Medienspiegel 2001-2021 (Presse- und Veranstaltungen, Aufnahme in Publikationen)
Uni-Radio
Berlin, Bericht und Interview zum Dahlemer Generalplan Ost, Nov. 1999
(mp3-file, 2,5 MB, sechs Minuten)
(Foto-)
Bericht Gedenkveranstaltung Lukow und Zamość,
Ostpolen, 6./7.07.2003
Foto von Mahnwache vor IPN-Gebäude in Warschau am 17.04.2012
Überraschung nach 78 Jahren: Moskauer
Aktenfund erzwingt Transparenz und ak. Friedensexkursion nach Osten,
23.08.2020
Planung von Terror gegen Mittelosteuropäer nicht strafbar? Beschwerde gegen
Berliner Museum eingereicht (10.3.20)
Bilanz
nach 13. SUR: Renaissance der märkischen Gutsherrschaft und des Junkertums
Jahrestag: 70 Jahre
tragisches Nürnberger Fehlurteil zum Generalplan Ost
Nachruf zum Tod des Ehrenvorsitzenden, Prof. Dr. Roland Köhler (1928-2014)
Pressemitteilung des VzVmMSOE zu fünf Jahren Informationsstele zum Generalplan Ost, 08.05.2013
Pressemitteilung des Vereins zur Voelkerverstaendigung
mit MSOE zum 70. Jahrestag des Generalplan Ost, 25. Mai 2012
Im Bundestag notiert: öffentliche Aufarbeitung des Generalplans Ost, hib, 21.6.2006
Wissenschaft als Waffe. Universität mit brauner Vergangenheit, taz Berlin, 18. Januar 2008
Pressemitteilung der Wall-AG zur Aufstellung Infostele GPO, 9. Mai 2009
Commemorating the Victims of "Generalplan Ost": Press declaration of Wall AG
Pressemitteilung der Wall-AG zur Aufstellung der Stele GPO, 9.5.2008
Pressemitteilung der Botschaft der Republik Polen in Deutschland, Mai 2008
AG Bildung gegen Rechts der GEW Berlin: “Fehlerhafte Aufarbeitung?!" 4. März 2009
Medwedew-Dekret, Umgang mit Geschichtsfälschung: FSB soll historische Wahrheit schützen. 19.05.2009
Universitätsgedenktag, Krakau, 5.11.2009 (word-doc)
Wissenschaft - Planung - Vertuschung. Veranstaltungsankündigung des AStA der Uni Münster, 4.1.2010
MdL Linda Teuteberg, FDP-Fraktion des Brbg Landtags will Partnerschaft mit Polen stärken, 18.1.2010
Staatsministerin Cornelia Pieper und MdL Linda Teuteberg (FPD), Potsdam, 23. März 2010
Matthias Burchard o propagowaniu idei Towarzystwa Pojednania Radio Lublin, interview of 27th of april 2010, http://www.radio.lublin.pl/index.php?site=news_details&id=75214
TV Lublin, dr W. Stepniewski, M. Burchard, 2010-04-27 or see link: http://ww6.tvp.pl/15999,20100427969914.strona
Gazeta Wyborcza Lublin: Dziesiecioletnia Walka o Prawde, 2010-04-29 (pdf-Datei)or see link: http://lublin.gazeta.pl/lublin/1,35640,7825721,Walka_o_prawde.html
M. Burchard w lubelskim Archivum, 2010-05-30 (pdf-Datei) or see link here: http://www.lublin.ap.gov.pl/?p=tresc&id=145
MdB M. Neumann (FDP): Redlichkeit im wissenschaftlichen Arbeiten rechtzeitig sensibilisieren (pdf-Datei)
IPN-International Conference on social engineering in Central Europe in the XX century
DLF-Radio: Wissenschaft im Dienst des NS-Staates, gesendet am 18.04.2012 hier als pdf-Dokument
Diplomatischer Eklat: die Bitternis im deutsch-russischen Verhältnis. Die Welt, 21.06.2013
Nach Merkel-Besuch: Russen sehen sich im Streit um Beutekunst als Sieger. Die Welt, 22.06.2013
Deutsche Familie gibt Raubkunst an Russland zurück, Leipzig, 18. Nov. 2013
die rbb-Reporter: HART AN DER GRENZE, Dokumentation, Erstausstrahlung 28.01.2014
Deutschland und Russland: Petersburger Dialog in der Krise. Tagesspiegel, 10.10.2014
Wir verlieren Russland. Plädoyer für einen Neuanfang der Beziehungen, von Martin Hoffmann
Reinhard Strecker, the man who exposed German judiciary's Nazi past, DW, 26.01.15, by B. Knight
Zweiter Weltkrieg Zehn Millionen Euro für frühere sowjetische Kriegsgefangene, FAZ, 20.05.15
Zoff um Putin`s >schwarze Liste<: EU Parlamentspräsident Schulz ist bestürzt - und droht Russland, 30.05.2015
Schaden uns die Russland-Sanktionen? heute-journal, 19.06.2015
Russland-Kurs: Bahr und Gorbatschow fordern deutsche Eisbrecher-Mission
Botschaft der Republik Polen in Deutschland und Zentrum für Historische Forschung der PAN Berlin, 16.07.2016
Für ein Denkmal zum Gedenken an die polnischen Opfer der NS Besatzung –Interview, 15.11.2017
Folgen des Zweiten Weltkriegs: Polen will 685 Milliarden Euro Kriegsreparationen, DW, 7. März 2018
Reparationen: Entschädigungsforderungen auch aus Polen, Die ZEIT, 18.April 2019
Bundestag stärkt Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs, Bericht vom 9.10.2020
Bundestag stärkt das Gedenken, Video-Plenardebatte 9. Oktober 2020
Pläne für Gedenkstätte: Späte Würde für sowjetische Kriegsgefangene. F.A.Z., 19. Okt. 2020
Bundestag will Gedenkort in Berlin für polnische Weltkriegsopfer, Bericht, 30. Okt. 2020
Geplanter Polen-Gedenkort in Berlin: Hoffnung für deutsch-polnische Beziehungen, DLF 26.01.2021
Aufarbeitung erwünscht: Antrag an den Fachbereichsrat der TU Berlin
(zum Dahlemer Generalplan Ost)
Berlin-Dahlem-Charlottenburg, im Juni/Juli 1992
Vorbemerkung: der nachfolgende Text wurde als informeller Antrag in
allen Instituten des Fachbereichs 15 (Internationale Agrarentwicklung) der
TU Berlin am Standort Dahlem mehrere Wochen ausgehängt und dabei von 16
(eins-sechs) Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen
unterschrieben, die Originalunterschriften wurden später im Dekanat der
neuen fusionierten HU-Agrarfakultät in der Invalidenstr. 42 in Berlin-Mitte
abgegeben. Der Text des Antrags wurde auch in der studentischen Zeitung
WIDERSPRUCH in einer Auflage von sechshundert Stück gedruckt und zum
Sommerfest im Garten des Instituts Im Dol Ecke Pacelliallee verteilt,
Originalansicht hier
Aufarbeitung erwünscht: Antrag an den
Fachbereichsrat
Die Humboldtianer müssen schon zwei Jahre nach der Wende ihre zehn- oder
zwanzig Jahre alten Veröffentlichungen knallhart zur Evaluierung auf den
Tisch legen. Um die neuen Dogmen des Zeitgeistes und die Begrenztheit des
eigenen Standpunktes etwas zu durchbrechen, ist ein größeres
Geschichtsbewußtsein hilfreich für jeden guten Wissenschaftler. 47 Jahre
nach Kriegsende sollte es daher möglich sein, die vorsichtige Offenlegung
und Dokumentation der Dahlemer NS-Agrarökonomie einzuleiten. Aus obigen
Gründen unterstütze ich daher folgenden Antrag an den Fachbereichsrat:
1) Beginn der Erforschung und breiter Dokumentation der NS-Agrarökonomie
2) (Öffentliche) Erklärung zur NS-Agrarökonomie in Dahlem mit Ausdruck der
heutigen Betroffenheit über die Beteiligung von Berliner
Agrarwissenschaftlern an der damaligen Vernichtungspolitik (ohne
Namensnennung)
3) Durchführung eines ganztägigen Fachbereichstags zu obigen Thema im Januar
1993 mit vielleicht folgendem Programm:
- geeignete Gastvorträge und Podiumsdiskussionen geladener Wissenschaftler
- Dahlemer Ortsbegehung und Anbringung einer geeigneten Gedenktafel am IAS
[Institut für Agrarbetriebs- und Standortökonomie] Im Dol 27/29
- Lebensbericht eines überlebenden Zeitzeugen (russ. Zwangsarbeiter,
Berliner Jude,...)
- abends: gemeinsames Winterfest
Universität erinnert an "wissenschaftliche Zwangsarbeiter"
Berlin (epd). Mit einer Gedenktafel im Veterinär-Hauptgebäude will die Studentenvertretung der Humboldt-Universität in Berlin auf die Opfer des sogenannten "Generalplan Ost" der Nationalsozialisten aufmerksam machen. Die Tafel, die am Sonnabend enthüllt werden soll, erinnere unter anderem an etwa 2.500 im Gefängnis Plötzensee hingerichtete Menschen, deren Leichen im anatomisch-biologischen Universitätsinstitut zwischen 1938 und 1945 "entsorgt" wurden, hieß es in einer Mitteilung des Studentenparlament vom Freitag.
Im Anschluss an die Enthüllung sei ein Demonstrationszug zur US-amerikanischen Botschaft und vor das Haus der Deutschen Wirtschaft geplant, um die Korrektur eines Urteils aus den Nürnberger Prozessen zu fordern. Nach einem "zweifelhaften" Prozess im Jahre 1948, so die Studentenvertretung, sei damals der hauptverantwortliche Wissenschaftler für den "Generalplan Ost" freigesprochen worden. Vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft solle zu einer "schnellen, praktischen Entschädigung" der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter gemahnt werden. Hinter dem "Generalplan Ost" hat den Angaben zufolge die mehrjährige wissenschaftliche Planung von Zwangsarbeit und Genozid für rund 25 Millionen Menschen gesteckt, die als "rassisch unerwünscht" galten. (0434/26.01.01)
Am Anatomischen Institut der Humboldt-Universität will die Studentenvertretung auf die Opfer des so genannten "Generalplan Ost" aufmerksam machen. Die Tafel, die am heutigen Sonnabend um 12 Uhr in der Luisenstraße 56 enthüllt wird, erinnert unter anderem an etwa 2.500 in Plötzensee hingerichtete Menschen, deren Leichen im Universitätsinstitut bis 1945 "entsorgt" wurden.
Berliner Studenten wollen Wissenschaft an NS-Verstrickung erinnern
Berlin (epd). Mit einer Demonstration durch die Berliner Innenstadt wollen Studierende der Universitäten in der Bundeshauptstadt am kommenden Montag auf die Mitschuld von Wissenschaftlern an Zwangsarbeit und Völkermord während der NS-Zeit aufmerksam machen. Anlass sei der von der Berliner Universität vor 59 Jahren herausgegebene "Generalplan Ost", der nicht nur acht Milliarden Stunden Zwangsarbeit, sondern auch den Mord an ganzen Bevölkerungsteilen in Mittel- und Osteuropa vorsah, betonten Vertreter der Studentenschaft am Donnerstag zur Begründung.
Von den historischen Hauptbeteiligten an dieser Planung sei die Forschung über NS-Widerstand sowie eine angemessene Dokumentation und Publikation zum "Generalplan Ost" immer wieder verzögert worden. Auch fehle bis heute von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die finanzieller Träger des ehemaligen Dahlemer SS-Planungsamtes gewesen sei, sowie von der Humboldt-Universität als Nachfolgerin der damaligen Berliner Alma mater eine eindeutige Stellungnahme zu den Vorgängen.
Darum solle die Demonstration vom Universitätsgebäude in der Luisenstraße 56 zur amerikanischen Botschaft in der Neustädtischen Kirchstraße und von dort zum Sitz der Forschungsgemeinschaft in der Markgrafenstraße führen. Den Abschluss bilde eine Kundgebung vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft in der Breiten Straße, wo gemeinsam mit Opferverbänden die sofortige Auszahlung der Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter angemahnt werden solle. (2256/24.05.01)
Ausstellung zum NS-Generalplan Ost in Berliner Humboldt-Universität,
Berlin (epd). Zur Geschichte des so genannten "Generalplan Ost" der Nationalsozialisten wird am Donnerstag im Studentencafe "Flora Soft" der Berliner Humboldt-Universität eine Ausstellung eröffnet. Die Schau thematisiere zudem die Widerstände innerhalb der Hochschule gegen die Aufarbeitung der "schwersten Verbrechen in der Wissenschaftsgeschichte", sagte Mitinitiator Matthias Burchard von der Studentenvertretung der Universität am Mittwoch auf Anfrage.
Hinter dem "Generalplan Ost" verbirgt sich den Angaben zufolge die mehrjährige wissenschaftliche Planung von Zwangsarbeit und Genozid für rund 25 Millionen Menschen, die als "rassisch unerwünscht" galten. Eine Version des Planes sei vor 59 Jahren vom Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität erarbeitet worden. Darin sei unter anderem der Mord an ganzen Bevölkerungsteilen in Mittel- und Osteuropa vorgesehen gewesen.
Ferner werde in der Ausstellung die Initiative der Studentenvertretung für eine Gedenktafel im Veterinär-Hauptgebäude der Universität geschildert. Sie sollte an rund 2.500 im Gefängnis Plötzensee hingerichtete Menschen erinnern. Die Opfer sollen ab 1938 in dem damaligen Anatomisch-Biologischen Institut in der Luisenstraße in Berlin-Mitte zu Forschungszwecken missbraucht worden sein. Kurz nach ihrer Anbringung im Januar dieses Jahres sei die Tafel auf Anweisung des Präsidialamtes der Humboldt-Universität wieder entfernt worden. (3024/11.07.01)
von Andreas Krause, Berliner Zeitung, 26.07.01
Der Agrarwissenschaftler und ehemalige SS-Obersturmbannführer Konrad Meyer (1901-1973) schrieb gegen Ende seines Lebens: "Der Sieg der deutschen Waffen bot die geschichtlich einmalige Chance, die völkische Gemengelage zwischen Deutschen und Polen durch planmäßige Umsiedlungen zu bereinigen und durch ein langfristiges Landentwicklungsprogramm die "Teufelsgrenze" im Osten, die immer wieder in der Geschichte Konfliktstoff geboten hatte, abzubauen."
Eine, aber eben nur eine Version dieses ab 1939 unter Federführung von Heinrich Himmler für die Länder Osteuropas entwickelten und auf 25 Jahre angelegten Programms wurde in Konrad Meyers Berliner Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik mit finanzieller Unterstützung der DFG erarbeitet, am 28. Mai 1942 vorgelegt und unter dem Namen "Generalplan Ost" berühmt und berüchtigt. Dem knapp siebzigseitigen Strategiepapier über "Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus" ist eine kleine, leider sehr fahrig geratene Ausstellung in dem studentischen Café "Flora Soft" gewidmet, die die Fachschaft der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität erarbeitet hat.
Eine Gedenktafel, drei Plakate und sieben Bilderhalter mit Fotokopien von der Denkschrift sowie von propagandistischen Pressestimmen dokumentieren die rücksichtslose Raum- und Siedlungsplanung samt Mustersiedlungen für das besetzte Polen. 25 Millionen Einheimische waren zur Vertreibung und Vernichtung vorgesehen, und von der polnischen Bevölkerung galten 95% als "nicht eindeutschungsfähig". Daneben war die "Reichserzeugungsschlacht" landwirtschaftliche Autarkiepolitik in Erinnerung an den Hunger im Ersten Weltkrieg. Um die Fotokopien zu entziffern, muss man sich weit über die Sessel des Cafés beugen. Die Prüfungen warfen wohl ihre Schatten voraus, deshalb ist Nachsicht geboten, aber andererseits wurde die Unternehmung der Presse mitgeteilt und soll also ernst genommen werden. Da vor allem die Verstrickung der eigenen Fakultät ins Visier genommen wurde, ist die Darstellung des Generalplans Ost aber nicht ansatzweise dem Thema gerecht geworden.
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist enorm, wie man an den Forderungen sieht, die in Anbetracht der Hausgeschichte der Agrarwissenschaftlichen Fakultät aufgestellt werden. Dieser Zusammenhang erschliesst sich indes nicht aus der Ausstellung, sondern aus einer Sondernummer der Zeitung der studentischen Selbstverwaltung namens "Huch!" mit dem rätselhaften Titel "Universität ohne Vergangenheit", worin Matthias Burchard über den Generalplan Ost und seine "Verdrängungsgeschichte" berichtet, welcher er 2002, also zum 60. Jahrestag mit einer Dauerausstellung begegnen will.
Der Tenor des "Huch""-Editorals geht so: Denkmalsockel sind zwar albern, aber wehe, die Uni ehrt eine Widerstandskämpferin, ohne sie auf selbige draufzustellen und das Wort "Widerstandskämpferin" mit großem Binnen-"i" zu schreiben. Die Fachschaft, sofern der energisch vorpreschende Matthias Burchard denn für sie spricht, verlangt mehr als die 1998 vorgenommene Rehabilitierung von 53 einst verfolgten Wissenschaftlern. In Anlehnung an das Otto-Suhr-Institut an der FU, wo eine Gedenktafel an die Geschichte des Kaiser-Wihelm-Instituts für Anthropologie, Erblehre und Eugenik erinnert, soll eine Gedenktafel an Meyers ehemaligem Institut in Dahlem geändert werden, weil das heute dort untergebrachte HU-Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus (WiSoLa) nur an den liberalen Agrarökonomen Friedrich Aereboe (1865-1942) erinnert.
Ersatzweise hat Burchard auf eigene Faust am 3. Februar 2000 in der Luisenstraße 56, im heutigen Hauptsitz des Instituts WiSoLa, aus Anlass einer Gedenkveranstaltung für den 1933 vertriebenen Agrarwissenschaftler Karl Brandt eine Tafel "zur Dokumentation des wohl schwersten Verbrechens in der Wissenschaftsgeschichte" angebracht. Sie wurde von der Universität entfernt und die Wiederanbringung am 26. Januar 2001 vom Präsidialamt der HU untersagt.
Eine Nachbildung dieser Tafel hängt nun im Café "Flora Soft". Sie erinnert zwar an die Beschlagnahme und Überführung von rund 800.000 polnischen und jüdischen Betrieben 1940/41 in den Ostgebieten durch das Zentralbodenamt mit seinen 29 Außenstellen. Aber dieses Amt saß, wie die Tafel auch sagt, in der Friedrichstraße 110/112. In der Luisenstraße wurden vom Biologisch-Anatomischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität 2.500 Leichen von Hingerichteten aus dem Gefängnis Plötzensee untersucht und verbrannt. Auch das teilt die Tafel mit, aber es hat wenig mit dem Generalplan Ost zu tun. Auch Hinweise auf die Beteiligung von Agrarwissenschaftlern an der Besatzungspolitik in Frankreich und Norwegen belegen noch nicht den kühnen Schluss, eine "Bilanz über die Geschichte der Landbauwissenschaft in Deutschland und der Berliner Landwirtschaftswissenschaftlichen Fakultät während der zwölf Jahre andauernden Zeit der NationalsozialistInnen" (!) könne "nur vernichtend" ausfallen".
Da weder die Ausstellung noch der Beitrag in "Huch!" auf die im Anfangsstadium verbliebene Durchführung des Generalplans Ost eingehen, bleibt unklar, auf welche Weise sich die Wissenschaftler ihrer Verantwortung entledigt haben könnten. Burchard verlangt nicht nur ein "statement of interest" der US-Regierung (und bietet auf der Internetseite des Projekts vorformulierte Unterstützerbriefe an), Meyers Freispruch im Nürnberger "Volkstumsprozess" von 1948 zu korrigieren. Er verlangt auch "Forscherzentren zu NS-Widerstandsforschung unter allen universitären Statusgruppen und dem Generalplan Ost".
Das vaterländische Schwänzchen der Tafel erhellt schließlich das Konzept: "Jeder Mensch hat einen Namen. Jeder Mensch ist einmalig, wertvoll und potentiell kreativ unabhängig von Ethnie, Geschlecht, Nationalität oder kultureller Prägung." Da liegt es wohl nahe, sich mehr für vergangene Fantasiewerte zu interessieren als für greifbare historische Zusammenhänge.
"Generalplan Ost" im Café "Flora Soft", Invalidenstr. 42, Hinterhof, dienstags von 14 bis 18.00 Uhr.
