitte der an mich
herangetretenen Ausländer, indem ich fragen möchte, ob eine Aufhebung
der Verhaftung der genannten Herren möglich wäre. Ich kenne keinen
anderen Weg, den ich zu diesem Zwecke beschreiten könnte, möchte aber
zur Charakteristik meines Verhaltens zur polnischen Wissenschaft darauf
hinweisen, dass ich zweimal (1928 und 1937) von der Krakauer Akademie der
Wissenschaften zum auswärtigen Mitglied gewählt und beide Male von der
polnischen Regierung als "deutscher Chauvinist" nicht bestätigt
worden bin". Von anderer Seite war man bereits früher erfolgreich: Am
9. November 1939 gelangte dem Vertreter des Polnischen Roten Kreuzes, Marian
Cieckiewicz die Freilassung von vier der ältesten und kränklichsten
Inhaftierten, darunter Fryderyk Zoll, der sich intensiv an den Interventionen
beteiligte. Bereits am 8. November fuhr der Leiter des Ungarischen
Ehrenkonsulats in Krakau, Niklos Schabl nach Budapest und informierte dort
über die Gefangennahme der Krakauer Wissenschaftler. Durch seine Initiative
und der Hilfe des ungarischen Reichsverwesers Kontradmiral Nagybánya
Miklós de Horthý entließ die SS am 26. November Jan
Dabrowski und am 28. November 1939 Zygmunt Sarna aus dem Gefängnis in
Breslau. Auch über die polnische Auslandspresse gelangte die Nachricht
über die Ereignisse in Krakau sehr schnell in das nichtbesetzte
europäische Ausland und die Auslandspresse griff diese Nachrichten wieder
auf. So berichtete man über das Schicksal der Professoren u.a. in Zeitungen
in London, New York, Manchester, Paris, Belgien, dem Vatikan, Zürich,
Lausanne und Sydney. Eine schnell einsetzende internationale Protestwelle war
die Folge davon. Die polnische Exilregierung in Paris verfaßte am 8.
Dezember 1939 eine Protestnote über das deutsche Vorgehen in Polen, in der
sie auch die "Sonderaktion Krakau" erwähnte, und schickte diese
an insgesamt 24 Länder. Nach Rückfrage mit der Exilregierung suchte
Fürst Janusz Radziwill, ein polnischer Politiker und Senator, Hermann
Göring in Berlin auf. In einem langen Gespräch, in dem es auch um
andere Übergriffe der Nationalsozialisten ging, erwähnte Fürst
Radziwill die Verhaftungsaktion in Krakau. "Ich erinnere mich, daß
Göring [...] aufsprang und deutlich irritierte wörtlich sagte [...]
"Im Generalgouvernement bin ich ja nicht zuständig - aber" und
hier schlug er mit der Faust auf den Schreibtisch - "hier bin ich doch noch
der Premier-Minister und werde so was nicht zulassen!". Das Außenministerium der Republik Polen mit Sitz in
Angers sandte am 17. Februar 1940 an 24 ihrer Botschaften eine Note. Die
Botschafter sollten in den Ländern, in denen sie akkreditiert waren,
Hochschulen und wissenschaftliche Institutionen gewinnen, damit diese für
die Krakauer Kollegen, mit denen sie in näherer wissenschaftlicher
Beziehung standen, bei der deutschen Regierung intervenierten. Im Mai 1940 wurde
das Außenministerium erneut aktiv und übergab dem Ausland eine
umfassende Protestnote und wies wieder auf das Schicksal der Inhaftierten im
Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau hin. Nachdem bereits ein
großer Teil der Professoren aus dem Konzentrationslagern entlassen worden
war, startete die polnische Exilregierung bezüglich der Proteste eine
erneute Offensive. General Wladyslaw Sikorski, der Chef dieser Regierung sandte
im Mai 1940 an den polnischen Botschafter beim Vatikan, dem französischen
Premierminister Paul Reynáud und dem britischen Premierminister Arthur
Chamberlain ein umfangreiches Memorandum, in dem er auch die Inhaftierten in
Dachau ansprach. Auch die polnische Auslandsuniversität, die ihren Sitz in
Paris hatte, beteiligte sich an den Interventionen. Sie verfaßte ein
Rundschreiben, in dem sie über die Professoren informierte und dazu
aufforderte, Interventionen an die Deutsche Regierung zu schicken. Dieser Aufruf
ging an die polnischen Botschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika, in
Italien, beim Vatikan, in Japan, in die Türkei und an die Gesandtschaften
in Spanien, in den Niederlanden, in Ungarn, Schweden, Shanghai, Jugoslawien,
Belgien, Norwegen, Dänemark, Bulgarien, Finnland, Portugal, Griechenland,
Brasilien, Mexiko und Argentinien. Eine Vielzahl von Akademien der
Wissenschaften u.a. in den Niederlanden, in Ungarn, Bulgarien, Italien,
Jugoslawien, Belgien, ausländische Wissenschaftler und Universitäten
beteiligten sich an den Interventionen zugunsten der Krakauer Professoren.
Ebenso protestierten der bulgarische Außenminister Iwan Popow, die
schweizerische Gesandtschaft in Berlin, die spanische Botschaft in Berlin, der
Gesandte des Königreichs Griechenland und die belgische Regierung. Der Krakauer Erzbischof Fürst Dr. Adam Stefan Sapieha nahm
innerhalb der polnischen Geistlichkeit eine bedeutende Position ein. Er trat
beherzt gegen die Nationalsozialisten auf und nahm großen Anteil an dem
Schicksal der Professoren der "Sonderaktion Krakau" und ihrer
Familien. Wegen seiner guten Beziehungen zum Vatikan, zur polnischen
Exilregierung und zu polnischen Untergrundorganisationen erhoffte man sich
besonders von ihm Hilfe. Am 10. Januar 1940 schieb Erzbischof Sapieha
persönlich an Frank und bat um Entlassung der Geistlichen unter den
Professoren. Ebenso wie Erzbischof Sapieha setze sich auch der Vatikan besonders
für die Freilassung der geistlichen Professoren ein und ihre
anschließende Ausreise nach Italien. Mehrmals traf wegen dieser
Angelegenheiten der apostolische Nuntius in Berlin, Monsignor Cesare Orsenigo
mit Ernst von Weizsäcker, dem Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes, zusammen. Die Italienerin Luciana Frassati, Tochter des Gründers und
Herausgebers der italienischen Tageszeitung "La Stampa", hatte durch
ihre Kontakte zu polnischen Intellektuellen großes Interesse an dem
Geschehen in Polen. Mit einem Diplomatenpaß reiste sie am 18. November
1939 nach Warschau und erfuhr dort Einzelheiten über die Verhaftungsaktion
in Krakau. Nach ihrer Rückkehr traf Luciana Frassati am 8. Januar 1940 mit
Mussolini zusammen und bat um Unterstützung für die verhafteten
Krakauer. Darauf entgegnete Mussolini: "Diese sogenannten modernen
Konquistadoren [ die Nationalsozialisten ] können nur vernichten
oder schändliche Taten vollbringen, wie die Inhaftierung der Professoren in
Oranienburg. Es ist sogar ein Achtzigjähriger unter ihnen. Das ist ein
Skandal! [...] Ich habe bereits Anweisung gegeben, in Berlin zu erklären,
daß ich so ein Vorgehen nicht akzeptiere, und ich denke, daß Berlin
das versteht und das so schnell wie möglich erledigt". Auf
Mussolinis Anweisungen setzten tatsächlich zahlreiche Interventionen ein,
die an das auswärtige Amt in Berlin gingen. Luciana Frassati führte
ihre Bemühungen weiter fort und reiste Anfang Februar noch einmal nach
Krakau und Warschau, wo sie auch von der Freilassung der älteren
Professoren erfuhr. Am 24. Februar 1940 führte sie ein weiteres
Gespräch mit Mussolini, dankte für seine Interventionen und
überreichte ihm ein Gemäldealbum. Nach ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen
am 8. Februar 1940 versuchten Stanislaw Lehr-Splawinski und Stanislaw Kutrzeba
bald, den im Lager Verbliebenen zu helfen. Sie kamen überein den
persönlichen Kontakt zwischen Vilim Francic und dem jugoslawischen
Gesandten in Berlin, Ivo Andric zu nutzen. Dieser hatte 1913 und 1914 Polonistik
an der Jagiellonen Universität studiert. Vilim Francic schrieb
zunächst an Ivo Andric, worauf sich dieser an das Auswärtige Amt des
Deutschen Reiches wandte und Vilim Francic die Reise nach Berlin
ermöglichte. Ferner gelang es Ivo Andric Einladungen der jugoslawischen
Akademie der Wissenschaften und Universitäten an die Krakauer Professoren
zu vermitteln. Da die erste Reise von Vilim Francic von keinem Erfolg
gekrönt war, reiste er im Juli 1940 ein weiteres Mal nach Berlin. Erneut
sollte er Persönlichkeiten für die Interventionen zugunsten der
Inhaftierten in Dachau und Sachsenhausen gewinnen. Zusammen mit Ivo Andric
besuchte Vilim Francic einen Empfang des italienischen Botschafters, Dino
Alfieri. Zu diesem Empfang waren neben Frank, Göring und weiteren