Die heutige Leitung der Humboldt-Universität reagiert nicht sehr freundlich, wenn sie an gewisse Details der Geschichte dieses Hauses erinnert wird. Seit mehr als einem Jahr bemühen sich Studenten, im Hof des Universitätsgebäudes in der Luisenstaße 56 eine Gedenktafel anzubringen, die an Massenmord und Zwangsarbeit, an Landraub und Herrenmenschentum und an die Beteiligung deutscher Professoren an Plänen solcher Art erinnern sollte. Die Tafel hing sogar schon. Und wurde prompt auf Weisung der Universitätsleitung abmontiert. Einen neuen Versuch in diesem Jahr unterbanden die Uni-Chefs durch ein Verbot. Der Diplomagraringenieur Matthias Burchard (Foto), selbst einst Student bei Humboldts, zeigte mir einen Brief vom Präsidenten der Universität, in dem ihm die Anbringung einer Gedenktafel strikt untersagt wurde. Vor Jahren war Matthias Burchard darauf gestoßen, was sich zu Beginn der 40er-Jahre am Agrarinstitut der Berliner Universität getan hatte und worüber die heutige Leitung der Universität getan hatte und worüber die heutige Leitung der Universität offenbar immer noch Gras wachsen lassen möchte. Beauftragt von Himmler gab das Agrarinstitut im Mai 1942 eine 64-seitige Version des Generalplan Ost heraus, der im Rahmen der nazistischen Neuordnung Europas millionenfachen Hungertod, Zwangsarbeit und Abschiebung in Hungerzonen vor allem für polnische und russische Zivilisten vorsah. Von 1939 bis 1944 wurden hier unter Leitung von Prof. Konrad Meyer, der auch den Titel eines SS-Oberführers trug und in Personalunion auch Chef des Planungsstabes beim Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums war, "wissenschaftliche Pläne" entwickelt, die die zwangsweise Umsiedlung, Vertreibung und Ermordung von 25 bis 50 Millionen Menschen Osteuropas vorsahen, die als "rassisch unerwünscht" galten. So richtete sich der mörderische Rassismus der Nazis im Osten nicht allein gegen die Juden, sondern gegen Dutzende von Millionen Slawen. Schon 1941 hatte Prof. Meyer in der Studentenzeitung "Die Bewegung" verlangt, den Raum im Osten "bis ins Kleinste restlos einzudeutschen", bis "alles fremde Blut ... restlos entfernt ist." Eben das sah die von seinem Institut erarbeitete Fassung des Generalplan Ost vor. Danach wurden als "Nichteindeutschungsfähige" und "rassisch Unerwünschte" insgesamt 30,7847 Millionen Menschen bezeichnet. Über 30 Millionen! 80.000 Goralen sollten dagegen durch "systematische Auslese und Leistungszucht gewonnen werden". Vorgesehen war auch, die Bevölkerung Leningrads von 3,2 Millionen sowjetischer Bürger auf 200.000 "germanische", städtische Siedler zu verringern. 1948 ließen die Amerikaner den SS-Oberführer Prof. Meyer laufen, den sie noch in Nürnberg vor Gericht gestellt hatten. Für die heutige Leitung der Humboldt-Universität kann das schwerlich ein Argument sein, die Wahrheit nach wie vor zu scheuen, die der einstige Student ihrer Universität Matthias Burchard ans Licht gebracht hat. Die studentische Fachschaft der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät will jetzt die inkriminierte Gedenktafel an anderer Stelle anbringen. Ein Anlass wäre das 120-jährige Jubiläum der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Da auch aus diesem Anlass die negativen Seiten der Universitätsgeschichte weitgehend ausgeblendet werden sollen, wollen die Studenten in einer kleinen Ausstellung an den Generalplan Ost erinnern. Im Übrigen: Warum kann der Präsident der Humboldt-Universität nicht Matthias Burchard zur gemeinsamen gründlichen Erforschung auch des dunkelsten Kapitels der Universität einladen!? Die Brüder Humboldt würde es freuen.
Die Wahrheit kann schmerzlich sein. Besonders, wenn eine ehrwürdige Lehranstalt wie die Humboldt-Universität als Rechtsnachfolger der Berliner Universität und andere wissenschaftliche Einrichtungen davon betroffen sind. Zwei Veranstaltungen beschäftigen sich jetzt mit einem schwarzen Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte, der so genannten Rassenbiologie. Sie bildete die Grundlage für den berüchtigten Generalplan Ost, mit dem die SS gigantische Vertreibungs- und Umsiedlungspläne für den osteuropäischen Raum konzipierte, von dem 25 bis 50 Millionen Menschen betroffen waren. Die "Raumplanung" beschäftigte sich als Wissenschaftszweig mit der Neuaufteilung Osteuropas nach dem "Endsieg". Es betraf besetzte Gebiete in Polen, den baltischen Staaten, Belorusslands, der Ukraine bis zur Krim.
Mit dem "Generalsiedlungsplan" vom Oktober 1942 legte die SS fest, dass etwa 31 Millionen Menschen in Osteuropa als "rassisch unerwünscht" und "nicht eindeutschungsfähig" eingestuft wurden. Sie sollten innerhalb von zehn Jahren ermordet, vertrieben oder zur Sklavenarbeit eingesetzt werden. Weitere 14 Millionen Menschen, die in diesem Raum lebten, wurden als "eindeutschungsfähig" betrachtet. Der eroberte Raum sollte durch vier Millionen Volksdeutsche "germanisiert" werden. Zwischen dem SS-Planungsamt, dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft bestanden enge Verpflechtungen. Die Wissenschaft lieferte die Vorlage.
Einer, der sich seit Jahren für die Wahrheit engagiert, ist der Agraringenieur Matthias Burchard. Seine Bemühungen, mit einer Gedenktafel an der Humboldt-Universität an das Mitwirken von Wissenschaftlern an die Naziverbrechen zu erinnern, scheiterten bisher am erbitterten Widerstand der Universitätsleitung. Eine Gedenktafel, die Burchard am Gebäude in der Luisenstraße 56 anbrachte, wurde wieder entfernt, Anträge auf Anbringung zurückgewiesen. Insofern stellt die heute beginnende Veranstaltungsreihe einen wichtigen Erfolg zur Aufarbeitung der Berliner Wissenschaftsgeschichte dar.
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Alternativer Wissenschaftsherbst, heute Beginn 16.00 Uhr, Humboldt-Universität, Hörsaal 7, Hinterhof Invalidenstraße 42. "Wissenschaft ohne Ethik" und am 23.11. Freie Universität, Hörsaal 1a, Habelschwerdter Allee 45, Podiumsdiskussion "Bedeutet das Eingeständnis des Generalplan Ost einen Reputationsverlust für die Berliner Wissenschaft oder einen Gewinn an staatsbürgerlicher Glaubwürdigkeit?
Unter den Linden 6, 10099 Berlin
Einladung zur erstmaligen Stellungnahme zum radikalgenozidalen Berliner Generalplan Ost (1942) auf der Podiumsdiskussion am 23.11.01, 18.00 h, Hörsaal 1a, Rostlaube, Freie Universität Berlin
Sehr geehrter Herr Präsident Mlynek,
seit 1996 bemühe ich mich als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter um eine zusammenhängende Dokumentation des Berliner Generalplan Ost (1942). Seit Ihrem Amtsantritt als Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin sind Sie etwa zehnmal zum Thema unterrichtet worden. Der wissenschaftlich getragene Generalplan Ost kann rechtlich wohl als "Beihilfe zum Völkermord aus niederen Beweggründen" bezeichnet werden und wird als eines der schwersten Verbrechen in der Wissenschaftsgeschichte angesehen. Im Rückblick der letzten 12 Monate kann ich mich des Eindrucks einer Verweigerung von Transparenz nicht ganz entziehen:
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1940-1945 in Berlin-Steglitz ansässig, unterstützte mit 1-2% des damaligen Jahresetats sehr grosszügig die moderne Raum-und Siedlungsplanung im Dahlemer SS-Planungsamt beim RFSS H. Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF). Am 29.10.1942 wurde dort der "Generalsiedlungsplan" herausgegeben, welcher explizit 30,7 Mio Mittel- und Osteuropäer als "nicht eindeutschungsfähig" klassifizierte und somit potentiell freigab für Zwangsarbeit oder Hungertod. Der begleitende Schriftverkehr war mit dem Zusatz "geheim" versehen. Obgleich die DFG-Fördersumme an das SS-Planungsamt (RKF) 1991 bei G.Aly/S.Heim (Vordenker der Vernichtung, Hamburg, S. 438) mit "weit mehr als einer halben Million Reichsmark" angegeben wurde, sank der bei Prof. Notker Hammerstein 1999 genannte DFG-Förderbetrag überraschend auf 250.000 Reichsmark (Die Geschichte der DFG, München, S.378/378). Artikel 1 unseres Grundgesetzes verpflichtet zum Schutz von Menschenwürde, und Artikel 12, Abs. 2 und 3 verbietet Zwangsarbeit. Stehen die Interessen des Stifterverbandes der Dt. Wirtschaft für die Dt. Wissenschaft oder die Gewinnerwartung der Dt. Forschungsgemeinschaft in der embryonalen Stammzellenforschung über der Verpflichtung unseres Grundgesetzes? Ein renomierter Völkerrechtler der Humboldt-Universität wies im Nov. 2000 in der Berufungsverhandlung gegen ein früheres ZK-Mitglied die jedem Menschen innewohnende Einsehbarkeit von schweren Unrechtshandlungen völlig unabhängig vom aktuellen nationalen Recht als justiziabel nach. Der gleiche Völkerrechtler lehnte eine Kurzbefürwortung der Aufklärung des Generalplan Ost ab und erklärte die NS-Zwangsarbeit leistenden italienischen Militärinternierten in einem Auftragsgutachten definitorisch für nicht entschädigungs-berechtigt. Existiert für Sie überhaupt noch einen Bildungsauftrag, der etwas mit Vermittlung von Werten und Orientierungswissen zu tun hat? Im Namen unserer Verfassung, Herr Präsident Mlynek, möchte ich Sie hiermit bitten, die in der Zeit des Nationalsozialismus auferlegte Schweigeverpflichtung zu brechen und am 23.11.01 an der Freien Universität eine eindeutige Erklärung zum Berliner Generalplan Ost (1942) abzugeben.
Mit freundlichen Grüssen M. Burchard
PS: Verifizierende freundliche Kurzanfragen an das Präsidialamt der Humboldt-Uni sind erwünscht (e-Mail: praesident@hu-berlin.de , Tel: 2093-2100; Fax: 2093-2729) oder an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Kennedyallee 40, 53175 Bonn, e-Mail: postmaster@dfg.de
Absender: M. Burchard c/o Bund der Antifaschisten (Dachverband), Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
UnterstützerInnen:
arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität (akj); Aktionsbündnis Entschädigung für ZwangsarbeiterInnen; AStA der Freien Universität Berlin; Museum Berlin-Karlshorst; Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime; Internationales Sachsenhausen-Komitee e.V.; Studentisches Referat Antifaschismus der Humboldt-Universität; Studentische Fachschaft Geschichtswissenschaft, Freie Universität Berlin
Belastung durch Nazi-Plan
Berliner
Tagesspiegel, 30.01.2002 Seite 27
Im kommenden Mai vor 60 Jahren wurde an der damaligen
Friedrich-Wilhelms-Universität Unter den Linden der "Generalplan Ost"
erarbeitet. Er sah die Ausbeutung der eroberten Gebiete in Osteuropa für die
deutsche Großraumwirtschaft vor. Dieser Plan ist nicht etwa von der SS unter
der Verantwortung Heinrich Himmlers entwickelt worden, sondern ihn hat der
damalige Professor an der Friedrich-Wilhems-Universität, Konrad Meyer, zusammen
mit anderen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen entworfen. Damit steht
die heutige Humboldt-Universität auch in der Verantwortung fuer die
Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte. Aus diesem Grund wird die
Humboldt-Universität eine Kommission einsetzen. Ein entsprechender Antrag der
Studentenvertretung wurde gestern im Akademischen Senat befürwortet. Außerdem
wird im Juni von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine Tagung in Dahlem
veranstaltet, die sich ebenfalls der Aufarbeitung des "Generalplan
Ost" widmet. Diese Tagung unter Verantwortung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft dient ebenfalls der
Aufarbeitung der Geschichte - in diesem Fall der Vorgängereinrichtung der DFG.
HU-Präsident Mlynek betonte, dass auch die dunklen Seiten der Geschichte der Universität aufgearbeitet werden müssen, wenn die Humboldt-Universität das 200-jährige Jubiläum ihrer Gründung im Jahre 2010 angemessen begehen will. (Uwe Schlicht)
Berliner
Morgenpost, 1.2.02 Seite 22
Erst
jetzt wurde bekannt: Vor 60 Jahren muss Prof. Konrad Meyer ein hochrenomierter
Vertreter der Friedrich-Wilhelms-Universität (jetzige Humboldt-Universität)
gewesen sein. Im Auftrag der Reichsregierung erarbeitete der
Landwirtschaftswissenschaftler im Frühjahr 1942 streng „wissenschaftlich“
den „Generalplan Ost“, der durch großangelegte Zerstörungen im Sinne der
rassistischen Ideologie in Osteuropa den Weg bereiten sollte für eine deutsche
Großraumwirtschaft. Die Kosten waren penibel kalkuliert, einschließlich acht
Milliarden Stunden Zwangsarbeit und der Ermordung von 25 Millionen „nicht
eindeutschungsfähiger“ Menschen.
Meyers
Plan war nicht die Aktion eines einzelnen Wissenschaftlers, die Universität als
ganzes hat ihn unterstützt und ihm zugearbeitet, erklärte Studentenvertreter
Rainer Wahls im Akademischen Senat. Ohne Gegenstimmen setzte das Gremium eine
Kommission ein, die „eine angemessene Form des öffentlichen Gedenkens
entwickeln“ soll. Die Aufgaben der Kommission sind groß: Da wäre etwa die
anatomische Lehrsammlung der Charité: Ihr Bestand ist offenbar großenteils
durch die Massenhinrichtungen des Nationalsozialismus ermöglicht worden. Wahls
zitierte aus einem Protokoll der Gefängnisanstalt in Plötzensee, demzufolge
die Vollstreckung der Todesurteile auf 20 Uhr vorverlegt wurde. „Ein späterer
Zeitpunkt wäre für das Anatomische Institut untragbar, weil die Bearbeitung
der Leichen für die Forschung sich zu spät in die Nacht hinein ausdehnen würde,
so dass die beteiligten Ärzte nicht mehr mit den Verkehrsmittteln nach Hause
kommen könnten“ (Horst
Christians)
Auf Antrag der Liste Offene Linke an der HU/Stiftungsinitiative 10. Mai hat der Akademische Senat am 29.1. die Einrichtung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die dem AS Vorschläge für den öffentlichen Umgang mit Verstrickungen der Universität in der NS-Vernichtungspolitik erarbeiten soll.
Dazu gehört auch die Mitwirkung der Universität beim sog. "Generalplan Ost" und die Nutzung der NS-Justiz beim Neuaufbau der anatomischen Lehrobjektsammlung. "Die Humboldt-Universität hat den Anspruch, sich kritisch und offen mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen", heisst es in dem Beschluss.
Der AS wird eine Arbeitsgruppe bilden, die die beteiligten Fachwissenschaften und die historische Fachkompetenz anhören soll, die offenen Fragen wissenschaftlich zu klären, gegebenenfalls in universitätsöffentlichen Anhörungen oder einem wissenschaftlichen Symposium erarbeiten wird. Außerdem sollen Vorschläge für Formen und einen möglichen Ort des Gedenkens, z.B. einen Text für eine Erinnerungstafel, wissenschaftliche Arbeiten und andere Formen des Erinnerns gemacht werden.
Weitere Infos: anke-michaelis@uv.hu-berlin.de
Berlin. Mit einer Open-Air-Ausstellung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus protestierten mehrere antifaschistische und studentische Initiativen am Freitag-Nachmittag dagegen, daß einer kritischen Ausstellung zur Rolle der Wissenschaft bei der Konzeption des Nazi-Generalplans Ost an Berliner Universitäten die Räume verweigert wurden. „Trotz monatelanger Bemühungen waren weder die Universitäten noch die Senatsverwaltung für Wissenschaft in der Lage, geeignete Ausstellungsräume zur Verfügung zu stellen“, kritisierte Matthias Burchard, Sprecher der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, in einer Pressemitteilung. Am 21. und 23. Mai findet um 20.00 Uhr im Martin-Gropius-Bau eine Veranstaltung über die mörderischen Konsequenzen des Generalplans statt. (jW)
taz, 18./19.05.02, (Berlin-Teil)
Wenn es schon, wie seit dem Champions-League-Finale offensichtlich ist, kein Fußballgott gibt – vielleicht gibt es dann ja einen Gedenkgott (oder wie immer man den dann nennen will). Auf jeden Fall mag der dafür verantwortlich sein, dass einem Berliner und seiner Sache nach zehn Jahren unermüdlichen Engagements nun doch endlich offiziell Anerkennung gezollt wird: Matthias Burchard und der Schuld Berliner Agrarwissenschaftler am „Generalplan Ost“.
Burchard (41) hat geradezu verbissen seit seiner Forschung für die Diplomarbeit die Raum- und Siedlungsplanung des Instituts für Agrarwesen in Dahlem erforscht. Diese pseudowissenschaftliche Expertise, vorgelegt am 28. Mai 1942, war de facto eine Anleitung zur Vertreibung und Völkermord: Mindestens 25 Millionen Menschen der besetzten Gebiete im Osten sollten in Hungerzonen oder in die Zwangsarbeit getrieben werden. Seit Jahren nervt Burchard seine Fakultät, die Humboldt-Universität und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, vor deren Tür in Bonn er campierte, um die Wissenschaftler zur Beschäftigung mit dem Thema zu zwingen. Nicht selten schrammte er mit seinen Aktionen am Rande der Legalität. Meist war er allein.
Nun aber scheint sich das Blatt zu wenden: Am 28. Mai wird sich die Universität mit offiziellen Gedenkveranstaltungen endlich ihrer geschichtlichen Verantwortung für den „Generalplan Ost“ stellen. Gestern allerdings musste Burchard noch eine Freiluft-Ausstellungseröffnung vor dem Abgeordnetenhaus veranstalten, da für seine „Generalplan Ost“-Schau noch keine Räume der Universität zur Verfügung stehen. Auch zum 60. Jahrestag der Vorstellung des „Generalplans“ ist Burchard mit seinen Veranstaltungen noch nicht Teil des offiziellen Gedenkprogramms. Aber Burchard ist hartnäckig. Er wird dranbleiben – um der Sache willen. GES
FOTO: Bernd Hartung
now BERLIN, 31. Mai. Die Berliner Humboldt-Universität und ihre Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät haben sich offiziell für eines der dunkelsten Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte entschuldigt: für die wissenschaftliche Vorbereitung von NS-Verbrechen in den von den Nazis besetzten Gebieten Osteuropas.
"Wir bitten öffentlich um Entschuldigung bei allen toten und noch lebenden Opfern, denen der verbrecherische Generalplan-Ost und seine Folgen unendliches Leid zugefügt haben und leisten dafür tief empfundene Abbitte", erklärte der Dekan der Fakultät, Uwe Jens Nagel, bei einem Festakt in der Universität. Nagel bezog sich auf eine 64-seitige Studie mit dem unverfänglichen Titel "Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus", die der damalige Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik, Konrad Meyer, am 28. Mai 1942 SS-Reichsführer Heinrich Himmler vorgestellt hatte. Die Studie wurde bald als Generalplan-Ost bekannt und bereitete den Boden für die Zwangsgermanisierung und die Vernichtung "rassisch unerwünschter" Menschen in Osteuropa durch das NS-Regime. Auf bis zu 50 Millionen beziffern Historiker die Zahl der Opfer.
Der Präsident der Humboldt-Universität, Jürgen Mlynek, erinnerte an den Rückhalt, den Meyer, der seine wissenschaftliche Laufbahn nach dem Krieg fortsetzte, unter seinen Kollegen hatte. Deswegen übernehme die Humboldt-Universität insgesamt Verantwortung. Studentenvertreter Helge Swars begrüßte die Entschuldigung und verwarf "den Mythos von der Neutralität der Wissenschaft".
Copyright (c) Frankfurter Rundschau 2002 ;
Dokument erstellt am 31.05.2002 um 21:53:46 Uhr Erscheinungsdatum 01.06.2002
1.Nachdem Präsident und Senat der Humboldt-Universität zu Berlin über Jahre hinweg alle Anregungen bzw. Aufforderungen zu öffentlichen Stellungnahmen zum Anteil der eigenen Universität am „Generalplan Ost“ ignoriert haben, haben nicht zuletzt die hartnäckigen studentischen Initiativen dazu beigetragen, daß ihr Senat im Januar 2002 und ihr Präsident auf einer Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des „Generalplans Ost“ am 28. Mai 2002 eine Erklärung zu diesem Teil eigener Geschichte abgaben. Auf dieser Gedenkveranstaltung hielt Dr. Hopfer einen wissenschaftlichen Vortrag über „Der Generalplan Ost – Agrarwissenschaften und historische Verantwortung“.
BULLETIN dokumentiert 1. die Erklärung des Fakultätsrates der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, vorgetragen vom Dekan Prof. Dr. Uwe Jens Nagel, in der die mehrjährige und vorsätzliche Planung von Zwangsarbeit und Völkermord an 25 bis 50 Millionen „nicht eindeutschungsfähigen“ Zivilisten als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird, 2. die Stellungnahme der Studierenden (Fachschaft) dieser Fakultät und 3. Die Erklärung des Präsidiums der Humboldt-Universität zu Berlin, verlesen vom Präsidenten, Prof. Dr. Jürgen Mlynek. Während die Humboldt-Universität studentische Initiativen, an denen der Agraringenieur Matthias Burchard sehr aktiv beteiligt war, nicht förderte, sondern hinderte oder unterdrückte, ja nicht einmal für sie ansprechbar war, während die Universitätsleitung von Studenten angebrachte Gedenktafeln polizeilich wieder entfernen ließ und für eine von den Allgemeinen Studierendenauschüssen von vier Berliner Universitäten getragene Ausstellung zum GPO nicht einmal Räumlichkeiten bereitstellen mochte, schmückt sich der Rektor in dieser Erklärung mit Initiativen und wissenschaftlichen Leistungen der Studenten, die er und die Prorektoren stets entschieden desavouiert haben und die nur gegen ihren Widerstand erfolgen konnten.