hochrangigen Nationalsozialisten auch die Botschafters neutraler Länder,
u.a. der Türkei, der Schweiz, Bulgariens, Ungarns, Schwedens und
Griechenlands, eingeladen, die teilweise von Ivo Andric über das weitere
Vorgehen informiert waren. Nach der Ankunft von Frank sprach Ivo Andric diesen
darauf an, wann mit der Rückkehr der restlichen in den Konzentrationslagern
verbliebenen Professoren zu rechnen sei und ob er Frank ein Memorandum
übergeben könnte. Geschickt verband Ivo Andric diese Frage mit Hinweis
auf die Zusammenarbeit zwischen den Professoren und jugoslawischen
Wissenschaftlern, die mit ihren begonnenen Arbeiten nicht fortfahren
könnten. Dino Alfieri trat zu ihnen und sprach in ähnlicher Weise zu
Frank. Auch er wolle Frank ein Memorandum bezüglich dieses Gesprächs
senden. Frank sagte zu beiden Anfragen kein Wort. Als noch der türkische
Botschafter Frank um die Freilassung von dem Turkologieprofessor Tadeusz
Kowalski bat, weil an diesem der Ruf an die Universität von Konstantinopel
gegangen sei, wandte sich Frank wortlos ab und verließ bald darauf den
Empfang. Angesichts dieses Abgangs und der darauf resultierenden Stille im Raum
erkundigte sich Göring nach der Ursache. Dino Alfieri erklärte ihm die
näheren Umstände und Göring bat um die Memoranden der
Botschafter. Nach diesem wenig erfolgreichen Empfang versuchte Vilim Francic in
Berlin an anderer Stelle neue Informationen über die Professoren zu
erhalten. Aus diesem Grunde wagte er es, in die Zentrale der Geheimen
Staatspolizei zu gehen. Dort fragte Vilim Francic, wann mit der Freilassung der
Inhaftierten der "Sonderaktion Krakau" zu rechnen sei. Ihm wurde
mitgeteilt, daß darüber keine Auskunft erteilt werde. Weil er sich
aber persönlich an die Gestapo gewandt hatte und weil man aus einem
Mißverständnis heraus annahm, Vilim Francic komme von der
jugoslawischen Botschaft, wurde das Aktenbündel der "Sonderaktion
Krakau" geholt. Man informierte ihn darüber, daß bereits viele
Interventionen zu der Sache eingegangen seien und die Häftlinge bald
entlassen werden würden. "Ich beschloß, alles auf eine Karte
zu setzen: wenn ich hier als Intervent aus der Botschaft eines neutralen Landes
betrachtet wurde, wenn es offensichtlich, und das ergab sich ja aus den Akten
und den Worten des ‚Chefs‘, noch mehr schriftliche Interventionen
gab und wahrscheinlich auch ebenso viele mündliche Interventionen
vorgetragen worden waren, so wie gestern in der italienischen Botschaft bei
Göring, dann erlaube ich mir doch die Bemerkung, die Ehefrauen der
Professoren bekämen dieses ‚Liedchen‘ schon seit ein paar
Monaten gesagt und ihre Männer seinen immer noch nicht zurückgekommen.
Als ich die Worte: ‚dieses Liedchen‘ sagte, änderte sich das
Verhalten des ‚Chefs‘ augenblicklich; er konnte sich nur schwer
zurückhalten, und seine Augen bohrten sich wie Messer in mich hinein; ich
fühlte, wie mir der Schweiß ausbrach und das Hemd am Rücken
klebte. Schließlich beherrschte er sich und sagte kalt: "Ich
wiederhole, in Kürze, bis zum Winter". Er erhob sich und ich stand
selbstverständlich auf [...]". Auf Geheiß von Tadeusz
Lehr-Splawinski traf sich Vilim Francic auch mit Max Vasmer, den bereits, wie
erwähnt, Frau Bednarska aufgesucht hatte. Max Vasmer, Professor für Slawistik an der
Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, war der erste deutsche
Wissenschaftler, der sich für die Freilassung der Wissenschaftler
einsetzte. Er trat an unterschiedliche Stellen, wie den ehemaligen deutschen
Botschafter in Warschau, Hans Adolf von Moltke und den ehemaligen Generalkonsul
in Odessa und Legationsrat im Auswärtigen Amt, Geheimrat Paul Roth heran.