2.Nachdem 1999 auch der zweite Versuch einer politisch unverfälschten wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft mißlungen, weil zu apologetisch war, berief der Präsident, Prof. Winnacker, im Jahre 2002 eine Präsidentenkommission „Geschichte der DFG“, deren Co-Vorsitzende Prof. Ulrich Herbert (Universität Freiburg/Br.) und Prof. Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität zu Berlin) sind. Sie soll endlich eine kritischere, geschichtswissenschaftlich zuverlässigere Darstellung erarbeiten. Zu diesem Zweck wurde 2001 am vom Ulrich Herbert geleiteten Lehrstuhl für Neuere und Neuste Geschichte des Historischen Seminars der Universität Freiburg eine aus Mitteln der DFG bezahlte Projektgruppe „Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920-1970“ gebildet. Prof. Herbert ist DFG-Preisträger des Jahres 1998, als Prof. Winnacker bereits amtierte. Geleitet wird die Projektgruppe von den beiden Co-Vorsitzenden der Präsidentenkommission in Kooperation mit Prof. Franz-Josef Brüggemeier und Prof. Wolfgang U. Eckert.
Diese Arbeitsgruppe war offizieller Veranstalter einer wissenschaftlichen Konferenz zum „Generalplan Ost“, die vom 7. bis 9. Juni 2002 im Harnack-Haus in Berlin stattfand und deren Tagungsprogramm wir als Dokument abdrucken. Nach ursprünglichen Ankündigungen sollte die Tagung öffentlich sein, doch davon war bald keine Rede mehr. Die Veranstalter betrieben eine recht selektive Einladungspolitik, so wurde der Herausgeber des BULLETIN zweimal eine Einladung zur Teilnahme verweigert, die Begründung lautete, es wäre zu spät und die Teilnehmerzahl wäre begrenzt. Dabei hatte er sein Interesse bereits im Januar 2002 gegenüber Prof. vom Bruch angemeldet, die Einladungen an andere Kollegen datieren vom Februar bzw. März 2002. Auch dem Rechtshistoriker Reinhard Strecker wurde mit dieser Begründung eine Einladung verweigert. Die Ausladung des Agraringenieurs Matthias Burchard, der über Konrad Meyer gearbeitet hat, begründete Ulrich Herbert mit mangelhafter Kompetenz (siehe Dokument). Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hatte Burchards Publikation zum Generalplan Ost in ihre Schriftenreihe aufgenommen. Herbert benannte im abgedruckten Brief „wissenschaftliche Exzellenz“ als Kriterium seiner Einladungspolitik. Ein Blick auf das ebenfalls abgedruckte Tagungsprogramm macht deutlich, daß die exzellentesten Forscher zum GPO – z.B. Ceslaw Madajczyk aus Warschau, Karl Heinz Roth aus Bremen oder Dietrich Eichholtz aus Berlin – dort nicht vortragen, vor allem aber, daß die Spezifik des GPO im Spektrum der nazistischen Planungen für ein Europa unterm Hakenkreuz überhaupt nicht thematisiert wurden. Forschungsarbeiten der Co-Präsidenten über dem GPO sind dem Herausgeber nicht bekannt.
vollständige Artikelansicht im Originallayout,
Inhaltsverzeichnis, Impressum, Inhaltsverzeichnis des Heftes 19
blz 7-8/2002 (Zeitschrift der GEW Berlin), Rubrik „kurz und bündig“ S. 4/5,
Erstmals nach 60 Jahren entschuldigte sich die agrarwissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität mit einer offiziellen Erklärung für den „Generalplan Ost“, der von der Vorläuferorganisation der Fakultät erdacht wurde. Dieser Plan sah die Neuordnung und „Germanisierung“ der eroberten Gebiete im Osten vor. Millionen von Menschen sollten vertrieben oder umgesiedelt werden, um Platz für deutschstämmige Umsiedler zu schaffen. Zwangsarbeit und Deportierung in unwirtliche Gegenden hätte für die meisten den Hungertod bedeutet. Nur der verlorene Krieg hat die volle Umsetzung des Planes verhindert. Dass die Fakultät nun endlich die historische Verantwortung übernommen hat, ist vor allem das Verdienst von Matthias Burchard, der seit zehn Jahren dafür gestritten hat. In der blz 1/2002 (Seite 28) hat er die Stationen seines Engagements dargestellt. Burchard kämpft weiter, denn die Fakultät weigert sich beharrlich, eine von Burchard zusammengestellte Ausstellung in ihren Räumen zu zeigen.
Deutschland: Der Generalplan-Ost - Lücken in der
Geschichtsaufarbeitung
Am 17 Mai 2002 waren Vertreter des Europäischen Bürgerforums
eingeladen zu einer Ausstellung ohne Obdach. Vertreter der Berliner Universitäten
und ein Kreis von Privatpersonen bemühen sich seit einigen Jahren, ein dunkles
Kapitel der deutschen Geschichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu
machen. Dabei erfuhren sie von offizieller Seite nicht gerade viel Unterstützung.
Vor 60 Jahren, am 28. Mai 1942, wurde der "Generalplan-Ost, rechtliche,
wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues" durch den
Berliner Universitätsprofessor und hohen SS-Führer Konrad Mayer an den Reichsführer
SS, Heinrich Himmler, übergeben. Der Plan sah die Ermordung, Aushungerung und
Vertreibung von 30 bis 50 Millionen Slawen und die Germanisierung riesiger Ländereien
in Mittel- und Osteuropa vor. Die Ausstellung und Gedenkveranstaltung, ursprünglich
im Berliner Abgeordnetenhaus geplant mußte nach einem Rückzug der offiziellen
Stellen im letzten Moment, unter freiem Himmel statt finden.
Redaktion "Europa von unten."
c/o Europäisches Bürgerforum
A - 9135 Eisenkappel / Zelezna Kapla
Telefon: +43 4238 8705
Fax: +43 4238 87054
Email: evu@civic-forum.org
www.forumcivique.org
Evangelischer Pressedienst Ost,
28.10.02
Berlin (epd). Gedenkorte für den sogenannten „Generalplan Ost“ der Nationalsozialisten hat die „Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime“ gefordert. Dabei soll in Berlin an drei ausgesuchten „Täterorten“ an die Beteiligung von Institutionen erinnert werden, erklärte ein Sprecher der Interessengemeinschaft am Montag in Berlin.
Dazu werde unter anderem vorgeschlagen, am ehemaligen Standort des SS-Zentralbodenamtes für Landbeschlagnahme an der Friedrichstraße nahe dem Oranienburger Tor eine Straßenbahnhaltestelle entsprechend zu gestalten. Mit einer Bodenplatte soll am Kurfürstendamm an den ehemaligen Sitz des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums erinnert werden (Hausnummern 140-143). Auf dem Gelände der heutigen „Topographie des Terrors“, dem einstigen Sitz von Gestapo und Reichsführung SS, soll exemplarisch auf die Vernichtung der polnischen Intelligenz im Zweiten Weltkrieg hingewiesen werden.
Über die Beteiligung von Berliner Wissenschaftlern am „Generalplan Ost“ will auch eine Ausstellung informieren, die am Dienstag in Berlin-Lichtenberg eröffnet wird. Sie steht unter dem Motto: „60 Jahre Generalsiedlungsplan: Verdrängt und vergessen?“ und beleuchtet unter anderem die wissenschaftlichen Vorarbeiten zur Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis. Eröffnet wird die Ausstellung mit einem Vortrag zum Thema (19 Uhr). Weitere Vorträge sind am 5. und am 12. November geplant, sagte Ausstellungsmacher Matthias Burchard.
16 bis 19 Uhr und am Wochenende von 13 bis 16 Uhr zu sehen. (4576/28.10.2002)
By
Sorcha O`Hagen
In:
Ex-Berliner, Nov.7-20-2002, Issue II
Humboldt-University`s
agricultural scientists have apologized for the genocidal plans of their
predecessors during the Third Reich. Matthias Burchard says that`s not enough.
It
was only a matter of time, the planners thought in 1941, beforethe war in the
East would be won. By the Germans. And then there would be lots of room for
German settlement. The Lebensraum that the Volk so badly needed would be in
abundant supply. The new German settlers would need houses, of course, and
villages and roads. An empty landscape to redesign: a planner`s dream. Expect
that there were already people living there. Un-German people, the experts said;
80 to 95 per cent of the Polish people were not suitable for integration into
the new Reich, and would have to be „removed“. In other words: 25 to 30
million Slaves were destined, had the Nazis won the war, to forced labour or
relocation to infertile areas. In either case, they wouldn`t have lasted long.
The regime made a start in 1942, brutally expelling over 100.000 Polish
civilians near Lublin and destroying their villages.
The
spacial plans for this massive ethnic cleansing were created under the
leadership of Konrad Meyer-Hetling, Professor for Agriculture at the Berliner
Universität (the forerunner of today`s Humboldt-University and TU). After the
war, Meyer-Hetling was tried at Nuernberg, but acquitted; he and his staff went
on to succesful careers in German universities.
Over
the past twenty years, much research has been done on the Generalsiedlungsplan,
on the role German academics and scientists played in developing Nazi policies,
and on the extent to which people – and ideas – migrated from the Third
Reich into the universities of post-war Germany. Recently,
too, German organisations have begun to apologize for the roles they played in
Nazi crimes. In May this year, the Agricultural Faculty and the HU publicly
admitted the part their staff played in the creation of the Generalplan and
asked the forgiveness of the victims and their families.
That
they have finally done so may be in large part thanks to the efforts of one
Matthias Burchard. The former student of the institute has spent most of the
last ten years researching Meyer`s work and campaigning for the university to
publicize their involvment and to apologize. But this is not enough, the
campaigner thinks. Something concrete is needed, a plaque, and perhaps a
memorial in the city center. And an exhibition about the plans, a proper,
professional one drawing tens of thousands of visitors. And an exchange
programme with the victims‘ descendants.
In
a small exhibition in Lichtenberg, Burchard presents the genesis of the
Siedlungsplan, the involvement of Berlin academics, and his ten-year struggle
for public discussion of the topic.His website, presenting his campaign, has
been taken off the university server. Because he is no longer a student, they
said.
‚60 Jahre „Generalsiedlungsplan“ – Verdrängt und vergessen? Hausgemeinschaft Wönnichstr. 103, Berlin-Lichtenberg, through Nov. 15, admission free.
»Neuordnung Europas«
Vor 60 Jahren. Die »Aktion Zamość« und der »Generalplan Ost« (I)
Werner Röhr
* Der »Generalplan
Ost« war die mörderischste Variante für ein »Europa unterm Hakenkreuz« und
die »Aktion
Zamość« der von November 1942 bis August 1943 unternommene
Versuch, den »Generalplan Ost« für die deutsche Beherrschung und Besiedlung
des eroberten Osteuropa an einem Teilstück zu realisieren. Zamość ist zum
Inbegriff dafür geworden, mit welchen verbrecherischen Experimenten die
deutschen Okkupanten ihre Vorherrschaft über Europa erzwingen und dazu die
demographische Landkarte Europas durch Völkervernichtung, »Umvolkung« und
»deutsche Besiedlung« verändern wollten.
Der Kreis Zamość gehörte zum Verwaltungsdistrikt Lublin im
»Generalgouvernement«, jenem kolonialen Gebilde außerhalb jeden Völker- und
Staatsrechts, das die deutschen Okkupanten nach der Annexion der industriell
und landwirtschaftlich entwickelteren westpolnischen Gebiete geschaffen
hatten. Nach offizieller Erklärung des Generalgouverneurs Hans Frank sollte
das Generalgouvernement (GG) eine »Heimstätte des polnischen Volkes« sein –
jedenfalls bis dahin.
In der Nacht vom 27. auf den 28. November 1942 begann das Polizeikommando
z.b.V. (zur besonderen Verwendung) des SS- und Polizeiführers Lublin mit der
»Evakuierung« des Dorfes Skierbieszów und ihm benachbarter Siedlungen im
Kreis Zamość. Die Polizei umstellte die Dörfer und trieb im Morgengrauen
alle Bewohner mit Gewalt aus ihren Häusern: Männer, Frauen, Kinder, Alte und
Kranke. Ihnen blieben nur wenige Minuten Zeit zur Vorbereitung, sie durften
nur Handgepäck von höchstens 30 Kilogramm und 20 Zloty pro Person mitnehmen.
Kein Inventar des Hofes und Hauses durfte entfernt oder zerstört, kein Vieh
oder Kleinvieh geschlachtet werden. Weder Hausrat noch größere
Lebensmittelvorräte konnten mitgenommen werden. Die Bewohner wurden auf dem
Dorfplatz zusammengetrieben, dort ein erstes Mal selektiert und dann in das
Sammellager in der Rotunde von Zamosc abtransportiert. Unmittelbar danach
wurden »volksdeutsche« Ansiedler in die Höfe eingewiesen. Federführend bei
den Aussiedlungen war die Sicherheitspolizei in Gestalt ihrer »Umwandererzentralstelle«
(UWZ), den polizeilichen Masseneinsatz erledigte die Gendarmerie in Gestalt
des »Polizeibataillons z.b.V«., außerdem waren an der »Aktion
Zamość« die
SS-, die Luftwaffen- und die Heeresgarnisonen der Kreise Zamość und Bilgoraj
beteiligt.
In Wertungsgruppen sortiert
Diese Massenaussiedlungen unterschieden sich wesentlich von den bis dahin
bekannten aus dem annektierten »Reichsgau Wartheland«: Die Bevölkerung eines
Ortes wurde jetzt geschlossen und auf einmal evakuiert, um sofort ein rein
deutsches Siedlungsgebiet im polnischen Territorium zu schaffen. Die
ausgesiedelten Familien blieben nicht beisammen, sondern wurden im
Sammellager Zamosc auseinandergerissen und mit größter Brutalität nach vier
Wertungsgruppen sortiert: Die arbeitsfähigen Angehörigen der Gruppen I und
II wurden zur »Wiedereindeutschung« bzw. »Feinmusterung« nach Lodz
geschickt. Die arbeitsfähigen Angehörigen der Gruppe III zwischen 14 und 60
Jahren kamen »ohne arbeitsunfähigen Anhang« zur Zwangsarbeit nach
Deutschland. Alle Personen unter 14 und über 60 Jahre der Gruppe III wurden
ohne Rücksicht auf die Familien in sogenannte Rentendörfer im
Generalgouvernement verfrachtet, aus denen die mehrheitlich jüdischen
Bewohner in die Vernichtungsstätten abtransportiert worden waren. Tausende
Kinder und alte Menschen starben an den Folgen der Gewalttätigkeit, sie
erfroren, verhungerten oder kamen auf andere Weise ums Leben. Die in die
Wertungsgruppe IV Eingestuften galten als kriminell oder asozial, meist,
weil sie Widerstand leisteten, sie wurden direkt nach Auschwitz oder
Majdanek deportiert.
Nach der anfänglichen Überrumpelung stieß die Massenaussiedlung bald auf
Widerstand. Viele Bauern flohen bei Nacht aus dem Umsiedlungsgebiet in
benachbarte Kreise und nahmen möglichst ihr Vieh und einen Teil des
beweglichen Inventars mit. Die polnische Bevölkerung des GG unternahm große
Anstrengungen, um die Kinder aus Zamosc zu retten und in polnischen Familien
unterzubringen. Die UWZ konnte ihr Soll an »erfaßten« Arbeitskräften schon
in der ersten Woche nur zu 36 Prozent erreichen. Sehr bald ging die
Massenflucht in bewaffneten Widerstand über. Um ihn zu brechen, wurde die
zweite Phase der »Aktion Zamosc« ab Juni 1943 als »Pazifizierung« ganzer
Dörfer durchgeführt. Sie wurden mit militärischer Gewalt »befriedet«, indem
die »bandenverdächtige« Bevölkerung als Basis der Partisanen erschossen,
verbrannt, füsiliert oder ausgesiedelt wurde. Im Schatten der
Partisanenbekämpfung ging die deutsche Ansiedlung weiter.
Im November und Dezember 1942 fanden fast täglich Aussiedlungen aus den
Dörfern des Kreises Zamość statt, aber auch aus
den angrenzenden Kreisen Bilgoraj, Hrubieszów und Tomaszów Lubelski. Für
jede Aktion stellte der Leiter der »Umwandererzentralstelle Litzmannstadt,
Zweigstelle Zamosc«, SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey, einen
»Einsatzbefehl« aus, in dem die beteiligten deutschen Kräfte und
Dienststellen aufgeführt und für jedes Dorf die Sollzahl der zu
exmittierenden Polen, der Sammelplatz innerhalb des Dorfes und die
Fahrtroute des Trecks zum Sammellager festgelegt wurden. Die ausgesiedelten
Bauern sollten auf ihrem Weg nicht der gleichzeitig herangeführten
Wagenkolonne der anzusiedelnden »volksdeutschen« Kolonisten begegnen. In der
Regel wurden mit jedem »Einsatz« mehrere benachbarte Dörfer geräumt, so in
den ersten vier Tagen die Dörfer Skierbieszów (Hauptdorf), Liplina Nowa,
Hajnowki, Zawoda, Laziska, Suchodebie, Ilowiec, Udrycze, Udrycze Kolonie,
Wyslowice und Debowiec Kolonie. In der zweiten Woche wurde weitere 16 Dörfer
ausgesiedelt.
Vom 27. November bis zum 31. Dezember 1942 wurden in 21 »Einsätzen«
insgesamt 60 polnische Dörfer ausgesiedelt. Von deren »erfaßten« 9 771
Bewohnern wurden 2 716 Personen als Gesindekräfte für die deutschen
Kolonisten ausgewählt, sie verblieben zu deren Verfügung. Über 7 000 wurden
in das Sammellager deportiert und dort klassifiziert: 314 Personen (4,4
Prozent) galten als »wiedereindeutschungsfähig«, 285 von ihnen wurden von
der UWZ nach Lodz geschickt. 5 147 Personen (73 Prozent) waren für den
Arbeitseinsatz in Deutschland vorgesehen. Von ihnen wurde 1 310 sofort in
vier Transporten nach Berlin deportiert und dort in der sogenannte
Fabrikaktion gegen die noch in der Berliner Rüstungsindustrie beschäftigten
Juden ausgetauscht. 2 207 ältere Menschen über 60 Jahre bzw. Kinder unter 14
Jahren schaffte die UWZ in sogenannte Rentendörfer im Kreis Garwolin im
Distrikt Warschau.
910 Personen der Wertungsgruppe IV sollten nach Auschwitz bzw. Majdanek
abtransportiert werden. Durch Flucht und Tod reduzierte sich die Zahl auf
644. Im Bericht des SS-Untersturmführers Kinna über den am 12. Dezember in
Auschwitz eingetroffenen Transport heißt es: »Arbeitseinsatzfähigkeit bezügl.
erklärte SS-Hauptsturmführer Haumeier, daß nur arbeitsfähige Polen
angeliefert werden sollten, um somit möglichst jede unnütze Belastung des
Lagers sowie des Zubringerverkehrs zu vermeiden. Beschränkte, Idioten,
Krüppel und kranke Menschen müssen in kürzester Zeit durch Liquidation zur
Entlastung des Lagers aus demselben entfernt werden. Diese Maßnahme findet
aber insofern Erschwerung, da nach Anweisung des RSHA entgegen der bei den
Juden angewendeten Maßnahme Polen eines natürlichen Todes sterben müssen.« .
Sonderlaboratorium der SS
Viele Massenverbrechen der deutschen Okkupanten an den Völkern Europas
hatten ein größeres Ausmaß als die »Aktion Zamość«. Doch diesem
völkermörderischen Experiment kommt eine signifikante Stellung in der
gewaltsamen Durchsetzung der »Neuordnung Europas« zu. Die »Aktion Zamość«
von November 1942 bis August 1943 war der erste und einzige Versuch der
deutschen Faschisten, den »Generalplan Ost« auf einem Teilstück in die Tat
umzusetzen. Der polnische Historiker Czeslaw Madajczyk nannte daher Zamość
ein »Sonderlaboratorium der SS«.
Unter dem Namen »Generalplan Ost« firmierten Planungen verschiedener
SS-Institutionen für die »Germanisierung« der bereits eroberten bzw. noch zu
erobernden sowjetischen Gebiete bis zum Ural. Die beiden wichtigsten
Planungszentren waren die Amtsgruppe III B des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA),
also der Sicherheitsdienst (SD), und die Planungshauptabteilung im
Stabshauptamt des »Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF)
unter dem Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Konrad Meyer. Im RSHA-Amt/III B,
der zentralen Stelle für die gesamte Vernichtungsplanung, wurde
konzeptionell und praktisch der Zusammenhang zwischen systematischem
Völkermord und »Generalplanung Ost« hergestellt. Die Judenvernichtung war
der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Ostplanung der SS, ihr kam im Geflecht
der drei Stränge Deportation – Vernichtung – Rückdeutschung
»verlorengegangen Deutschtums« und Umsiedlung »Volksdeutscher« Priorität zu,
an sie knüpften alle anderen Vernichtungen »nichteindeutschungsfähiger«
Bevölkerungsgruppen an.