Weitere Slawisten schlossen sich dank seiner Initiative den Interventionen an.
Nach seinen vielfältigen Gesprächen und Schreiben versprach er sich
aber größeren Erfolg, wenn über einflußreiche neutrale
Staaten auf die deutsche Regierung eingewirkt werde. "Später habe
ich dann über die Sache mit mehreren politisch völlig sicheren
Kollegen gesprochen, zu denen vor allem der Historiker Robert Holtzmann, der
Afrikanist Westermann, der Sinologe Haenisch und weiter die Naturwissenschaftler
von Laue und Otto Hahn gehörten. Da keinerlei direkte Kontakte mit den
maßgeblichen nationalsozialistischen Kreisen bestanden, beschlossen wir,
daß jeder von uns versucht, die Freilassung der Kollegen durch die
Vermittlung von bestimmten Bekannten zu erreichen. Einige reichten Eingaben bei
der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes ein. [...] Bei den Schweden und
den Holländern unternahmen wir keine direkten Schritte, wir brachten jedoch
eingereiste Vertreter dieser Völker dazu, bei sich zu Hause genau
darüber zu erzählen. Wir sprachen auch jugoslawische und bulgarische
Kreise an". Professor Diedrich Hermann Westermann, der bei den
Nationalsozialisten hoch angesehen und mit Max Vasmer bekannt war, intervenierte
für die Freilassung der Professoren Mierczyslaw Malecki und Tadeusz
Kowalski. Robert Holtzmann setzte sich für Wladyslaw Semkowicz ein. Auch
Max von Laue, Otto Hahn, Erich Haenisch, Professor Bernd von Arnim, die Dozentin
Margarete Woltner, Professor Johannes Stroux und Dr. Annemarie von Gabain
beteiligten sich an den Interventionen für einzelne Krakauer
Wissenschaftler. Professor Walter Hückel, der am chemischen Institut der
Technischen Hochschule Breslau arbeitete, wandte sich mit seiner Intervention
über den Direktor des Instituts an Rust, den Reichsminister für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbilidung. Der Leipziger Mathematiker Dr. Hasso
Härlen hatte 1928 seinen Kollegen Stanislaw Golab kennengelernt. Über
dessen Verhaftung berichtete ihm Stanislaw Golabs Ehefrau, die ihn gleichzeitig
um Unterstützung bat. Hasso Härlen verfaßte ein umfangreiches
Schreiben an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, in dem er sich nach
Stanislaw Golab, Tadeusz Wazewski und Tadeusz Banachiewicz erkundigte. In einem
Antwortschreiben setzte ihn das Auswärtige Amt davon in Kenntnis, daß
Tadeusz Wazewski und Tadeusz Banachiewicz bereits entlassen worden seien. Wenige
Tage später schrieb Hasso Härlen erneut an das Auswärtige Amt und
fragte nach Stanislaw Golab. Die Anfragen hatten zur Folge, daß sich
Heydrich einschaltete und das Auswärtige Amt darüber informierte,
daß "Stanislaw Golab sich in dem Konzentrationslager Dachau
befindet. Sein Gesundheitszustand gibt nach dem Zeugnis des Lagerarztes zu
Bedenken keinen Anlaß. Golab ist Angehöriger der Intelligenz, auf
deren Tätigkeit die Aufrechterhaltung des polnischen Widerstandsgeistes
nach dem polnischen Kriege im wesentlichen zurückzuführen ist. Seiner
Entlassung vermag ich z.Zt. nicht näherzutreten". Hasso
Härlen erreichte nur die Nachricht, daß der Gesundheitszustand von
Stanislaw Golab keinen Anlaß zur Besorgnis darstelle und mit seiner
Entlassung nicht zu rechnen sei. Hasso Härlen stand in brieflichen Kontakt
mit Heinrich Scholz, der Professor der Philosophie, Mathematik und