Konrad Meyer war seit 1934 Direktor des Instituts für Ackerbau- und
Landbaupolitik der Berliner Universität und im »Dritten Reich« der führende
Fachmann für die Siedlungsplanung. Bereits 1939 erhielt er von Heinrich
Himmler den Auftrag, für die annektierten polnischen Gebiete einen
»Gesamtentwicklungsplan« zu erarbeiten. Dazu wurde er im Rang eines
SS-Oberführers zum Leiter der Planungsabteilung im Stabshauptamt des
»Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums« berufen, nachdem
Himmler am 7. Oktober 1939 von Hitler eine Generalvollmacht zur Umgestaltung
aller demographischen Verhältnisse Osteuropas erhalten hatte. Nach den
Vorgaben Himmlers erarbeitete Meyer 1940 bis 1943 stufenweise »Generalpläne
Ost« (GPO) – gestützt auf die Arbeiten seines eigenen Instituts und die
Mitarbeit zahlreicher deutscher Geographen und Landschaftsplaner,
Anthropologen und Juristen aus der von ihm geleiteten
»Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforscher«.
Sowenig Meyers Planungsamt die einzige SS-Dienststelle war, die
»Generalpläne Ost« erarbeitete, sowenig waren die SS-«Generalpläne Ost« die
einzigen Neuordnungspläne für ein vom deutschen Kapital beherrschtes Europa.
Die Genese und Spezifik der verschiedenen Programme für ein »Europa unter
dem Hakenkreuz« können hier nicht erörtert werden. Die »Generalpläne Ost«
wurden entwickelt, als der Völkermordpraxis bereits Millionen europäischer
Juden, sowjetischer Kriegsgefangener und der Großteil der polnischen
Intelligenz zum Opfer gefallen waren. Die von den SS-Ämtern betriebenen
Planungen für eine »volkstumspolitisch« gestaffelte Vernichtung verliefen
zwar parallel und partiell konkurrierend, waren aber miteinander
verschränkt. So war der »Räumungsplan« zur »Endlösung der europäischen
Judenfrage«, von dem Reinhard Heydrich, Leiter des
Reichssicherheitshauptamtes, Teile auf der Wannseekonferenz im Januar 1942
vortrug, ein Element dieser Planungen. Die Haltung maßgeblicher Vertreter
der deutschen Großindustrie und des Großgrundbesitzes zu diesen
GPO-Planungen war ambivalent. So ging die sowohl von der Wehrmacht als auch
von den Wirtschaftsstäben praktizierte Politik zerstörerischer Raubzüge in
der besetzten Sowjetunion mit Himmlers Planern völlig konform, andererseits
bevorzugten sie die annektierten polnischen Gebiete.
Probeaussiedlung
Zwischen dem »Hungerplan« der Wehrmachtführung, also dem von
Landwirtschaftsminister Backe und Wirtschaftsgeneral Thomas ausgeheckten
Plan, Dutzende Millionen Sowjetbürger verhungern zu lassen, und den
Planungen des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums besteht
direkte Kompatibilität. Er war schließlich die Grundlage der militärischen
Operationsplanung der Wehrmacht. Außerdem hatten die zuständigen
Wehrmachteinrichtungen Himmlers Planungshoheit für den Osten nach einer
Übergangsphase ausdrücklich akzeptiert. Zwischen dem Vorgehen der
Wehrmachtstäbe und der zentralen SS-Dienststellen hinsichtlich der deutsche
Siedlungspolitik bestanden enge Wechselbeziehungen.
Der »Generalplan Ost« der RSHA-Gruppe III B von Ende 1941/Anfang 1942 ist
bis heute nicht aufgefunden, seine Aussagen und Zielsetzungen sind aber
durch mehrere Stellungnahmen bekannt. Wir können daher die Eckdaten anhand
der Kritiken rekonstruieren. Dieser GPO sah die Ansiedlung von vier
Millionen Deutschen in zehn Jahren und von mindestens zehn Millionen in 20
Jahren im Osten vor. Für die Besiedlung waren das besetzte Polen, die
baltischen Länder, Weißrußland, die russischen Gebiete Shitomir,
Kamenez-Podolski und Leningrad sowie die ukrainischen Winniza, Dneprbogen
und die Krim vorgesehen. Von den dort lebenden 45 Millionen Menschen galten
31 Millionen als »rassisch unerwünscht«. 80 bis 85 Prozent aller Polen, d.h.
15 bis 20 Millionen Menschen, waren nach Sibirien »auszusiedeln« und sollten
dort verhungern, die restliche polnische Bevölkerung zur Hälfte liquidiert
und zur Hälfte »eingedeutscht« werden.
Bereits zwei Tage nach dem Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 hatte der
Reichsführer SS Heinrich Himmler dem Leiter des Planungsamtes im
Stabshauptamt des »Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums«,
Prof. Konrad Meyer, den Auftrag gegeben, einen Gesamtplan der Besiedlung im
Osten zu erarbeiten. Meyer hatte die erste Fassung am 15. Juli 1941
vorgelegt und Himmler hatte sofort reagiert und am 20. Juli 1941 bei einem
Besuch in Lublin angeordnet, »ein Großsiedlungsgebiet in den deutschen
Kolonien bei Zamosc« zu schaffen. Es sollte zwischen den einzudeutschenden
annektierten polnischen Gebieten und den künftig von Deutschen zu
besiedelnden Teilen der UdSSR eine »deutsche Volksbrücke« herstellen.
Tatsächlich ließ der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo
Globocnik, im November 1941 eine Probeaussiedlung vornehmen: Sieben Dörfer
im Kreise Zamosc wurden vollständig von polnischen Bauern evakuiert und an
ihre Stelle »volksdeutsche« Siedler gesetzt. Die ausgesiedelten polnischen
Bauern wurden an anderer Stelle des Distrikts angesiedelt. Weder die Bauern
noch die Widerstandsbewegungen erkannten Funktion und Tragweite dieser
Probeaussiedlung. Himmler und Globocnik werteten sie als Erfolg.
»Ingermanland« und »Gotengau«
Am 28. Mai 1942 übergab Meyer seinen zweiten »Generalplan Ost. Rechtliche,
wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus« an Himmler. Der
polnische Forscher Czeslaw Madajczyk hat diese Fassung in den Beständen der
National Archives in Washington gefunden und publiziert. Der Dokumentenfund
ermöglichte eine Neubewertung der Strategien und Funktionszusammenhänge der
SS-Planungen. Seither wurde die von Helmut Heiber in die Welt gesetzte
Legende westdeutscher Historiker, daß es sich beim GPO um wirre
Phantasiegebilde gehandelt hätte, die weiter zu untersuchen sinnlos sei,
destruiert und durch gründliche Forschung abgelöst. 1)
Dieser Plan sah vor, daß die annektierten polnischen Gebiete zu 100 Prozent
»einzudeutschen« seien. Im Anschluß seien in der eroberten Sowjetunion drei
»Reichsmarken« zu bilden: 1. »Ingermanland« südlich Leningrad, 2. das
Narewgebiet mit Bialystok und Litauen, und 3. den »Gotengau«, sprich die
Krim und nördlich der Krim das Gebiet um Cherson. Diese »Marken« sollten im
Laufe von 25 Jahren zu 50 Prozent »deutsch besiedelt« sein. Ein Netz von
»Siedlungsstützpunkten« sollte sie miteinander verbinden, die vor allem
entlang der zu bauenden Magistralen im Abstand 100 Kilometer zu schaffen
seien. Meyer sah 36 »Siedlungsstützpunkte« vor, davon 14 im
»Reichskommissariat Ostland« und neun im »Reichskommissariat Ukraine«,
jeweils von der Größe dreier Kreise. Der erste »Siedlungsstützpunkt« auf dem
Wege dorthin aber sollte in Zamość im Distrikt Lublin des
Generalgouvernements entstehen. Diese »Siedlungsstützpunkte« sollten nach 25
Jahren jeweils zu 25 Prozent »eingedeutscht« sein.
In dem zu kolonialisierenden Ostgebiet sollte die einheimische Bevölkerung
auf ein Zehntel »ausgedünnt« und die Kontrolle des Territoriums durch die SS
wirtschaftlich und administrativ gesichert werden. Wirtschaftlich wurde das
landwirtschaftliche Siedlungswesen bevorzugt, einschließlich radikaler
Re-Agrarisierung etwa des industriell entwickelten Leningrader Gebietes. Das
Eigentumsrecht sollte sich am Muster eines feudalen staatlichen
Bodenmonopols orientieren, exekutiert vom Apparat Himmlers. Zugleich sollte
die Unterordnung unter den Reichsführer SS durch dessen staatliche und
Gerichtshoheit über diese Siedlungen gewährleistet werden. Dieser
»Generalplan Ost« Meyers behandelte den Judenmord nicht, er setzte ihn als
geschehen voraus.
Himmler hatte erhebliche Änderungswünsche, erstens wollte er, daß auch das
gesamte »Generalgouvernement« sowie Estland und Lettland »total
eingedeutscht« werden müßten, nicht nur als »Siedlungsstützpunkte«. Zweitens
wollte er Böhmen und Mähren, Elsaß-Lothringen, die Untersteiermark und
Oberkrain einbezogen wissen. Drittens sollte die Frist der Eindeutschung auf
20 Jahre herabgesetzt werden. Mit dem »Gesamtsiedlungsplan« vom 23. Dezember
1942 kam Meyer Himmlers Änderungswünschen nach.
1) Czeslaw Madajczyk (Hg.) Generalny Plan Wschód. Zbiór dokumentów, Warszawa
1990; Rolf-Dieter Müller: Hitlers Ostkrieg und die deutsche
Siedlungspolitik, Frankfurt/Main 1991; Mechthild Rössler/Sabine
Schleiermacher (Hg.): Der »Generalplan Ost« Hauptlinien der
nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993
* Morgen: Speerspitze im »Volkstumskampf«
Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2002/11-27/017.php
(c) Junge Welt 2002
Streit
um die Ehrung der Opfer des Generalplan Ost geht in die nächste Runde
Von Peter Nowak
Neues Deutschland, 7./8.12.02, Seite 23
Rund 60 Jahre nach der Umsetzung des von deutschen Wissenschaftlern maßgeblich konzipierten Generalplan-Ost (GPO), mit dessen Hilfe die Okkupation weiter Teile Osteuropas, vor allem aber der Sowjetunion organisiert wurde, reiste der Agrarwissenschaftler Matthias Burchard von der Humboldt-Universität (HU) am vergangenen Wochenende nach Ostpolen, um dort ein in polnischer Sprache verfasstes Entschuldigungsschreiben zu übergeben. Sämtliche Berliner Universitäten verweigerten ihm dabei die Unterstützung. Selbst ein Antrag auf Fahrtkostenzuschuss wurde abschlägig beschieden. Nur der ReferentInnenrat der HU nominierte Burchard als Delegierter der studentischen Vertretung in Polen.
Für Burchard ist das Einzelkämpfertum nichts Neues. Mehr als ein Jahrzehnt lang schrieb er immer wieder Eingaben, organisierte Kundgebungen und Demonstrationen und brachte schon mal in Eigenregie eine Gedenktafel für die GPO-Opfer an einem Universitätsgebäude an (ND berichtete).
Im Mai dieses Jahres erklärte die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der HU, in der zu Beginn der 40er Jahre die wissenschaftlichen Grundlagen für den GPO ausgearbeitet wurden, ihr Bedauern über die damals verübten Verbrechen. Doch für Burchard war damit die Angelegenheit nicht erledigt. So kritisierte er, dass keine polnischen Vertreter bei der von der Fakultätsleitung anberaumten offiziellen Veranstaltung anwesend waren und das Ganze in einem schwer erreichbaren Hörsaal ohne große öffentliche Beteiligung mehr als Pflichtübung über die Bühne gebracht wurde. Eine von Burchard erarbeitete Ausstellung zum GPO und der Verstrickung der deutschen Wissenschaftler wurde bis heute nicht gezeigt. Die Universitätsleitung weigerte sich in der Folge sogar, Anfragen von Burchard zu beantworten.
Doch der ist mit neuem Elan aus Polen zurückgekommen und will sein Engagement fortsetzen. Sein Ziel hat er klar benannt: „ein zufrieden stellendes öffentliches Gedenken an die GPO-Opfer“.
TROIKA (Infoblatt der Berliner Freunde der Völker Russlands), Dez. 2002
Die akademische Begeisterung für die NS-Ostsiedlungsplanung Anfang der 40er Jahre war riesig. 1941 fand eine „große Ostraumschau“ im Gebäude der Hochschule der Künste in Charlottenburg statt. Sie zeigte Ergebnisse eines Architektenwettbewerbs zur „neuen und effizienten Dorfgestaltung im Osten.“ Ende Mai 1942 stellte ein Dahlemer Agrarinstitut der Berliner Universität eine wichtige Fassung des „Generalplan Ost“ fertig. Die darin projektierten neuen Siedlungsgebiete einschließlich Krim –Chersongebiet und der Raum Leningrad sollten innerhalb von 25 Jahren germanisiert, die Stadtbevölkerung in Leningrad auf 200.000 Deutsche „verringert“ werden. Kosten und Siedlerbedarf waren exakt kalkuliert und sogar tabellarisch ablesbar.
Wenn auch durch den unerwartet anderen Kriegsverlauf erste punktuelle Realisierungen im Raum Bialystok und Zamosc / Lublin Ende 1943 eingestellt wurden, so brutalisierte der „Generalplan Ost“ zweifellos die deutsche Besatzungspraxis. Das Problematische ist sicherlich das mentale Erbe der deutschen Hybris, z.B. Prozentsätze der sogenannten „Eindeutschungsfähigkeit“ verschiedener Nationalitäten festzulegen. Ohne eine öffentliche Anerkennung dieser konkreten historischen Wahrheit kann es keinen inneren Frieden in Mittel- und Osteuropa geben!
Bis heute existiert keine einzige Berliner Gedenktafel zum Generalplan Ost. Ende Mai 2002 hat sich zwar die Agrarfakultät der Humboldt-Universität offiziell entschuldigt bei den toten und lebenden Opfern des „Generalplan Ost“ und diesen als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, jedoch war bei der Gedenkfeier kein Staatsbürger der betroffenen Länder anwesend, so dass die wichtige und erfreuliche Veranstaltung nicht öffentlich bemerkt werden konnte. Freundliche und ermutigende Anfragen z.B. hinsichtlich einer thematischen Ausstellung an den Präsidenten der Humboldt-Universität sind erwünscht (Telefon: 2093-2100).
Matthias Burchard
(Der Autor ist Agrarökonom und verteidigte seine Diplomarbeit zum Thema. Er setzt sich unermüdlich für eine gründliche und öffentliche Aufarbeitung ein.)
DEFO: Handlanger des Revanchismus? Erklärung der Kritischen JuristInnen zur Verhinderung der Aufarbeitung von Naziverbrechen im Zusammenhang mit der FU-Berlin. 5. 1. 2003 Quelle: Kritische JuristInnen/AL Jura
Der
Generalplan Ost war ein von Wissenschaftlern und Staatsmännern des NS
ausgearbeitetes Vorhaben zur Arisierung der osteuropäischen Gebiete. Die dort
lebende Bevölkerung sollte nach einem Sieg der Wehrmacht unterdrückt,
vertrieben oder vernichtet werden. Anschließend sollten Deutsche die eroberten
Regionen besiedeln. Dieser Generalplan Ost wurde am Institut für Agrarökonomie
in Dahlem (Breitenbachplatz), einem Teil der damaligen
Friedrich-Wilhelm-Universität, maßgeblich geplant. Eine Aufarbeitung, nicht
nur dieser Mitschuld der Wissenschaft an NS-Verbrechen, findet de facto nicht
statt. Seit Jahren beschäftigt sich nun der Dipl. Ing. Matthias Burchard mit
dem Generalplan Ost. Die Bestrebung, die Verantwortung deutscher Wissenschaftler
aufzuarbeiten, wird jedoch von den jetzigen Akademikern nicht honoriert. Die
deutsche Mahnkultur kennt nur große Festreden auf die Toleranz und die
Tatsache, dass die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben – das war's.
Kein Wunder, dass Burchard in seiner umfangreichen Arbeit nur auf Widerstand
seitens der jetzigen Verantwortlichen in Wissenschaft und Staat stößt. Dazu
mehr im folgenden
Artikel.
Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der FU als Träger von
Wissenschaftsfreiheit hat Burchard in seinem Anliegen, die Universitätsgeschichte
aufzuarbeiten, oftmals finanziell und ideell unterstützt. Es ist jedoch Usus,
dass die Kosten für Auslandsreisen im Studierendenparlament abgesegnet werden müssen.
Burchard fuhr vor kurzem nach Polen, um dort mit Zeitzeugen zu sprechen und dies
zu dokumentieren. Die anfallenden Kosten beantragte er im StuPa.
Einige anwesenden Mitglieder der Opposition waren von diesem Antrag nicht
begeistert. Trotz der Tatsache, dass Mitglieder der AStA-tragenden Koalition
ausführlich die oben beschriebenen Ausführungen zum Generalplan Ost als
Argumente für die Unterstützung des Antrages anführten, fand man eine Begründung
gegen den Antrag: Es werde kein Student der FU unterstützt! Bei der
NS-Aufarbeitung im Wissenschaftsbereich zu solchen Argumenten zu greifen, ist
eigentlich schon nicht mehr kommentierenswert. Um allerdings die letzten
Widersprüche auszuräumen, noch zwei Anmerkungen:
Erstens ist es richtig, dass das Institut für Agrarökonomie zur
Humboldt-Universität gehört und der dortige AStA (RefRat) Burchard keine
Gelder zur Verfügung stellte, denn dort gibt es gerade einen Haushaltsstopp. In
solchen Fällen greifen sich die Studierendenschaften solidarisch unter die
Arme.
Zweitens sind die studentischen Gremien neben ihrer Verantwortlichkeit für
studentische Interessen Träger von Wissenschaftsfreiheit (Art 5 III GG). Sie
sollen sich mit Wissenschaft, Wissenschaftsgeschichte und den Konsequenzen
auseinandersetzen.
So bahnte sich eine Mehrheit für den Antrag an. Seine GegnerInnen konterten,
indem sie das relativ schwach besetzte StuPa-Plenum beschlussunfähig machten.
Sie verließen geschlossen den Raum, und einer von ihnen rief dem
Oppositionsvertreter in der Sitzungsleitung im Befehlston zu: "Ich erwarte,
dass du einen Antrag auf Beschlussunfähigkeit stellst". Der Angerufene
gehorchte und ließ einen Listenkollegen den geforderten Antrag stellen. So
wurde aus der Übernahme der Reisekosten nichts.
Die beiden oben aufgeführten Punkte sind den GegnerInnen des Antrags bewusst.
Was bedeutet also ihre Argumentation gegen die Finanzierung von Aufarbeitung der
Wissenschaft im NS? Ist sie ein Ergebnis einer Abwägung? Dann ist dies ein sehr
merkwürdiges Ergebnis! Oder bewusste Blockade, weil das Vorhaben der
NS-Wissenschaftsaufarbeitung unsympathisch ist? Letztendlich machen sich die
betreffenden Personenen objektiv zu Handlangern des deutschen Revanchismus und
Geschichtsrevisionismus.
Ausstellung über
den Generalsiedlungsplan Ost
von Andreas Fritsche, ND, 8./9.02.03
Das Verbrechen geschah in Polen. Die Haupttäter saßen in Berlin: Von 1939 bis 1944 bastelten Berliner Wissenschaftler am berüchtigten Generalsiedlungsplan Ost. Dieser erschien in mehreren Varianten. Einen davon gab das „Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums“ am 29. Oktober 1942 heraus.
Der Plan sah vor, ein Gebiet von 330 Quadratkilometern auf polnischem und sowjetischem Territorium „einzudeutschen“. Dafür sollten innerhalb von 25 Jahren zwölf Millionen „Germanen“ angesiedelt und bis zu 31 Millionen Einheimische vertrieben und vernichtet werden.
Darüber informiert eine Ausstellung, die in der Katholischen Studentengemeinde am U-Bahnhof Hansaplatz zu sehen ist. Die Détails planten seinerzeit Wissenschaftler unter SS-Oberführer Professor Konrad Meyer (1901-1973). Die Schreibtischtäter saßen in Dahlem: Die Planungsabteilung der SS mit elf festen Mitarbeitern in der Villa Podbielskiallee 25-27 und mit dieser Abteilung in Personalunion verwoben die Agrarfakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität mit der Adresse Im Dol 27-29. Was dort ausgeheckt wurde, präsentierte man 1941 in einer Propaganda-Ausstellung in der Hochschule der Künste. Doch es blieb keineswegs bei theoretischer Spinnerei. Am 18. August 1942 ordnete Heinrich Himmler die Einrichtung eines ersten deutschen Großsiedlungsgebietes im polnischen Kreis Zamosc an. Zwischen November 1942 und August 1943 wurden 110.000 polnische Zivilisten daraufhin selektiert, ob man sie „eindeutschen“ könne.
Bis heute fehlt eine Hinweistafel auf diese Vergangenheit an der Humboldt-Universität (HU), dem Nachfolger der Friedrich-Wilhems-Universität. Obwohl selbst ein Neffe Konrad Meyers eine solche Tafel im Namen von neun Nachfahren des Professora ausdrücklich begrüßen würde. Darauf weist Ausstellungskoordinator Matthias Burchard hin, der seit langer Zeit um eine solche Tafel kämpft. Derzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe des Akademischen Senates mit der Nazi-Vergangenheit der Universität. Einen Beschluss über eine Gedenktafel gebe es bisher nicht, erklärte HU-Sprecherin Susann Morgner. Man wolle allerdings insgesamt relativ sparsam mit Hinweistafeln umgehen.
Burchards kleine Expositon zeigt zwölf Schautafeln. Vier davon informieren über den Generalplan. Vier dokumentieren den Kampf um Geschichtsaufarbeitung an der HU hinsichtlich des Generalplans. Weitere vier enthalten den Pressespiegel dazu.
Ausstellung bis 14. Februar, Katholische Studentengemeinde, Kloppstockstr. 31, Mo-Do. 10-16 Uhr, Fr. 10-13 Uhr und 18-22 Uhr sowie Mo. 20-22 Uhr
Ausstellung
über die Rolle von Wissenschaftlern bei Generalplan Ost der Nazis noch immer
nicht realisiert
„Junge Welt“ (Berlin) 9. April 2003, von
Rainer Balcerowiak
Seit
über 10 Jahren bemüht sich der Agraringenieur Matthias Burchard, die
Aufarbeitung eines der heikelsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte
voranzutreiben: Es handelt sich um den Generalplan Ost, der die Ermordung und
Vertreibung von 30 bis 40 Millionen Slawen und anderen „Untermenschen“ aus
Osteuropa und die Deutschbesiedlung riesiger Ländereien des Ostens bis zum
Kaukasus vorsah. Die Grundlagen für den Plan schufen nicht einige fanatische
SS-Offiziere und Nazibonzen, sondern Hunderte von Geowissenschaftlern, Bevölkerungs-
und Landschaftsplanern, Eugenikern, Ethnologen, Biologen und Medizinern,
Wirtschaftswissenschaftlern unter Federführung des Leiter der
agrarwissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität, Konrad Meyer, der
1973 mit 72 Jahren als wohlpensionierter westdeutscher Professor starb.
Sowohl
bei seinen anfänglichen Versuchen, die beteiligten Universitäten zu einer
Stellungnahme zu bewegen, wie auch bei Anträgen zur Realisierung von Gedenk-
und Ausstellungsprojekten stößt Burchard auf eine Mauer der Ablehnung und
Behinderung, der Vertuschung und des Schweigens. Auf sein Vorhaben, im
vergangenen Jahr, 60 Jahre nach der Übergabe des Plans, zusammen mit den
Studierendenausschüssen der Berliner Universitäten eine Ausstellung in der
Humboldt-Universität durchzuführen, reagierte die Unileitung mit der
Verweigerung der beantragten Räume. Burchard mußte sich mit einer kurzen,
demonstrativen Freiluftveranstaltung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus begnügen.
Immerhin: Zehn Jahre nach dem beharrlichen Anfragen fand sich der Fakultätsrat
der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität
endlich bereit, sich für die Planung von Menschheitsverbrechen in seinem Hause
öffentlich zu entschuldigen.
Doch
Burchard läßt nicht locker. Von den politischen Verantwortlichen in Berlin und
den „Wissenschaftseliten“ der Stadt fordert er sowohl eindeutige
Stellungnahmen zu den Verbrechen als auch die Realisierung von Veranstaltungen,
die sich diesem historischem Ereignis widmen. Burchard hat ein Ausstellungs- und
Begegnungsprojekt und die Aufstellung von Gedenktafeln an für die Umsetzung des
Generalplans Ost wichtigen städtischen Plätzen konzipiert. Über mangelnden
nationalen und internationalen Zuspruch kann er dabei nicht klagen. Allein in
den letzten vier Monaten erhielt er über 80 Solidaritätserklärungen für sein
Vorhaben, unter anderem vom Landratsamt der vom Generalplan Ost besonders
betroffenen polnischen Gemeinde Zamosc, vom Rat der Gedenkstätte Majdanek, von
kirchlichen und universitären Gremien und von einzelnen Bundestagsabgeordneten.
Auch Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) bekundete, anders als seine
CDU-Vorgänger, seine Unterstützung für Burchards Vorhaben. Doch dabei blieb
es. Der Dienstherr der Berliner Gedenkstätten und historischen Institutionen
sieht sich offenbar außerstande, mehr als warme Worte zu investieren.
Bei
den Institutionen, die ein entsprechendes Ausstellungsprojekt realisieren könnten,
stößt Burchard jedenfalls auf taube Ohren. Besonders von der „Topographie
des Terrors“ fühlt sich Burchard regelrecht verschaukelt. Der von ihm für
2002, dem 60. Jahrestag des Generalplans, eingereichte Antrag wurde kurzerhand
von der Tagesordnung des zuständigen Arbeitsausschusses wieder abgesetzt,
woraufhin der für die Finanzierung zuständige Hauptstadtkulturfonds das
Projekt ebenfalls abschlägig beschied. Dabei geht es keineswegs um
Riesensummen. Die Kosten für sein Projekt beziffert Burchard auf 140.000 Euro.
Doch auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und beim Zentrum für
Antisemitismusforschung wurde Burchard abgewimmelt. Da wundert es kaum, daß
auch Anfragen wegen Gedenktafeln bei einzelnen Stadtbezirken keinen Erfolg
hatten. Auf entsprechende Eingaben habe der Kultursenator nicht reagiert, so
Burchard gegenüber jW.
Burchard
meint indes, es wäre auch eine Aufgabe für das bei der Senatskanzlei
angesiedelte Europareferat, ein entsprechendes Ausstellungs- und
Begegnungsprojekt zu realisieren – gerade, weil Politiker die wichtige Rolle
Berlins bei der EU-Osterweiterung permanent betonen. Gegenwärtig ist er dabei,
bei der parteilosen Kulturstaatsministerin Christina Weiss (SPD) Mittel aus der
Bundeskulturstiftung für sein Projekt zu beantragen. Bürokratische Hürden wie
die dafür nötige Gründung eines Vereins nimmt er in Kauf. Von seinem Ziel
will er sich jedenfalls nicht abbringen lassen.
Student. Fachschaftsinitiative Geschichte / Pressemitteilung des asta der FUB:
Stellungnahme der FSI Geschichte zur Aufarbeitung des "Generalplan Ost"
Berlin-Dahlem, 3. Januar 2004
Der geschichtliche Hintergrund
Mit dem Ziel, Umsetzungsmöglichkeiten für die nationalsozialistische Lebensraumideologie zu erarbeiten, entwarfen Dahlemer Raum- und Siedlungsplaner zwischen 1939 und 1944 rechtliche, räumliche und rassenideologische Grundlinien für den Bereich zwischen Elsass, Leningrad und der Krim. Am 28.5.1942 übergab das Agrarinstitut der Berliner Universität, welches seinen Sitz Im Dol 27/29 hatte, seinen Entwurf eines "Generalplan Ost" an den Reichsführer SS Himmler. Diesem Plan zufolge sollten zwischen 25 und 50 Millionen Menschen in Ost-Mittel-Europa zur Zwangsarbeit eingesetzt bzw. in unfruchtbare Landschaften deportiert werden, um dort dem Hungertod zum Opfer zu fallen.
Finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) legte das ebenfalls in Dahlem in der Podbielskiallee 25/27 ansässige ?SS-Planungsamtes im Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums? ein knappes halbes Jahr nach dem "Generalplan Ost" am 29.10.1942 der "Generalsiedlungsplan" vor, der weit umfangreicher als der Generalplan Ost war und als dessen Fortführung gesehen werden kann, da in ihm konkrete Kostenberechnungen des geplanten Projektes enthalten waren.
Die Situation
Auch sechzig Jahre nach der Abfassung des "Generalpan Ost" bzw. des "Generalsiedlungsplans" kann von einer angemessenen Beschäftigung mit dem Thema seitens der Berliner Universitäten nur sehr bedingt die Rede sein. Zwar bekannte sich der Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin, Jürgen Mlynek, am 28.5.2002 zu der "gesamtuniversitären Verantwortung" der "Humboldt-Universität als Nachfolgerin der Friedrich-Wilhelms-Universität" am "Generalplan Ost", doch bis heute erfährt mensch, der an den Gebäuden, in denen die verbrecherischen Planungen erarbeitet wurden, nichts über die dortigen Geschehnisse vor mittlerweile über sechzig Jahren.
Verantwortung
Auch wenn die Freie Universität als Nachkriegsgründung keine direkte historische Beziehung zu den rassistischen Planungen in der Zeit des Nationalsozialismus hat, ist die Wahl ihres Standortes in Dahlem doch eng mit der Wissenschaftsgeschichte dieses Stadtteils verknüpft. Daraus ergibt auch für die Freie Universität eine besondere Verantwortung im Bezug auf die Beschäftigung mit diesem Themenkomplex.
Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche Gebäude in denen die menschenverachtenden Planungen erarbeitet wurden, sich in unmittelbarer Nähe des Campus der Freien Universität befinden, halten wir einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Teil der Geschichte Dahlems auch seitens der Freien Universität Berlin für dringend erforderlich.
Darüber hinaus sind wir uns bewusst, dass auch Vertreter der Geschichtswissenschaft als Ideengeber an der ideologischen Ausarbeitung pseudowissenschaftlichen Begründung für die Lebensraumpolitik mitgewirkt haben. So hatte Theodor Schieder bereits im September 1939 eine Denkschrift über die bevölkerungs- und siedlungspolitische Behandlung Polens, die von der Zielsetzung völkischer und rassischer Dissimilation geprägt war, vorgelegt.
Als angehende HistorikerInnen halten wir es für unbedingt notwendig, die Geschichte unseres eignes Faches und anderer Wissenschaften weiterhin kritisch zu untersuchen und sich mit deren Verstrickungen im Nationalsozialismus auseinander zusetzen.
Die Fachschaftsinitiative Geschichte, ein offener Zusammenschluss von Studierenden am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der Freien Universität Berlin, rufen hiermit die Verantwortlichen der Freien Universität Berlin auf, sich offensiv an der historischen Aufarbeitung des Generalplans Ost und anderer pseudowissenschaftlicher Planungen im Rahmen der nationalsozialistischen Lebensraumideologie zu beteiligen.
FSI Geschichte an der Freien Universität Berlin
Datum: 03. Januar 2004, last update: May 26, 2005 6:42 am
Deutsche
wissen nichts über die Verbrechen der Nationalsozialisten im Raum Zamość
, in
dem 1943 ihr künftiger Bundespräsident geboren wurde
von
Piotr Jendroszczyk, Berlin, in: Rzeczpospolita, erschienen am 18. März 2004
Skierbieszów,
ein Name, der für den Durchschnittsdeutschen allzu schwer auszusprechen ist,
taucht zur Zeit immer öfter in der deutschen Presse auf. Dort wurde Horst Köhler,
der nahezu sichere Präsidentenkandidat der Bundesrepublik Deutschland, geboren.
Wie
ist ein solcher Geburtsort Horst Köhlers, der bis zum 3. März Vorsitzender des
Internationalen Währungsfonds war und im Mai allen Berechnungen zufolge von der
Nationalversammlung zum neuen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt
wird, zu erklären? Eine Antwort liefert gewissermaßen sein Geburtsdatum:
Februar 1943. Skierbieszów bei Zamość ist eines von jenen Hunderten
Ortschaften, die von deutschen Siedlern im Rahmen des sogenannten Generalplan
Ost besiedelt wurden. Nach Skierbieszów wurden deutsche Bewohner von
Reszkanowka, einer kleinen Siedlung im rumänischen Bessarabien, geschickt. Dazu
kam es nach der brutalen Befriedungsaktion im Raum Zamość
.
In
einem seiner letzten Interviews gestand der Präsidentenkandidat, wenn er mehr
Zeit hätte, würde er gern ein Buch über das Schicksal seiner Familie
schreiben und es um Fakten aus der deutschen Geschichte ergänzen. „Nach ihrer
Vertreibung aus Bessarabien hatten meine Eltern keine andere Wahl, als sich in
Skierbieszów in Ostpolen, wo ich geboren wurde, niederzulassen“, erzählte Köhler.
Er fühle sich nicht als Vertriebener, das Schicksal der Vertreibung habe seine
Eltern getroffen, sagte er.
„Ich
fühle mich als Süddeutscher. Ich bin in Süddeutschland aufgewachsen“, sagte
Köhler in einem Interview. Er ist in Ludwigsburg in Baden-Württemberg groß
geworden, wohin nach einer erneuten Flucht, diesmal aus der ehemaligen DDR, die
Familie Köhler gelangt war.
Edwin
Kelm, der Vorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen in Bessarabien, kann
sich an die ganze Familie noch sehr gut erinnern. Die Eltern Horst Köhlers
waren jahrelang Mitglieder der Landsmannschaft. Beide leben nicht mehr. Kelm
betont jedoch, die von ihm geleitete Organisation habe sich seit längerem aktiv
in die deutsch-polnische Aussöhnung engagiert, und er selbst lehne die Idee
Erika Steinbachs, ein Zentrum gegen Vertreibung zu gründen, ab.
Kelm
und seine Familie haben gemeinsam mit den Köhlers nach der Flucht aus
Bessarabien 1940, das auf der Grundlage des Hitler-Stalin-Paktes von den
sowjetischen Streitkräften besetzt worden war, über ein Jahr lang in einem
Lager in Österreich verbracht. In dem Übergangslager wurden Siedler für
polnische Gebiete ausgewählt. Die Kelms kamen nach Kutno. Die Köhlers wurden
wiederum Ende 1942 nach Skierbieszów gesandt. Polen gab es dort keine mehr.
Im
Rahmen des Generalplan Ost wurden aus 280 Dörfern und Siedlungen im Raum Zamość
110.000 Polen und Juden, d.h. ein Drittel der Einwohner dieser Region, darunter
30.000 Kinder, ausgesiedelt. Die Ausgesiedelten wurden in den eigens dafür
errichteten Lagern festgesetzt, zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert
sowie in die Vernichtungslager Majdanek und Auschwitz gebracht. Tausende
polnischer Kinder wurden nach Deutschland geschickt, um dort germanisiert zu
werden.
All
diese Fakten versucht Matthias Burchard seit Jahren erfolglos ins Bewußtsein
der [deutschen] Öffentlichkeit zu rücken. Anfang der 90er Jahre studierte er
an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu
Berlin. Auf einer Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg fiel ihm eine
Information über den Autor des Generalplan Ost auf. Es war Prof. Konrad Meyer,
ein Funktionär der SS und Direktor der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät
an der Berliner Universität, die seit der Gründung der DDR den Namen Humboldts
trägt.
„Ich war verwundert und gelähmt darüber, daß an meiner Fakultät ein verbrecherischer Plan, von dem ich zudem nichts wußte, erarbeitet wurde“, sagt Burchard.
Die
vergessene Germanisierung
Matthias
Burchard ist davon überzeugt, ein Ende des Schweigens über die Ereignisse im
Raum Zamość würde die deutsch-polnische Aussöhnung erleichtern. Seiner Ansicht
nach hat die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität
vor zwei Jahren dank seinen Aktionen, seinen Mahnwachen und seinem Druck eine
Erklärung abgegeben, die eine an die Opfer gerichtete Bitte um Vergebung für
die Folgen des Generalplan Ost enthält. Die Wissenschaftler räumen zugleich
ein, daß die Forschungsergebnisse zum Generalplan Ost „sowohl in der Öffentlichkeit
wie auch im Bewußtsein der Fakultät und der Universität ein relativ
bescheidenes Echo ausgelöst haben“.
Nach
Professor Christoph Klessmann, einem Experten auf diesem Gebiet, ist die
Kenntnis des Generalplan Ost in Deutschland gering und beschränkt sich
ausschließlich auf den Kreis der Historiker. Am wenigsten weiß man über die
Germanisierung polnischer Kinder Bescheid. Im historischen Bewußtsein der
Deutschen steht das Verbrechen des Holocaust im Vordergrund. Immer häufiger
wird aber in den Diskussionen die Aufmerksamkeit auf die Vertreibung und die
Bombenangriffe der Alliierten gegen die deutschen Städte gerichtet.
Burchard
möchte das ändern. So gründete er den Verein Völkerverständigung mit
Mittel-, Ost- und Südeuropa. Er hat auch die Absicht, ein Ausstellungs- und
Begegnungsprojekt zum Generalplan Ost durchzuführen und in Berlin öffentliche
Tafeln zum Gedenken an die Verbrechen im Zusammenhang mit der [partiellen]
Umsetzung des Generalplan Ost und eines anderen verbrecherischen Unternehmens,
das als Intelligenz-Aktion bekannt ist, anzubringen (Im Rahmen dieser Aktion
wurden allein innerhalb zweier Monate nach dem [deutschen, denn am 17.9.
erfolgte ja noch der sowjetische] Überfall auf Polen 1939 etwa 60.000 Ärzte,
Professoren der Jagiellonischen Universität, Anwälte, Lehrer, Offiziere und
Unternehmer ermordet.).
Burchard
hat Unterstützung für sein Vorhaben seitens vieler deutscher Politiker,
darunter 38 Mitglieder des Bundestages, gefunden. Niemand zeigt sich jedoch gern
bereit, mehrere hunderttausend Euro zur Verfügung zu stellen. Matthias Burchard
hofft aber, der künftige Präsident der Bundesrepublik Deutschland werde sich
aktiv an der Umsetzung seiner Pläne beteiligen.
Originallayout mit vollständigem Text hier
Zwölf Jahre kümmerte sich Matthias Burchard um eine Ausstellung an der HU zum Generalplan Ost. Jetzt wird sie organisiert - ohne ihn.
Studentische Zeitung UnAufgefordert, Nr. 152 Seite 20, von André Leipold
(Hg: StudentInnenparlament der HU; Foto: MB. im Innenhof der HU, Text: Vor die Tür gesetzt)
Erst vor kurzem wurde des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht. Die Gedenkfeier mit über 30 Staats- und Regierungschefs zeugte davon, wie wichtig die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit genommen wird. Doch manche weisen darauf hin, dass sich die Vergangenheitsbewältigung zu sehr auf den alles überdeckenden Holocaust beschränkt und andere Verbrechen im Dritten Reich kaum aufgearbeitet werden. Einer von Ihnen ist Matthias Burchard, Projektkoordinator des Vereins zur Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa. Seit nunmehr zwölf Jahren kämpft er darum, dass der „Generalplan Ost“ auf gebührende Weise aufgearbeitet wird.
Es ist eine Geschichte aus einer Zeit, in der die heutige Humboldt-Universität (HU) noch „Berliner Universität“ hieß und Deutschland noch von einem „Führer“ regiert wurde. Im Mai 1942 überreichte Konrad Meyer, Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an dieser Uni, dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, eine 64-seitige Studie: „Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus“. Die eroberten Gebiete in Ost- und Mitteleuropa sollten aufgrund dieses „Generalplans“ neugeordnet und „germanisiert“ werden. Dies hätte für 25 bis 50 Millionen Menschen Zwangsarbeit oder Vertreibung in unfruchtbare Landschaften bedeutet. Tatsächlich wurde diese Neubesiedlung durch das „Volk ohne Raum“ schon teilweise realisiert, ganze Dörfer ausgelöscht, 800.000 polnische landwirtschaftliche Kleinbetriebe beschlagnahmt, Betroffene wurden verjagt und in den Hungertod getrieben.
Matthias Burchard, ehemaliger Student und Diplomand an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der HU wurde 1991 auf deren unrühmliche Geschichte aufmerksam und engagierte sich fortan dafür, diese publik zu machen. Seinen ersten größeren Erfolg hatte er, als sich seine ehemalige Fakultät im Mai 2002 öffentlich für die Taten entschuldigte, die von ihr ausgingen. Noch heute sitzt er zwischen Stapeln von Unterstützerbriefen in seiner Charlottenburger Altbauwohnung. Die polnische Akademie der Wissenschaften, zahlreiche Bundestagsabgeordnete, Verbände und Vereine - akribisch sammelt er die Beweise der Beachtung seiner Mission. Er lässt nicht locker, geeignete Berliner Gedenkstätten und endlich eine große Ausstellung zum „Generalplan Ost“ zu fordern.
Dabei scheint es so, als ob er sich von einer ignoranten Phalanx aus Berliner Senat und Universitäten umgeben sieht. „Kann es sein“, fragt er zum Beispiel in einer E-Mail an Gerhard Werle, Professor an der Juristischen Fakultät der HU und unter anderem zuständig für juristische Zeitgeschichte, „dass Polen und Russen als Hauptopfergruppen des Generalplans Ost latent immer noch nur als Nachkommen der ‚historischen Untermenschen‘ gelten? Welches sind die Gründe Ihres Schweigens, Herr Werle? Burchard vergreift sich nicht nur im Ton, sondern unterstellt Werle indirekt Rassismus. Als dieser daraufhin die Korrespondenz mit ihm beendet, reagiert Burchard verständnislos: „Wo steht, dass man keine Fragen stellen darf?“
Polemik macht die Zusammenarbeit mit ihm nicht einfacher. „Burchard übertreibt maßlos“, sagt Rüdiger vom Bruch, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der HU. „Er tut so, als ob alle Welt sich gegen ihn verschworen hätte. Dabei hat er ein ganz wichtiges Anliegen.“
Diesem Anliegen wird sich jetzt gewidmet - ohne Burchard. Gemeinsam mit seinem Kollegen Ulrich Herbert von der Freiburger Universität organisiert vom Bruch die Ausstellung „Wissenschaft - Planung - ‚Umvolkung‘. Der nationalsozialistische ‚Generalplan Ost‘ und die Deutsche Forschungsgemeinschaft“, die im Herbst auch im Foyer der HU zu sehen sein wird. Am 26. Januar 2005 arbeitete ein Symposium die Verstrickungen der Berliner Universität in die NS-Diktatur auf. Außerdem wird ein ausführlicher Sammelband mit dem Titel „Wissenschaft, Planung, Praxis. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert“ herausgegeben.