Naturwissenschaften an der Universität in Münster war. Professor
Scholz engagierte sich sehr für die Krakauer Wissenschaftler und sandte
eine umfangreiche Protestnote an die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes,
in der er sich ausführlich nach Professor Jan Salamucha erkundigte. Dieses
Memorandum wurde in den höchsten Stellen diskutiert, daß sich sogar
Außenminister Ribbentrop einschaltete. Aber erst nach einer nochmaligen
Anfrage, erhielt Professor Scholz eine abschlägige Antwort. Der
wissenschaftliche Leiter des von Frank gegründeten Instituts für
Deutsche Ostarbeit in Krakau, Dr. Gerhard Sappok intervenierte für seinen
früheren Lehrer Wladyslaw Semkowicz. Als disziplinarische Strafe
büßte er seinen Posten in dem Institut ein. Ebenfalls für
Wladyslaw Semkowicz setzten sich Josef Pfitzner, Professor für
osteuropäische Geschichte an der Universität Prag, und Dr. Fritz Arlt
ein. Fritz Arlt leitete die Abteilung für Bevölkerungswesen und
Fürsorge in der Stadthauptmannschaft Krakau. Sehr engagiert intervenierte
auch Professor Dr. Karl von Frisch, Direktor des Zoologischen Instituts der
Universität München, für Roman Wojtusiak, seinen ehemaligen
Studenten. Nach dessen Verhaftung stand Karl von Frisch im Briefkontakt mit der
Ehefrau von Roman Wojtusiak und versuchte dessen Freilassung aus dem
Konzentrationslager Dachau zu erwirken. Sein ehemaliger Student und Kommilitone
von Roman Wojtusiak, Dr. Walter Greite besuchte sogar das Lager und es gelang
ihm, im Beisein der Lagerführung mit Roman Wojtusiak zu sprechen. Letztendlich waren die Interventionen für die
Häftlinge der "Sonderaktion Krakau" erfolgreich. Sie
verdeutlichen das vielfältige Interesse an der Aktion und dem Schicksal der
Inhaftierten. Die Interventionen zeugen von einer Kollegialität,
Zusammengehörigkeit, Verbundenheit und Humanität in der schwierigen
Zeit des Zweiten Weltkrieges. Kein anderes Vorgehen der Nationalsozialisten
hatte diese Resonanz in der Weltöffentlichkeit. Die zahlreichen
Interventionen, die im Auswärtigen Amt in Berlin eingingen und gesammelt
wurden, die zahlreichen Pressemitteilungen und Berichte deutscher Diplomaten im
Ausland verursachten erhebliche Irritationen im Auswärtigen Amt. Die
antideutsche Stimmung im Ausland wurde wahrgenommen. Ernst Woermann,
Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, sah sich deshalb gezwungen,
mehrmals an Himmler zu schreiben und von diesem eine Stellungnahme zu den
Vorgängen zu erbeten. Die Frage, warum das Nationalsozialistische Regime
den Interventionen nachgab, kann trotzdem nicht befriedigend beantwortet werden.
Sicherlich hatte man nicht mit dieser Vielzahl von Protesten von hohen
Persönlichkeiten und verbündeten Staaten gerechnet. Bezeichnend ist
auch die von Frank am 30. Mai 1940 gemachte Aussage bei einer Polizeisitzung in
Krakau: "Was wir mit den Krakauer Professoren an Scherereien hatten, war
furchtbar. Hätten wir die Sache von hier aus gemacht, wäre sie anders
verlaufen. Ich möchte Sie daher dringend bitten, niemanden mehr in die
Konzentrationslager des Reiches abzuschieben, sondern hier die Liquidierung
vorzunehmen oder eine ordnungsgemäße Strafe zu verhängen. Alles
andere ist eine Belastung des Reiches und eine dauernde Erschwerung".