Burchard findet aber weiterhin, dass sich eine „sehr einflussreiche gesellschaftliche Gruppe unbewusst oder bewusst“ zusammenrotte, um konkretes und unverfälschtes Gedenken zu verhindern. Aufgebracht fragt er, was bei einer Ausstellung herauskommen solle, wenn ihre wissenschaftlichen Leiter seine „Fachfragen“ nicht beantworten würden. Seine Sicht der Dinge hat Ulrich Herbert in einer Nachricht an Burchard schon im Juni 2002 gegeben, als er Burchard schrieb, er suche sich seine Mitarbeiter selbst aus, und zwar nach Kriterien der „wissenschaftlichen Qualität“ und „persönlichen Integrität“. Genau das wäre der Aufarbeitung des „Generalplans Ost“ in einem akademischen Rahmen nur zu wünschen.
http://www.geschichte.hu-berlin.de/ns-zeit/symposium/pressemitteilung.htm
Neue Wege der Erinnerung - Symposium zur Berliner Universität in der NS-Zeit an der Humboldt-Universität
Pressemitteilung Nr.11/2005, 21.1.2005
Genügen Stelen, Inschriften und Bücher, um an verfolgte, vertriebene oder ermordete Opfer der NS-Zeit zu erinnern? Welche anderen Formen des Mahnens und Gedenkens sind vorstellbar? Wenn sich die Humboldt-Universität dieses beklemmenden Kapitels ihrer Geschichte annimmt, dann nicht als lästige Pflichtübung, sondern um einen dauerhaften und verantwortungsvollen Umgang mit ihrer NS-Vergangenheit zu finden. Als größte und wichtigste Universität Deutschlands stand die frühere Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin während der NS-Zeit mitten im Zentrum der Macht. Daher rührt ihre besondere Rolle in der Erinnerungslandschaft der wissenschaftlichen Institu-tionen – nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland. Der daraus erwachsenden Verantwortung, neue Formen des universitären Gedenkens und Erinnerns zu entwickeln, stellt sich das Symposium „Die Berliner Universität und die NS-Zeit. Verantwortung, Erinnerung, Gedenken“, das am 28. und 29.1.2005 im Hauptgebäude, Unter den Linden 6, stattfindet.
Organisatorin des Symposiums ist die durch einen Beschluss des Akademischen Senats 2002 beauftragte Kommission „Die Berliner Universität und die NS-Vergangenheit. Verantwortung, Erinnerung, Gedenken“ unter Leitung von Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch. Seit über zwei Jahren hat sich diese Arbeitsgruppe intensiv mit der NS-Geschichte der Berliner Universität befasst und eine dreisemestrige Ringvorlesung organisiert, deren Erträge bereits zum Symposium in Buchform vorliegen werden. Die Auseinandersetzung um Tradition, Kontinuität und Brüche der Geschichte der Universität soll darüber hinaus in Vorschlägen für ein Gedenk- und Erinnerungskonzept der Universität münden.
Eröffnet wird das Symposium am Freitagnachmittag um 17 Uhr mit dem Arbeitsbericht der Senatskommission von Dr. Christoph Jahr im Senatssaal der Universität. Ihm schließt sich um 18 Uhr der Festvortrag von Prof. Dr. Reinhard Rürup zum Thema „Erfahrungen als Direktor der Stiftung Topographie des Terrors“ an. Am Samstagvormittag werden Expertinnen und Experten verschiedenster Bereiche – Historiker, Gedenkstättenleiter, Publizisten, Künstler u.a. – in vier Arbeitsgruppen in nichtöffentlichen Sitzungen darüber diskutieren, wie die Universität mit den Tätern und Indifferenten umgehen kann, wie der Gegner und Opfer gedacht werden soll. Den Abschluss des Symposiums bildet die öffentliche Podiumsdiskussion am Samstag um 14 Uhr, auf der die erarbeiteten Vorschläge für das Gedenken und Erinnern der Humboldt-Universität an die NS-Zeit präsentiert werden. Auf dem Podium diskutieren unter anderem Reinhard Rürup, Konrad H. Jarausch, ein ausgewiesener Kenner der Universitätsgeschichte Berlins in der NS-Zeit, und Moshe Zimmer-mann (Hebrew University, Israel). Zimmermann gilt als einer der führenden israelischen Publizisten und Historiker der deutsch-jüdischen Geschichte. Moderiert wird die Diskussion von Ralf Bollmann von der „taz“.
Programm:
Freitag, 28.1.2005, 17 Uhr
Arbeitsbericht
Dr. Christoph Jahr: Arbeitsbericht der AG „Die Berliner Universität und die
NS-Zeit. Verantwortung, Erinnerung, Gedenken“
Senatssaal, Hauptgebäude, Unter den Linden 6
Freitag, 28.1.2005, 18 Uhr
Festvortrag
Prof. Dr. Reinhard Rürup: Erfahrungen als Direktor der Stiftung Topographie des
Terrors
Senatssaal, Hauptgebäude, Unter den Linden 6
Samstag, 29.1.2005, 14 Uhr
Öffentliche Podiumsdiskussion
Überlegungen zum öffentlichen Gedenken und Erinnern der Humboldt-Universität an
die NS-Zeit
Teilnehmer: Konrad H. Jarausch (ZZF Potsdam/University of
North Carolina), Moshe Zimmermann (Hebrew University, Israel), Reinhard Rürup,
Michael Grüttner (TU Berlin), Bernd Weisbrod (Universität Göttingen), Rüdiger
vom Bruch (HU); Moderator: Ralf Bollmann (taz)
Senatssaal, Hauptgebäude, Unter den Linden 6
Weitere aktuelle Informationen zum Symposium finden Sie auf
den Seiten der Arbeitsgemeinschaft:
www.geschichte.hu-berlin.de/ns-zeit
Informationen:
Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte, Prof. R. vom Bruch
Telefon: [030] 2093-2870, Fax -2792
WWW:
www.geschichte.hu-berlin.de/ns-zeit
Noch fehlt das „Geh-Denken“ im Berliner Stadtbild. von Natalie Rottka
Aus: PDS-BEZIRKSBÜHNE Charlottenburg-Wilmersdorf, Ausgabe Februar 2005, Seite 1
Am 8. Mai jährt sich zum sechzigsten Mal der Tag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. Es wäre ein günstiges Jahr, um Versäumnisse bei der Aufarbeitung von Geschichte und notwendiger Erinnerung nachzuholen.
Zwischen Joachim-Friedrich-Straße und Hektorstraße erinnert bis heute nichts daran, dass dort am Kurfürstendamm einst das „Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums“ stand. Als dessen Leiter hatte der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler den „Generalplan Ost“ in Auftrag gegeben. An der Ausarbeitung waren verschiedene Dienststellen der SS beteiligt, mitfinanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
„Generalplan Ost“ war die harmlose Bezeichnung für die ethnische Umstrukturierung und dauerhafte „Germanisierung“ der besetzten Ostgebiete. Über 30 Millionen Russen, Polen, Tschechen und Ukrainer sollten - vorerst - nach Sibirien zwangsumgesiedelt werden. An ihrer Stelle sollten sich dort „Volksdeutsche“ niederlassen, um die „deutsche Volkstumsgrenze“ nach Osten zu verschieben. Noch sahen sich Hitler, Himmler Heydrich und ihre Helfershelfer nicht in der Lage, die osteuropäischen „Untermenschen“ vollständig zu vernichten. Bis es soweit wäre, sollten diese Länder zumindest wirtschaftlich ausgebeutet werden.
Auch wenn der „Generalplan Ost“ erst im Frühjahr 1942 in seiner endgültigen Fassung vorlag, waren die Angriffskriege gegen Polen 1939 und die Sowjetunion 1941 bereits Bestandteile dieser menschenverachtenden nationalsozialistischen Politik. Die schriftliche Ausarbeitung dieser Strategie war die Spielwiese der Schreibtischtäter, von denen nicht wenige nach 1945 wieder gut dotierte Posten an deutschen Institutionen bekleideten.
Bisher fanden die diversen Initiativen, an die wissenschaftliche Planung von Vertreibung und Völkermord zu erinnern, wenig Resonanz. Weder die Freie Universität noch die Humboldt-Universität wollen sich in der Nachfolge der damals beteiligten wissenschaftlichen Institute sehen. Auch die DFG stellt sich bis heute ihrer Mitverantwortung nur mit großem Widerwillen. Weder in Dahlem noch an der HU mahnen Gedenktafeln und vor dem Polizeiabschnitt am oberen Kurfürstendamm ist bis heute kein Hinweis auf das „Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums“ zu finden.
Was den bisherigen Initiativen verwehrt blieb, könnte 2005 - 60 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur - vielleicht gelingen. Seit langer Zeit setzt sich ein Privatmann für ein Mahnmal am Kurfürstendamm ein, das der Bezirk nicht wirklich abgelehnt, aber bisher auch noch nicht realisiert hat. Ein entsprechender Antrag der PDS-Bezirksverordneten Charlottenburg-Wilmersdorf befindet sich derzeit im „Geschäftsgang“, da SPD, CDU und FDP sich nicht durchringen konnten sofort zuzustimmen.
Allerdings gibt es jetzt Hoffnung, dass sich dieser „Geschäftsgang“ nicht mehr allzu lange hinziehen wird... Zu verdanken ist diese der Initiative eines anderen Privatmannes: Hans Wall! „Die Wall AG ist bereit, die Kosten für die Aufstellung dieser (beleuchteten Info-) Stele einschließlich der laufenden Stromkosten zu übernehmen und betrachtet es auch als besondere Ehre, zukünftig sämtliche Wartungs- und Reinigungskosten zu übernehmen.“
Sollte der Bezirk nun weiterhin zögern, einem Mahnmal für die notwendige Erinnerung an einen der Ursprungsorte von Vertreibung und Völkermord zuzustimmen, darf er zumindest keine Kostengründe mehr vorschieben.
Berliner Tagesspiegel, 10.10.2005
Die Humboldt-Universität
stellt sich ihrer Vergangenheit unter zwei Diktaturen
Von Uwe Schlicht
Im Jahre 2010 gedenkt die Humboldt-Universität der 200. Wiederkehr ihres
Gründungstages im Jahr 1810. Dann wird nicht nur die Rede von der
großartigen Leistung des preußischen Staates sein, der in der höchsten Not
der napoleonischen Unterdrückung seine Wiedererstarkung mit der Gründung der
Berliner Universität einleitete. Es werden nicht nur die großen Namen
Wilhelm von Humboldts, Gottlieb Fichtes und Friedrich Schleiermachers
genannt werden, die den Geist dieser Universität prägten. Auch mit 29
Nobelpreisträgern schmückt die Universität ihre Ahnengalerie. Aber es gibt
andere Namen. Leider war die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität seit
1933 so weit in den Nationalsozialismus verstrickt, dass sich die
Humboldt-Universität durch Aufarbeitung ihrer Vergangenheit auf ein
schwieriges Jubiläum vorbereiten muss.
Die aktuelle Aufarbeitung begann nicht erst im Januar 2002 mit einem Antrag
der Offenen Linken, der dominierenden Studentengruppe im Akademischen Senat.
Aber der Antrag der Studentenvertreter, sich kritisch und offen mit der
Universitätsgeschichte auseinanderzusetzen, gab der Entwicklung mehr Druck.
Zu dieser Geschichte gehörten auch die Verstrickungen der Universität in die
Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. durch Wissenschaftler, die zum
Beispiel den „Generalplan Ost“ konzipierten. Auch der Aufbau der
anatomischen Lehrobjektesammlung der Charité hatte von Opfern der
nationalsozialistischen Justiz „profitiert“.
Der Akademische Senat hatte sich die Anregung der Studentenvertreter zu
Eigen gemacht und im Jahr 2002 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die unter der
Leitung von Rüdiger vom Bruch steht, einem ausgewiesenen
Wissenschaftshistoriker. Diese Arbeitsgruppe sollte nicht nur die
Verstrickung der Fachwissenschaften in den Nationalsozialismus aufklären.
Sie sollte sich auch Gedanken darüber machen, ob Orte des Gedenkens in der
Humboldt-Universität geschaffen werden können. Die Überlegungen reichen von
der Errichtung eines Denkmals über Erinnerungstafeln an Gebäuden bis zur
Benennung von Hörsälen nach Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung.
Über diese Form des Gedenkens wird der Akademische Senat nach Vorschlägen
einer inzwischen eingesetzten Kommission erst später entscheiden. Aber
immerhin liegt jetzt eine zweibändige erste Aufarbeitung der NS-Zeit an der
Friedrich-Wilhelms- Universität vor – und das quer durch die Disziplinen.
Diese Zusammenstellung steht unter Verantwortung des Historikers Rüdiger vom
Bruch, der als Experte auch vom Berliner Abgeordnetenhaus angehört wurde.
Eine Folge dieser neuen Hinwendung zur Vergangenheit war außerdem eine
Ringvorlesung über „Die Berliner Universität unter dem Hakenkreuz“.
Es ist bekannt, dass die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität schon in
der Kaiserzeit willfährige Vertreter der herrschenden konservativen Meinung
in ihren Reihen hatte. Ebenso ist bekannt, dass die Bücherverbrennung auf
dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, vom 10. Mai 1933 nicht nur von
Nationalsozialisten inszeniert worden war, sondern auch von studentischen
Corps und Burschenschaften aus der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität.
Doch nur Eingeweihte wussten bisher davon, dass nach dem Vorstoß der
deutschen Armeen in die Sowjetunion von Agrarwissenschaftlern der
Friedrich-Wilhelms-Universität im Auftrag der SS der „Generalplan Ost“
entwickelt worden war. Er sah vor, das neue Siedlungsgebiet bis zur Wolga
und darüber hinaus das Gebiet bis zum Ural für eine deutsche
Lebensraumpolitik zu nutzen. Vorgesehen waren große Umsiedlungsaktionen, die
Dezimierung der Slawen und deren Degradierung zu Arbeitssklaven.
Die eroberten Ostgebiete sollten in ein „rassenbiologisches und
bevölkerungspolitisches Experimentierfeld“ verwandelt werden. In der
nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik war geplant, 45 Millionen Slawen
aus den Gebieten westlich des Urals zu evakuieren, „wobei eine Verlustquote
von 30 Millionen Menschen von vornherein einkalkuliert wurde“, schreibt
Hans-Ulrich Wehler in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ über den
„Generalplan Ost“. Bekanntlich hatte die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg 25
Millionen Tote zu beklagen. Ein Großteil von ihnen, darunter Millionen von
Kriegsgefangenen, ließ man verhungern oder nahm sie als Opfer der
verbrannten Erde in Kauf.
Nach den Forschungen der Arbeitsgruppe der Humboldt-Universität hat der
Berliner Agrarökonom Konrad Meyer im Frühjahr 1942 den „Generalplan Ost“ dem
Reichsführer SS Heinrich Himmler übergeben. Der Plan enthielt für die
eroberten Gebiete in der Sowjetunion ein detailliertes Siedlungskonzept in
der Landwirtschaft, der Industrie und Stadtplanung bis hin zur Schätzung der
voraussichtlichen Kosten. Konrad Meyer war zugleich hochrangiger
Funktionsträger in der SS und nahm im nationalsozialistischen
Reichsforschungsrat eine führende Position ein. Dennoch wurde Konrad Meyer
auf dem achten Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess freigesprochen, weil es
ihm gelang, seinen Plan als Grundlagenforschung und statistische
Aufarbeitung von Datenmaterial zur Bevölkerungsentwicklung auszugeben. 1956
wurde Konrad Meyer auf einen Lehrstuhl an der Technischen Hochschule
Hannover berufen.
Aber es gab auch andere Agrarwissenschaftler an der Berliner Universität:
etwa Constantin von Dietze, der wegen seiner christlichen Gesinnung auf
Druck des nationalsozialistischen Landwirtschaftsministers Richard-Walter
Darré nach Freiburg versetzt wurde. Dort schloss er sich dem
Bonhoeffer-Kreis an und wurde nach dem 20. Juli 1944 wegen Hochverrats
inhaftiert. Das Dilemma eines Wissenschaftlers in der damaligen Zeit
beschrieb Dietze später mit den Worten: „Aber wer Professor im Dritten Reich
war, der konnte nicht schuldlos bleiben, auch der beste nicht, auch
diejenigen nicht, die im Kampfe gegen das Regime ihr Leben bewusst
einsetzten und verloren.“ Eine positive Rolle spielte auch der Berliner
Professor und Pharmakologe Otto Krayer, der eine Berufung an die
Medizinische Hochschule Düsseldorf mit der Begründung ablehnte, dass „der
dortige Lehrstuhl durch Vertreibung eines jüdischen Kollegen vakant geworden
war“.
In dem von Rüdiger vom Bruch herausgegebenen Geschichtswerk „Die Berliner
Universität in der NS-Zeit“ wird ein sehr ambivalentes Bild über die
Friedrich-Wilhelms-Universität in den Jahren 1933 bis 1945 gezeichnet. Nach
den bisherigen Erkenntnissen habe es aus der Universität heraus „keinen
Widerstand gegen die NS-Maßnahmen gegeben“, allenfalls „einzelne private
Äußerungen von Distanz und Abscheu“, obwohl die Zahl der Wissenschaftler,
die aus rassischen Gründen ihre Position in der Universität verloren, nicht
gerade gering war. Vom Generationswechsel, der durch die Vertreibung der
Juden ausgelöst wurde, profitierten Nachwuchswissenschaftler, die zu Zeiten
der Weltwirtschaftskrise um 1930 als „Angehörige einer chancenlosen
Generation“ gegolten hatten. Nun nutzten sie ihre neue Position als
Opportunisten oder glühende Anhänger der nationalen Revolution.
Charakteristisch für diese Generation ist Alfred Baeumler, der 1933 berufene
Verkünder einer neuen NS-Pädagogik. Baeumler sprach sich für den Vorrang der
Politik in der Pädagogik aus und begründete das so: „Politik ist das auf die
Volksordnung gerichtete Handeln des Führers, an dem jeder Einzelne in Treue
gegen den Führer an seiner Stelle aus eigener Verantwortung teilnimmt…Hat er
den politischen Auftrag verstanden und übernommen, so ist er frei.“
Vom Bruch kommt zu dem Ergebnis, dass die Friedrich-Wilhelms-Universität
trotz ihrer exponierten Lage in der „Reichshauptstadt“ keine „spezifische
Hochburg von NS-Wissenschaft“ gewesen sei. Einzelne Wissenschaftler hätten
ihr Know-how geschickt ausgespielt, hatten aber Probleme, in dem
verwirrenden Machtspiel der nationalsozialistischen Elite „auf das richtige
Pferd zu setzen. Verlierer in diesem Kompetenzgerangel konnten sich
allerdings dann nach 1945 mit einigem Geschick als Opfer und Widerständler
des NS-Systems stilisieren.“
Nach 1945 gab es einerseits eine große Säuberung. Andererseits jedoch eine
„bemerkenswerte Kontinuität“ – und das in der Sowjetischen Besatzungszone
und späteren DDR, die sich ihrer antifaschistischen Haltung rühmte. Dafür
steht die Weiterbeschäftigung des weltbekannten Chirurgen Ferdinand
Sauerbruch, der „im Reichsforschungsrat im Prinzip auch über alle hier
geförderten medizinischen Menschenversuche informiert“ war. Sauerbruch war
kein Einzelfall – die Berliner medizinische Fakultät und damit die Charité
„wies vor 1945 den höchsten Anteil an Parteigenossen auf. Noch nach 1960
waren die meisten NS-belasteten Universitätsmediziner auch an
DDR-Universitäten in Amt und Würden.“
Vom Bruch spricht von ungemein effizienten „Entlastungs- und
Schweigekartellen“ in der Wissenschaft – im Osten wie im Westen. Vor dem
Akademischen Senat forderte er daher unlängst, über die Forschungen zur
NS-Zeit hinaus den Blick auch auf Kontinuitäten und Brüche nach 1945 zu
richten. Das traf auf keine ungeteilte Zustimmung, da die Studentenvertreter
der Offenen Linken, die 2002 den „Generalplan Ost“ zum Ausgangspunkt ihrer
Forderung nach historischer Aufklärung gemacht hatten, nun den Verdacht
äußerten, die NS-Diktatur könnte mit der DDR in eine Reihe gestellt werden.
Vom Bruch wies diesen Verdacht zurück: „Von einer Gleichsetzung kann keine
Rede sein.“
„Die Berliner Universität in der NS-Zeit“, herausgegeben von Rüdiger vom
Bruch und Christoph Jahr. Franz Steiner Verlag 2005, zwei Bände, 565 Seiten.
23 Euro, ermäßigter Preis für Studenten.
Das Leid des Nachbarn.
Plädoyer für ein Zentrum des polnischen Martyriums in Berlin
Von Stephan Hambura
Berliner Tagesspiegel, 3. Jan. 2006 (Meinungsseite 6)
Der Vorschlag, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, schlug große Wellen in Polen und beeinträchtigte seitdem die gegenseitigen Beziehungen. Die Formulierungen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hat diese Auseinandersetzung nicht beendet. Im Gegenteil: Sie lässt viele Möglichkeiten für Deutungen offen.
Dort heißt es: Die Koalition bekennt sich zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen, um - in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität über die bisherigen Länder Polen, Ungarn und Slowakei hinaus - an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten.
Einerseits wird vorgeschlagen, die Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“, die am 2. Dezember letzten Jahres im Bonner Haus der Geschichte eröffnet wurde, nach Berlin als „sichtbares Zeichen“ zu holen. Andererseits wird unterstrichen, dass Angela Merkel wenige Tage, bevor sie zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, ganz deutlich sagte, dass sie das Anliegen der Vertriebenen zu ihrer persönlichen Angelegenheit machen wolle. Es gibt und es wird also noch viele andere Vorschläge geben. Dennoch steht es fast fest, dass es „auch in Berlin ein sichtbares Zeichen“ geben wird. Dieses sichtbare Zeichen als Erinnerung an Vertreibung wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn zugleich an die vielen Toten und Ermordeten in Polen sowie an das Leid der polnischen Nation erinnert werden würde.
Vor der Flucht und Vertreibung der Deutschen gab es den Überfall auf Polen am 1. September 1939., der zugleich den Beginn des Zweiten Weltkrieges bedeutet. Dass „Ein Zentrum des polnischen Martyriums“ im Zentrum von Berlin erforderlich und notwendig ist, belegt auch das Unwissen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, der im Rahmen einer „Pisa-Simulation“ nicht wusste, in welchem Jahr der Zweite Weltkrieg begann. Wowereit ist nicht der einzige Politiker mit Lücken in deutsch-polnischen Angelegenheiten. Vor ihm verwechselte der damalige Bundespräsident Roman Herzog im Jahre 1994 den Warschauer Aufstand mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto im Jahre 1943. Erst als zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes Gerhard Schröder als Bundeskanzler im vorletzten Jahr in Warschau weilte, drang diese Tatsache in das bundesrepublikanische Bewusstsein ein und damit die Zahl der etwa 250.000 ermordeten Warschauer.
Diese Beispiele belegen exemplarisch, dass wir in Deutschland sehr wenig über das Schicksal und die Leiden der Polen im Zweiten Weltkrieg wissen: wie die Tatsache, dass Polen als Untermenschen zur Zwangsarbeit gezwungen oder willkürlich von der Straße und im Falle der polnischen Intelligenz und des polnischen Klerus systematisch in Konzentrationslager geschickt wurden, in denen sie oft den Tod fanden. Deshalb verwundert es nicht, wenn in der deutschen und internationalen Presse von polnischen Konzentrationslagern geschrieben wird. Richtig heißt es: deutsche Konzentrationslager auf dem Gebiet des besetzten Polens. Des Weiteren ist unbekannt, dass über 800 polnische Dörfer während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen niedergebrannt und deren Bevölkerung ermordet wurde. In einem polnischen Dorf in Skierbieszów in der Nähe von Zamosc ist der gegenwärtige Präsident Horst Köhler im Jahre 1943 geboren worden. Ein Spiegel-Online-Journalist verlegte vor kurzem diesen Ort nach Warthegau.
Es ist der Präsidentin des BdV Erika Steinbach zuzustimmen: Zu lange wurden Ängste geschürt und falsche Emotionen geweckt. Nun ist es an der Zeit, zur sachlichen Diskussion zurückzukehren. Diese kann aber nur dann geführt werden, wenn wir in Deutschland, auch in Berlin, über unser Nachbarland Polen und seine Geschichte Bescheid wissen. Dazu gehört auch das Wissen über die Leiden, die aus deutscher Hand Polen angetan wurden. Ein „Zentrum des polnischen Martyriums“ in Berlin ist dafür eine Voraussetzung. Erst dann kann über ein anderes „sichtbares Zeichen“ in Berlin gesprochen werden.
- Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin und Verfasser des Reparationsgutachtens für das polnische Parlament.
heute im Bundestag - 21.03.2006
Kultur und Medien/Kleine Anfrage
Berlin: (hib/MPI) Die Fraktion Die Linke macht sich für eine stärkere öffentliche Aufarbeitung des Generalplans Ost der Nationalsozialisten stark. In einer Kleinen Anfrage (16/973) setzt sie sich dafür ein, dass dazu der Verein zur Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa gefördert werden soll, etwa im Rahmen des Hauptstadtkulturfonds. Der "Generalplan Ost" vom Mai 1942 sah vor, die "deutschen Ostkolonien" durch Besiedlung zu germanisieren und "heim ins Reich" zu holen. Auf seiner Basis wurden Tausende polnische Zivilisten vertrieben und ermordet sowie Hunderte Ortschaften zerstört. Die Linke will nun unter anderem wissen, wie die Bundesregierung verhindern will, dass diese Verbrechen vergessen werden. Zudem fragt sie danach, in welcher Weise die Regierung "die Erinnerung an die Zerstörung von rund 400 Museen durch die faschistischen Besatzer in der besetzten Sowjetunion" pflegt.
Quelle: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_091/13
Ausdruck aus dem Internet-Angebot des Deutschen Bundestages
© Deutscher Bundestag, 2007Internet-Adresse http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_091/13.html
Nach dem Führerprinzip: Die DFG stellt sich ihrer Geschichte in der NS-Zeit
- und darüber hinaus. Von Hans von Seggern
Berliner Tagesspiegel, Montag, 3. April 2006 Seite 25
„Was wir heute an menschlicher Kultur, an Ergebnissen von Kunst, Wissenschaft und Technik vor uns sehen, ist nahezu ausschließlich schöpferisches Produkt des Ariers“, hießt es in Hitlers „Mein Kampf“. Was der Landsberger Häftling Mitte der 20er Jahre zu Protokoll gab, sollte ein Jahrzehnt später Richtschnur deutscher Wissenschaftler werden. In aller Welt sollte nun die Suche nach dem verlorenen Großreich des Urgermanentums beginnen, dessen Ausdehnung sich von Island bis zu den Azoren, von Zentralasien bis nach Südameriak erstreckt haben sollte. Eine zentrale Rolle spielte hierbei die Organisation „Ahnenerbe“, „wissenschaftlicher“ Arm der SS und damit die institutionalisierte Form des völkischen Dilettantismus, den deutsche Hochschullehrer vor 1933 noch gegeißelt hatten.
Die Untermauerung der Fantasien von der „Weltstellung unseres Volkes“ geht Hand in Hand mit Planungen zur Besiedlung des europäischen Ostens nach dem Sieg des Deutschen Reiches über die Sowjetunion. In welchem Maße die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sich an dem völkischen Großvorhaben und an Forschung zu menschenverachtenden Zwecken beteiligte, ist Gegenstand eines gigantischen Forschungsprojektes, das DFG-Präsident Ernst Ludwig Winnacker im Jahr 2000 ins Leben rief. Jetzt steht das von den Historikern Ulrich Herbert (Freiburg) und Rüdiger vom Bruch (Berlin) geleitete Projekt vor der Vollendung: Zwei von 24 Arbeiten zur Geschichte der DFG von 1920-1970“ sind soeben erschienen, die meisten übrigen erscheinen in Bälde. Die Forscher stützen sich dabei auf Archivmaterial der Bundesarchive Koblenz und Berlin-Lichterfelde sowie der DFG-Geschäftsstelle in Bonn. Das Themenspektrum des Mammutprojekts reicht dabei von Untersuchungen zu Indogermanistik und Volkskunde über Tropenmedizin, Krebsforschung und „Vierjahresplan-Chemie“ bis hin zur Erforschung effizienter Methoden der Stallmiststapelung.
Tatsächlich ist die Agrarwissenschaft „eines der letzten Dunkelfelder der deutschen Forschungslandschaft“, so der Freiburger Historiker Willi Oberkrome. Was heute kurios erscheinen mag, ist von zentraler Bedeutung für die Expansionspläne des NS-Regimes. Von der „Germanisierung des Ostens“ erwartet man sich eine „Neubildung des Bauerntums“, das als „Bedingung“ der deutschen „Volksfreiheit“ die „Nahrungsfreiheit“ gewähren soll. Der von der SS forcierte biologisch-dynamische Anbau spielte dabei eine Nebenrolle. Prägender ist die mit Nachdruck betriebene Rationalisierung der Landwirtschaft, die „Aufrüstung des Dorfes“. Wie die Recherchen der Historikerin Isabel Heinemann ergaben, investierte die „nach dem Führerprinzip strukturierte DFG“ nicht weniger als eine halbe Million Reichsmark in die Forschungen des Berliner Agrarwissenschaftlers Konrad Meyer, der im Juni 1942 dem selbst ernannten „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“, Heinrich Himmler, seine Resultate vorlegt. Meyers „Generalplan Ost“ ist seither zum Inbegriff menschenverachtender „Raumplanung“ geworden, ginge es doch um die Etablierung der deutschen Hegemonie in Osteuropa unter dem Diktat „völkischer Erneuerung und Aufartung“. Nicht der „politisch radikalisierte Rand der Disziplinen“ habe also die rassistische Aggression der SS in Form eines „Generalsiedlungsplans“ legitimiert, sondern die wissenschaftlichen Hilfstruppen kamen „aus der Mitte von ‚seriösen‘ Forschung“, sagt Heinemann.
Mehr als „Schurkenforschung“ wolle man betreiben, so begründet man den Ansatz, ein halbes Jahrhundert DFG-Geschichte und nicht nur zwölf Jahre unter der NS-Herrschaft erforschen zu wollen. Wie die Forschungen der DFG Wissenschaftler zeigen, ist die nach 1945 von deutschen Hochschullehrern demonstrierte Distanz zur NS-Vergangenheit bis in die späten sechziger Jahre hinein häufig eher rhetorischer als inhaltlicher Art. So kratzt man vor einem „Tasterzirkel“, den man zur „Rassenbestimmung“ durch Kopfvermessung benutzt hatte, schlicht den belasteten Namen des Frankfurter „Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene“ ab, um ihn weiterverwenden zu können. Und auch Konrad Meyer, der Vater des „Generalplan Ost“, forscht weiter mit Unterstützung der DFG: Das rassistische Großraumdenken ersetzt er nach dem Krieg durch Fragen der Entwicklung europäischer Regionen und des Naturschutzes.
Bei allen interessanten wie deprimierenden Details, die die DFG-Studien zutage fördern, bleiben doch Fragen offen: Wie kam es zu der eilfertigen Ausrichtung der Wissenschaften an den politischen Zielen der neuen Machthaber? Wie konnte sich die kollegiale Solidarität unter den Wissenschaftlern binnen kürzester Frist gegenüber den als „jüdisch“ stigmatisierten Kollegen in Luft auflösen?
Die Antwort ist vermutlich recht einfach: Der neue, rassistische Regierungskurs ab 1933 eröffnete Nichtjuden im akademischen Betrieb neue Karriere-Chancen- Allzu gerne entledigten diese sich einer Konkurrenz, die sich durch Kompetenz und internationales Renommee auszeichnete. Auch wenn die Wissenschaft des Deutschen Reiches damit ihre weltweite Konkurrenzfähigkeit aufgab. Die wissenschaftliche Elite Deutschlands erwies sich damit als nicht weniger korrumpierbar wie die ökonomische und andere Bereiche der Gesellschaft.
Bislang erschienen: Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft. BandI: Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert. Band2: Man, Medicine and the State. The Human Body as an Object of Government Sponsored Research, 1920-1970 (beides Stuttgart 2006).
Informationen im Internet: http://projekte.geschichte.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte
Trybuna Nr. 126 (4940) / Mittwoch, den 31. Mai 2006, S. 11.
Von Izabella Jachimska, Berlin
Deutschland – Wird des Generalplan Ost doch noch gedacht?
Das gebrochene Schweigen
Matthias Burchard, Absolvent der Agrarfakultät der Humboldt Universität zu Berlin, erinnert an die Helden aus den Romanen von Stefan Żeromski. Seit nunmehr vier Jahren kämpft er darum, in seiner Heimat eine Ausstellung über den so genannten Generalplan Ost zu veranstalten. Ohne Unterstützung seitens Polen hat aber sein Vorhaben keine größeren Aussichten auf Erfolg.
Am 28. Mai jährt sich wieder einmal der Tag, an dem 1942 Prof. Konrad Mayer, Mitglied der SS, Direktor des Instituts für Landwirtschaft und Agrarpolitik und Leiter der Abteilung des III. Reichskommissariats für Festigung des Deutschtums, Heinrich Himmler einen 64-seitigen Entwurf des berüchtigten Generalplan Ost übersandt hat. Das Ziel dieses Planes bestand darin, eine neue Ordnung aufzubauen und die eroberten Gebiete in Osteuropa durch Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen von Dutzenden Millionen dort lebender "Untermenschen" zu germanisieren.
Waren nach den Angaben des Generalplan Ost sogar 50 % der Franzosen, Tschechen und Slowaken germanisierungsfähig, so lag dieser Anteil im Falle der polnischen Bevölkerung nach Einschätzung der Verfasser bei weniger als 1 %. Nach den mörderischen Plänen der nationalsozialistischen Beamten sollten über 30 Millionen Polen und anderer Slawen in unfruchtbare Gebiete deportiert und damit zum Hungerstod verurteilt werden. Es war eben der Generalpan Ost, in dessen Rahmen 110.000 Polen und Juden aus 280 Dörfern und Siedlungen im Gebiet von Zamość vertrieben wurden, um Platz für deutsche Siedler zu machen. Von den damals durchgeführten Aussiedlungen blieben auch 30.000 polnische Kinder nicht verschont. Viele von ihnen wurden nach Deutschland gebracht, wo sie germanisiert werden sollten.
"Ein EU-Fonds, vielleicht aber auch ein Stipendium?" – Solche Antworten bekommt man mitunter von deutschen Gymnasiasten auf die Frage nach den Einzelheiten "des größten Verbrechens der NS-Diktatur" (so der Dekan der Agrarfakultät der Humboldt Universität zu Berlin) zu hören. Das Wissen darüber, worum es bei dem Generalplan Ost im Einzelnen ging, ist bei unseren westlichen Nachbarn spärlich und im Grunde auf den Kreis der Fachhistoriker beschränkt. Die Deutschen wissen über den Holocaust, die Luftangriffe der Alliierten gegen Dresden und die Leiden der Vertriebenen Bescheid. Gleichzeitig "vergessen" bekannte Politiker, wann der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist, und in den Medien kommt es schon mal vor, dass Auschwitz als "ein polnisches Konzentrationslager" bezeichnet wird. Über den Plan, einen millionenfachen Völkermord im Rahmen des Generalplan Ost zu begehen, weiß dagegen niemand. Und so gibt es auch bis zum heutigen Tag in der deutschen Hauptstadt dazu kein einziges öffentliches Gedenkobjekt.
Matthias Burchard, der Gründer des Vereins zur Völkerverständigung mit Mittel-, Ost- und Südeuropa e.V., beschloss, das zu ändern. "Meiner Ansicht nach kann es zu einer wahren Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen nur dann kommen, wenn der Vorhang des Schweigens über die Ereignisse von damals niedergerissen wird", sagt Burchard. "Werden alle historischen Fakten nicht endgültig geklärt und wird unserer Öffentlichkeit nicht bewusst gemacht, was für eine Politik die NS-Behörden gegenüber dem polnischen Volk betrieben haben, dann wird es den Vertriebenen und gewöhnlichen Deutschen schwer fallen, den Verlust ehemals deutscher Gebiete im Osten nachzuvollziehen."
Matthias Burchard ist Agraringenieur und Absolvent derselben Fakultät, an der während des Zweiten Weltkrieges der Generalplan Ost erarbeitet wurde. Sein Vater kommt aus der Umgebung von Königsberg. Dort hat er sein Hab und Gut zurückgelassen und ließ sich nach dem Krieg in Niedersachsen nieder. Vor einigen Jahren ist Matthias Burchard auf einer Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg auf den Urheber eines Plans zum massenhaften Völkermord aufmerksam geworden. Zu seiner Überraschung handelte es sich dabei um Prof. Konrad Meyer, den [ehemaligen] Direktor seiner Agrarfakultät. "Ich fing an, mich dafür immer mehr zu interessieren. Und allmählich fasste mich das Entsetzen, dass an meiner Fakultät ein derart verbrecherischer Plan erarbeitet werden konnte. Und als wäre das nicht schon schlimm genug – niemand wusste etwas davon. Weder Studierende noch Dozenten", erzählt er.
Matthias Burchard beschloss, als erster das Schweigen zu brechen. So wandte er sich im November 2002 in einem Schreiben an den Dekan der Agrarfakultät mit der Bitte, die Leitung der Universität möge hierzu Stellung nehmen. Burchard organisierte in der Folgezeit diverse Streikposten, übte Druck aus, was schließlich dazu geführt hat, dass eine Erklärung abgegeben wurde, in der der Dekan klar und deutlich um Vergebung gebeten und den Generalplan Ost als schweres Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt hat. Leider fanden seine Worte, sowohl in Berlin wie in Polen, kaum Beachtung.
Burchard wollte sich aber dadurch nicht entmutigen lassen. Um das historische Bewusstsein der Deutschen zu erweitern, gründete er mit einer Gruppe von Freunden einen Verein und erstellte einen Entwurf für eine große, interaktive Ausstellung über den Generalplan Ost. Er hat auch vor, in Berlin thematische Tafeln in mehreren Sprachen zum Gedenken an das Verbrechen der Zwangsaussiedlungen anbringen zu lassen. Manche polnische Vereine sehen in der Initiative Burchards eine Alternative zu dem von Erika Steinbach geleiteten Bund der Vertriebenen.
Leider ist das Projekt – trotz Befürwortungen führender deutscher Politiker und polnischer Organisationen – auf einem toten Punkt angelangt. Grund? – Fehlende Finanzmittel. Obwohl alle Burchards Bemühungen moralisch unterstützen, ist niemand gern bereit, dafür mehrere Hundert Tausend Euro bereitzustellen.
"Geschichte lässt sich nicht ändern. Man kann aber historische Fakten darstellen, um ein Bewusstein dafür zu schaffen, wie gewichtig politische Entscheidungen für das Schicksal der Menschen sein können und was für dramatische Folgen sie nach sich ziehen können", stellte die Senatorin Dorota Simonides in einem Schreiben an Matthias Burchard fest. Wie soll das aber erreicht werden, wo doch die meisten unserer westlichen Nachbarn keine Möglichkeit haben, sich mit historischen Fakten vertraut zu machen?
"Ich werde schon langsam müde", räumt Matthias Burchard ein. "Meine Bekannten raten mir sogar, ich solle das endlich sein lassen, Staub von meinen Schuhen abschütteln und mir neue Ziele setzen. Mir tut es aber ein wenig um all die Jahre leid, die ich in diese Arbeit gesteckt habe. Und ein bisschen Hoffnung schimmert da immer noch."
Statements:
Wojciech Więckowski, stellvertretender Botschafter der Republik Polen in Berlin
Die Idee des Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hat, der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Generalplan Ost zu gedenken, ist nützlich und unterstützenswert, zumal das Wissen um eines der größten Pläne des nationalsozialistischen Völkermords gering ist. Matthias Burchard ist einer der wenigen, die sich seit Jahren mit der Frage der Zwangsaussiedlungen befassen. Unserer Botschaft liegt daran, dass die Erinnerung an diese Ereignisse wach gehalten und das Wissen darum auch der deutschen Öffentlichkeit nähergebracht wird. Es ist sehr wichtig für die Zukunft – auch die der deutsch-polnischen Beziehungen –, dass wir über die Vergangenheit Bescheid wissen. Wir verfolgen die Bemühungen von Herrn Matthias Burchard mit Sympathie und Wohlwollen und versuchen ihn, im Rahmen unserer Möglichkeiten, zu unterstützen, etwa wenn es darum geht, beim Anknüpfen von Kontakten zu polnischen Historikern, wissenschaftlichen Einrichtungen und Museen oder zu der Wissenschaftlichen Station der Polnischen Akademie der Wissenschaften PAN in Berlin zu vermitteln. Und vielleicht wird es schon bald gelingen, jener Ereignisse wenigstens in Form einer Informationstafel vor dem Gebäude, in dem der Generalplan Ost erarbeitet wurde, zu gedenken.
Irena Lipowicz, ehemalige Beauftragte des Außenministers für deutsch-polnische Beziehungen
Die Bemühung von Matthias Burchard, des Generalplan Ost zu gedenken, war eine jener spontanen deutschen Initiativen, die mich tief beeindruckt und sehr bewegt haben. Bei dem Generalplan Ost handelte es sich um ein institutionalisiertes Verbrechen, in dessen Rahmen Millionen von Polen ermordet werden sollten. Es kommt selten vor, dass jemand aus tiefer Überzeugung unser Verbündeter wird, wenn es darum geht, das wahre Bild der Geschichte zu zeigen und dabei irreführende, ungerechte Ansichten richtigzustellen. Wir haben gemeinsam nach Mitteln und Unterstützung gesucht. Die Gelder, die wir zunächst einmal finden konnten, reichen aber eher nur für eine Plakataktion denn eine richtig angemessene Form des Gedenkens aus. Matthias Burchard ist jemand, der aus einem Gefühl der Reue heraus und im Bewusstein der Sühne für sein Volk, versucht – obwohl er selbst keinerlei Schuld trägt –, einen Beitrag zur Aussöhnung mit Polen zu leisten. Ich wäre froh, wenn sich in Polen Menschen fänden, die sich für diese Idee begeistern und sie aufgreifen könnten. Hierbei könnte etwa das Polnische Historische Institut in Berlin aktiv werden. Prof. Klaus Ziemer und das Deutsche Historische Institut in Warschau sind zurzeit dabei, zusammen mit polnischen Historikern, das erste Handbuch zu verfassen, das ein Bild von der NS-Besatzungszeit in Polen vermitteln soll. Das Thema ist in der deutschen Öffentlichkeit bislang kaum bekannt. Man weiß zwar, dass furchtbare Dinge geschehen sind, aber man weiß nicht, was für welche. (BARW)
Bulletin PL-Botschaft und AA Warschau, Frühjahr 2006
Mitteilung im Bulletin des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Polen und der Botschaft Polens in Deutschland, Warschau, im Frühjahr 2006, (Übersetzung aus dem Polnischen)
Am 6. Februar (2006) fand ein von der
Friedrich Böll-Stiftung veranstalteter Vortrag Matthias Burchards, des
Vorsitzenden des Vereins zur Völkerverständigung mit Mittel-, Ost- und
Südeuropa, zum Generalplan Ost statt. Unter Verwendung von offiziellen
Unterlagen aus der Zeit des Dritten Reiches, Landkarten und Ausschnitten aus
der damaligen Presse legte Burchard detailliert die Grundsätze und Ziele des
Generalplan Ost sowie das Ausmaß seiner Umsetzung dar. Er erinnerte dabei
auch daran, dass der heutige Bundespräsident Prof. Horst Köhler in
Skierbieszów, einem Dorf im Gebiet von Zamość, zur Welt gekommen ist, das
brutal ‚pazifiziert‘ und anschließend von deutschen Siedlern im Rahmen des
Generalplan Ost besiedelt wurde. Burchard beschrieb ferner die seit vielen
Jahren in
Berlin
unternommenen Bemühungen, der Opfer des Generalplan Ost zu gedenken. Diese
Bemühungen stießen aber auf Ablehnung seitens der einzelnen Berliner
Bezirksämter. Zurzeit wird in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Republik
Polen und der Wissenschaftlichen Station der Polnischen Akademie der
Wissenschaften PAN in
Berlin
eine internationale Historikertagung zum Generalplan vorbereitet. Historiker
aus den vom Generalplan Ost betroffenen Ländern sollen dabei einen Text für
Gedenktafel, die dann in
Berlin angebracht werden, erstellen. Während des Vortrags wurde
darüber hinaus eine Kopie eines Atlasses aus der Zeit des Dritten Reiches
gezeigt, in dem die Ziele des Generalplan Ost dargestellt wurden. Die
anschließende Diskussion offenbarte das fehlende Wissen zum Generalplan Ost.