Diese Aussage bewahrheitete sich für andere polnische Wissenschaftler. Zu
Beginn des Zweiten Weltkrieges erhoffte Hitler immer noch einen Ausgleich mit
Großbritannien und mußte auf die Interventionen Rücksicht
nehmen, auch wenn ihn das von seiner eigentlichen Zielsetzung, der Vernichtung
der polnischen Intelligenz, abhielt. Eine Tagebuchaufzeichnung von Frank belegt
das indirekt: Mit dem Beginn des Westfeldzuges "sollte die Tatsache,
daß die Weltaufmerksamkeit auf die Westfront gerichtet ist, zur
Massenliquidation von Tausenden Polen, den führenden Vertretern der
polnischen Intelligenz, zuerst benutzt werden". Diese Aussage
bestätigt die sog. "Außerordentliche Befriedungsaktion",
die von Mai bis Juli 1940 durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Aktion
wurden im Generalgouvernement etwa 7000 Personen, Intellektuelle, mögliche
politische Gegner und Widerständler, verurteilte Kriminelle,
Berufsverbrecher und inhaftierte Polen, ermordet. Verstärkt richtete sich
diese Aktion gegen den polnischen Widerstand. Der Höhepunkt der geplanten
Vernichtung von allem "Fremdvölkischen" bildet der
"Generalplan Ost des Reichsführers SS", eine Gesamtkonzeption zur
Germanisierung in den bereits besetzten und zukünftig besetzten
Ostgebieten. Die Frage nach einem direktem Befehl zur "Sonderaktion
Krakau" muß verneint werden. Man kann nur von Annahmen ausgehen und
Rückschlüsse aus den Befehlen und Plänen ziehen, die
hinlänglich dargestellt wurden. Will man die Verantwortlichkeit an Namen
festmachen, so müssen sicherlich Hitler, Himmler, Heydrich, auch Six, Best,
Heinrich Müller, und Streckenbach genannt werden. Man kann auch davon
ausgehen, daß Frank von der Aktion gewußt hatte. Zwar bestritt er
bei dem Nürnberger Prozeß 1945/46 dieses Wissen, aber seine dortige
Aussage widerspricht seinen Worten vom 30. Mai 1940 und den Tatsachen. "Am
7. November 1939 bin ich nach Krakau gekommen. Am 5. November 1939, vor meiner
Ankunft, hat die SS und die Polizei die Krakauer Professoren, wie ich nachher
noch festgestellt habe, zu einer Sitzung zusammengerufen und hat daraufhin die
Männer, darunter würdige Greise, verhaftet und in irgendein
Konzentrationslager gebracht; ich glaube, es war Oranienburg. Diese Meldung fand
ich vor. Allem gegenüber, was allenfalls an Worten in meinem Tagebuch
steht, möchte ich hier unter Eid betonen: daß ich keine Ruhe gegeben
habe, bevor nicht der letzte dieser Professoren, den ich noch erreichen konnte,
im März 1940 wieder befreit worden war". Die "Sonderaktion Krakau" war sicherlich keine
spontane Aktion, aber sie war auch nicht bis ins kleinste Detail geplant. Der
Umstand, daß sich zwei Gestapobeamte kurz vor der Verhaftung ein
Vorlesungsverzeichnis mit den Namen und Adressen der Professoren in der
Universität beschaffen mußten, läßt den
Rückschluß zu, daß die Professoren nicht in dem
"Sonderfahndungsbuch Polen" gestanden haben. Dagegen spricht auch,
daß sie nicht bereits unmittelbar nach dem Kriegsbeginn verhaftet worden
sind. Aus diesen Gründen mußte sich Müller auch zunächst
einen Überblick bezüglich der Situation in Krakau und der
Wissenschaftler verschaffen. Dieses nahm eine gewisse Zeit in Anspruch, sonst
hätte er die Wissenschaftler früher verhaften können, zumal er
sich bereits ab September in Krakau aufhielt. Die Richtlinien über die
Verhaftung und das weitere Vorgehen waren Müller bereits vorher bekannt.
Gegen einen detaillierten Plan spricht auch der Zwischenhalt in den
Gefängnissen in Breslau. Da mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges eine
Funktionsänderung der Konzentrationslager124 eintrat und sie
überfüllt waren, mußte erst in Erfahrung gebracht werden,
welches der bestehenden Lager die Häftlinge aufnehmen konnte. Für die polnische Bevölkerung verkörperte die
"Sonderaktion Krakau" einen besonderen Akt des Widerstandes. Daß
eine Gruppe von Häftlingen dem nationalsozialistischen Terror standhielt,
daß viele der ehemaligen Häftlinge bald ihre Arbeit wiederaufnahmen
und ab 1942 in der Untergrunduniversität in Krakau unterrichteten, hatte
für den späteren polnischen Staat eine große Bedeutung. Zwischen
1942 und 1945 besuchten mehr als 1000 Studenten die illegale Universität in
Krakau, die wegen der Geheimhaltung häufig nicht von einander wußten.
Etwa 1300 Prüfungen wurden abgenommen, 62 Doktorwürden und 486 Grade
eines Magisters, Arztes oder Ingenieurs verliehen, so daß der neue
polnische Staat nach Beendigung des Krieges auf eine Anzahl von jungen
Akademikern bauen konnte, die es ohne die Untergrunduniversitäten nicht
gegeben hätte. Der heute bekannteste Student der Untergrunduniversität
Krakau war Karol Wojtyla, Papst Johannes Paul II.