So räumten einzelne Zuhörer ein, dieses Kapitel der Geschichte sei in der
deutschen Öffentlichkeit nicht bekannt. Im Mittelpunkt der Diskussion stand
die Frage der Verantwortung ehemaliger Beamten des NS-Regimes in
Westdeutschland in der Nachkriegszeit.
Im Bundestag notiert: öffentliche Aufarbeitung des Generalplans Ost
heute im Bundestag, 21.6.2006
Kultur und Medien/Kleine Anfrage
Berlin: (hib/MPI) Die Fraktion Die Linke macht sich für eine stärkere öffentliche Aufarbeitung des Generalplans Ost der Nationalsozialisten stark. In einer Kleinen Anfrage (16/973) setzt sie sich dafür ein, dass dazu der Verein zur Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa gefördert werden soll, etwa im Rahmen des Hauptstadtkulturfonds. Der "Generalplan Ost" vom Mai 1942 sah vor, die "deutschen Ostkolonien" durch Besiedlung zu germanisieren und "heim ins Reich" zu holen. Auf seiner Basis wurden Tausende polnische Zivilisten vertrieben und ermordet sowie Hunderte Ortschaften zerstört. Die Linke will nun unter anderem wissen, wie die Bundesregierung verhindern will, dass diese Verbrechen vergessen werden. Zudem fragt sie danach, in welcher Weise die Regierung "die Erinnerung an die Zerstörung von rund 400 Museen durch die faschistischen Besatzer in der besetzten Sowjetunion" pflegt.
Quelle: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_091/13
Ausdruck aus dem Internet-Angebot des Deutschen Bundestages
Internet-Adresse http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_091/13.html
© Deutscher Bundestag, 2007
Miszellen:
5. Vergangenheitsbewältigung an der HUB
BULLETIN für Faschismus- und Weltkriegsforschung, Heft 27, 2006
Auch der Hund, der zur Jagd getragen werden muß, will hinterher gelobt werden und seinen Anteil an der Beute haben. Bulletin veröffentlichte in den Heften 18 (S. 146 ff) und 24 (S. 134 ff) Dokumente zum Umgang der Humboldt-Universität mit der wissenschaftlichen Planung und Begründung der Vernichtungspolitik der Nazis durch Wissenschaftler der Universität, insbesondere zu Konrad Meyers „Generalplan Ost“. Unter dem Druck studentischer Initiativen und der Öffentlichkeit sah sich der Akademische Senat gezwungen, seinen dilatorischen Umgang mit diesem Teil der Universitätsgeschichte aufzugeben und im Januar 2002 eine Arbeitsgruppe „zum öffentlichen Umgang mit den Verstrickungen der Universität in die NS-Vernichtungspolitik“ zu berufen. Die im Namen enthaltene Anklage wurde bald entfernt und die Kommission umbenannt: „Die Berliner Universität und die NS-Zeit – Erinnerung, Verantwortung, Gedenken.“ Auf einem Symposium am 28. Und 29. Januar 2005 stellte Christoph Jahr die Bilanz der mehrjährigen Tätigkeit der Arbeitsgruppe vor, als abschließender Ergebnisbericht wurde sie am 22. April 2005 dem Präsidenten übergeben.
Der Bericht zählt 26 Sitzungen der Arbeitsgruppe zwischen Mai 2002 und April 2005 auf. Das Mißverhältnis zwischen dieser Zahl und den Resultaten ist unübersehbar und wurde im Vortrag von Christoph Jahr auch eingeräumt. Das einzig greifbare Resultat ist eine seit 2003 über drei Semester gehaltene Rundvorlesung, die in zwei Bänden gedruckt vorliegt. (Die Berliner Universität unter dem Nationalsozialismus, Bd. 1 hg von Christoph Jahr, Bd 2 hg. von Rüdiger vom Bruch, Stuttgart 2005). Einen Beitrag über den „Generalplan Ost“, der schließlich den Ansatzpunkt zur Einsetzung der Arbeitsgruppe bildete, sucht man dort vergeblich. Auch wenn die Arbeitsgruppe eine Veranstaltung der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät zum 60. Jahrestag des von Konrad Meyer entworfenen Plans zur Germanisierung des Ostens sich selbst als Leistung zuschreibt, hat sie im Verlauf von drei Jahren noch nicht einmal eine Übersetzung der Erklärung der Fakultät in die Sprachen der hauptbetroffenen Völker, ins Polnische und Russische, vorangebracht.
Mit der Einsetzung der Arbeitsgruppe führte die Leitung der Universität ihre Politik der Blockade in modifizierter Form fort. Die Arbeitsgruppe diente als Feigenblatt: Mit dem Verweis auf sie glaubte das Unipräsidium dem Druck von außen enthoben zu sein. Während die Arbeit der Gruppe weitgehend einschlief, diente sie permanent als Alibi, um kritische Fragen abzuweisen. So schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe: Aktivitäten der Universität zur Erforschung ihrer Geschichte in der Nazizeit wurden monopolisiert und unter Kontrolle gehalten, gleichzeitig von außen herangetragene weitergehende Forderungen abgewiesen und selbständige studentische und andere Initiativen ausgegrenzt. Der universitäre Monopolanspruch implizierte, alle Fakultäten einzubeziehen. Das mißlang. Angesichts der offiziellen Geringschätzung nahmen auch wichtige Fakultäten diese Arbeitsgruppe nicht allzu ernst, weder entsandten sie Mitglieder noch strengten sie eigene Forschungen an. Der Abschlußbericht nennt die Namen von acht ständigen Mitgliedern, von denen allein drei zum Lehrstuhl Wissenschaftsgeschichte gehören, dessen Leiter, Rüdiger vom Bruch, auch der Arbeitsgruppe von Amts wegen vorstand.
Während die Arbeit universitärer Wissenschaftler am „Generalplan Ost“ in der Tätigkeit der Arbeitsgruppe, in der Rundvorlesung und ihrer Publikation an den Rand rückte bzw. aus ihr verschwand, rückten die Tätigkeit universitärer Mediziner, insbesondere Psychiater, beim Mißbrauch von Medizin und Psychiatrie in der Nazizeit inhaltlich in den Vordergrund. Die Charité unterhält am Institut für Geschichte der Medizin eine Forschungsstelle Zeitgeschichte. Dennoch ist die Zusammenarbeit der Charité mit der Nazijustiz beim Neuaufbau ihrer Sammlung anatomischer Lehrobjekte, also die Forschungen an Leichen justizförmiger Mordopfer, im Abschlußbericht der Arbeitsgruppe sprachlich verharmlost worden.
Die selbstgestellte Hauptaufgabe der Arbeitsgruppe indes, Formen öffentlichen Gedenkens zu entwickeln, blieb ungelöst und sollte dem Colloquium vom Januar 2005 übertragen werden. Hier wurden in vier nicht öffentlich tagenden Gruppen Vorschläge zur Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer erarbeitet und zusammengestellt.
Im Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe an den Senat wird u.a. vorgeschlagen:
1. Einrichtung eines Universitätsmuseums
2. Entwurf eines oder mehrerer Denkmäler an Standorten der Universität, Einrichtung eines eigenen Gedenkorts an der Charité für die Opfer medizinischer Verbrechen
3. Erinnerung an die Opfer der Berufsverbote durch Gedenktafeln und ein Gedenkbuch
4. Benennung von Gebäuden und Hörsälen nach Opfern (z.B. nach dem Pharmakologen Otto Krayer), Ausschreibung von Preisen und Stipendien
5. Erarbeitung von Broschüren für Universitätsangehörige und –besucher
6. Neue Texte für Portraits der Rektoren zur Nazizeit, entsprechend in den Galerien der Fakultäten
7. Einrichtung einer spezifischen Webseite der HUB, spezifischer Handapparate in der Universitätsbibliothek und den Fachbibliotheken
(...)
10. Übersetzung der Erklärung der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät
und des Präsidenten von 2002 ins Russische und Polnische und Aufnahme in die
Homepage der Universität
Von diesen Vorschlägen waren einige der Unileitung seit Jahren unterbreitet worden, sie hat es bis heute vermieden, auch nur einen davon zu verwircklichen und Versuche zur Anbringung von Gedenktafeln rigoros unterbunden.
Ungeachtet der von der Arbeitsgruppe des Akademischen Senats der HUB selbst eingeräumten Dürftigkeit der Ergebnisse ihrer fast dreijährigen Tätigkeit trug deren erster Vorsitzender, Rüdiger vom Bruch, vor dem Ausschuß für Wissenschaft und Forschung des Berliner Abgeordnetenhauses am 4. Mai 2005 eine geschönte Erfolgsbilanz vor. Der Ausschuß befasste sich auf Antrag aller Fraktionen fast vier Stunden mit der „Aufarbeitung der Verstrickung in den Nationalsozialismus durch Berliner Wissenschaftseinrichtungen“. Wie bekannt, untersuchten und dokumentierten Wissenschaftler der Berliner Universität der Künste und der Technischen Universität aus eigener Initiative die Tätigkeit ihrer Vorläufer in der Nazizeit – selbständig und erheblich früher und gründlicher als die HUB. Mittäterschaft begrifflich auf „Verstrickung“ zu reduzieren, wie vom Bruch es vor dem Ausschuß tat, entwertet selbst seine dürftigen, weil nur allgemeinen Aussagen über die „bemerkenswerte Kontinuität durch ungemein effiziente Deckungs-, Entlastungs- und Schweigekartelle“. Die anschließenden Ausführungen der Vertreter der Charité belegten, daß es sich hier keineswegs um eine Verstrickung in Verbrechen anderer handelte. Mehrere der im Nürnberger Ärzteprozeß verurteilten Mediziner gehörten zum Lehrkörper dieser medizinischen Fakultät. Entsprechende Arbeiten an der Universität der Künste waren da konkreter. Aber deren Verfasser waren zu jener Ausschußsitzung offenkundig nicht eingeladen. Für alle Hochschuleinrichtung sprach Rüdiger vom Bruch, für die außeruniversitären Reinhard Rürup.
"Angemessenes
Gedenken" an „Generalplan Ost“-Verbrechen?
Bulletin der Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung ;
Über den Umgang der Humboldt-Universität mit dem „Generalplan Ost“ (GPO) als Teil ihrer Geschichte hat Bulletin mehrfach berichtet (Hefte 18, 27, 28). Für Mai oder Juni 2007 steht ein Schritt in die Öffentlichkeit an, die Aufstellung der ersten deutschen Mahn- und Gedenkstele zum „Generalplan Ost“ auf dem Kurfürstendamm 140 – 143. Die Genehmigung hierfür zu erwirken und einen Sponsor zu finden hat drei Jahre gebraucht. Neben zwei PDS-Mitgliedern der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmsdorf und dem „Verein zur Völkerverständigung“ half hierbei auch das Deutsch-Polnische Bildungswerk e.V.. Der Durchbruch gelang Anfang 2005, als überraschend der Berliner Unternehmer Hans Wall die vollständige Kostenübernahme für eine beleuchtete Informationsstele „Generalplan Ost“ zusagte, die laufenden Stromkosten und die zukünftigen Wartungs- und Reinigungskosten eingeschlossen. Daraufhin befürwortete selbst der CDU-Baustadtrat in einer Antwort auf die große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Grüne in der BVV eine "angemessene Erinnerung" an die Verbrechen des „Generalplan Ost“. Was aber ist „angemessen“?
Zum 60. Jahrestag des von Prof. Konrad Meyer verfaßten GPO (28. Mai 1942) verurteilte der Fakultätsrat der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität im Mai 2002 diese Planung von Zwangsarbeit und Völkermord für 25 bis 50 Millionen "nicht eindeutschungsfähiger" Mittel- und Osteuropäer als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Dokument in: Bulletin 19, 122 ff. und H. 24, 134 ff). Diese seit Mai 2002 vorliegende Erklärung hat die Öffentlichkeit nur in geringem Maße erreicht. Sie wurde nicht einmal an die Enkel der Betroffenen in Polen oder Rußland geschickt, weder an Opferverbände und Gedenkstätten noch an Wissenschaftseinrichtungen. Ein Symposium der entsprechenden Arbeitsgruppe des Akademischen Senats der Humboldt-Universität am 28./29.1.2005 zum Abschluß ihrer Arbeit fand faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, eine Anhörung im Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses am 4.5.2005 gleichfalls.
Nun soll also eine Stele den Umgang dauerhaft
öffentlich machen. Bekanntlich steckt der Teufel im Detail. Nachdem die
Genehmigung der Stele, die bereits 2003 von zwei Abgeordneten der PDS in der
BVV Charlottenburg-Wilmersdorf beantragt und von vielen Personen und
Initiativen unterstützt worden war, nicht verhindert werden konnte,
entschied das Bezirksamt, die Initiatoren auszugrenzen und die Sache an sich
zu ziehen. Die BVV bildete im Herbst 2005 still und leise eine
Gedenktafelkommission, in die die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Bündnis
90/Grüne Vertreter sowie das Kunstamt und das Heimatmuseum des Bezirks ihre
Leiter entsandten. Auch die Heimatvereine von Wilmersdorf und Charlottenburg
waren vertreten. Da aber diese illustre Kommission unter Leitung der
Vorsteherin der BVV, Dr. Marianne Suhr, nicht über eigene Sachkenntnis zum
GPO verfügte, übertrug sie die Formulierung der Inschrift der Stiftung
„Topographie des Terrors". Der Initiator, der nun aus dem Prozeß
ausgegrenzte „Verein für Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa
e.V.“ hatte eine Fachkonferenz zur Formulierung des Textes vorgeschlagen,
das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Forschung
wollten Geld dafür bereitstellen. Doch die Gedenktafelkommission unter Frau
Dr. Suhr hielt sich selbst für kompetent genug und legte im Oktober 2006
einen unter Ausschluß der Öffentlichkeit erstellten „endgültigen“ Text für
die Informationsstele vor. Er war von Vertretern der Polnischen Botschaft
akzeptiert und von der BVV gebilligt worden. Er lautet:
---------------------------------------------------------------------------------------
Der ‚Generalplan Ost’ wurde am weitesten im Distrikt Lublin in Polen realisiert. Bei der angeordneten ‚Eindeutschung’ der Kreise Zamość und Lublin wurden ab November 1942 über 100 000 Menschen, darunter 10 000 Kinder, von SS-, Polizei- und Wehrmachteinheiten aus 300 polnischen Dörfern vertrieben und – über den Holocaust hinaus – teilweise in Konzentrationslagern ermordet.
Mit der Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen durch Ermordung, Verhungerung, unmenschlich harte Arbeitsbedingungen in Lagern und Deportationen bedrohte das NS-System bis zu 50 Millionen Menschen. Allein der Verlauf des Krieges hat ihrem Martyrium ein Ende gesetzt.
Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
Stiftung Topographie des Terrors.
----------------------------------------------------------------------------------
Der vom Bezirksamt autorisierte Text soll in deutscher,
englischer und polnischer, nicht jedoch in russischer Sprache angebracht und
von einem Bild des Hauses am Kurfürstendamm und einer Karte des Distrikts
Lublin ergänzt werden. Die zu Rate gezogene Stiftung „Topographie des
Terrors“ sorgt für Eigenwerbung: Die Stele soll auf ein von ihr noch zu
verfassendes Merkblatt zum GPO verweisen.
Die Eröffnung der Stelle solle, so die BVV, mit der Eröffnung einer Ausstellung verbunden werden, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Berliner Humboldt-Universität über den GPO zeigen wolle. Die DFG aber tut sich schwer mit ihrer Vergangenheit. In zwei bisher von ihr zu verantwortenden Darstellungen ihrer eigenen Geschichte wird ihr Anteil am GPO vertuscht. Für einen dritten Anlauf vergab die DFG einen Forschungsauftrag über ihre Geschichte 1920-1970 an die Professoren Ulrich Herbert in Freiburg/Br. und Rüdiger vom Bruch in Berlin. Doch der zweite Band ihres Projektes verschweigt das Thema völlig. Eine von der Projektgruppe 2005 veranstaltete Fachtagung schloß die Öffentlichkeit ausdrücklich aus. Die Humboldt-Universität soll nun die erste Station einer Wanderausstellung werden; die Ausstellung selbst wurde bereits am 27. September 2006 in Bonn neben der Gebäude der DFG eröffnet und eine Broschüre verbreitet. Beide minimieren die Rolle der DFG bei der Erarbeitung des GPO. Es ist nicht zu erwarten, daß diese mehr vertuschende als aufklärende Ausstellung auf ihrem Weg nach Berlin noch verändert werden wird.
MB/WR
NR. 303 der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin
Datum: 23. Juni 2007
Senat steckt Mittel zur kritischen Auseinandersetzung mit der Wissenschaftsgeschichte in der NS-Zeit nur in eigenes Projekt
Anja Schillhaneck,
wissenschaftspolitische Sprecherin, erklärt:
Bis heute gibt es kaum wissenschaftliche Publikationen zur Verstrickung von Berliner Wissenschaftseinrichtungen in die Verbrechen des Nationalsozialismus oder generell zur Geschichte der Berliner Wissenschaftsinstitutionen in der NS-Zeit. Es mangelt einfach an Geldgebern. Denn auch hier gilt: Der Kritiker im eigenen Hause ist unbeliebt – auch in der Wissenschaft, wie eine Anhörung im Mai 2005 im Wissenschaftsausschuss zeigte. Dort kam heraus, dass wer sich kritisch mit der damaligen Wissenschaftsgeschichte beschäftigt, oftmals keine Möglichkeiten hat, seine Erkenntnisse zu publizieren.
Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat der Wissenschaftsausschuss daher im September 2005 einstimmig beschlossen, Geld für diese Forschung und Publikationen zur Verfügung zu stellen. Obwohl inzwischen das Geld da ist, werden noch immer keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen finanziert und das wird sich bis zum Ende des Haushalts 2006/2007 auch nicht ändern. So die Antwort des Senats auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Denn die Senatsverwaltung will lediglich eine eigene Informationsbroschüre aus diesem Topf bezahlen. Und die ist nach fast zwei Jahren noch nicht mal fertig.
So war das aber nicht gemeint! Anstatt WissenschaftlerInnen und damit die unabhängige Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Wissenschaftsgeschichte zu fördern, steckt die Wissenschaftsverwaltung das Geld in die eigene Tasche. Das ist kein Kavaliersdelikt – das ist skandalös!
Bündnis 90/Die Grünen fordern deshalb, die Gelder umgehend für den ursprünglichen Zweck freizugeben.
Berliner Woche Nr. 46, Ausgabe Steglitz, 14.
November 2007, Seite 5
Dahlem. Dahlem ist bekannt für seine Villen. In vielen verbirgt sich ein Stück dunkler Geschichte. Deshalb begaben sich Studenten der Freien Universität auf einen Exkurs in die Vergangenheit. Es entstand das Buch „Dahlemer Erinnerungsorte.“
Unter Leitung des Geschichtsprofessors Wolfgang Wippermann begaben sie sich auf die Spuren der Geschichte. „Zum einen wollen wir mit dem Buch zeigen, dass auch unsere Studenten wissenschaftlich arbeiten und Geschichte schreiben. Meist ernten die Professoren die Lorbeeren“, so Wippermann. Hauptanliegen sei gewesen, Orte, an denen sich Geschichte ereignete, wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken. „Oft wird bewusst tabuisiert und verdrängt. Dahlem ist ein historischer Ort der Geschichte vor allem des Nationalsozialismus. Doch es gibt kaum Hinweise darauf“, so der Professor.
Selbst für die positiven und vorbildlichen Ereignisse gäbe es kaum Erinnerungstafeln mit detaillierten Informationen. So widmet sich ein Text dem Haus in der Hortensienstraße 50. In dem unscheinbaren Reihenhaus trafen sich die Mitglieder des Kreisauer Kreises, einer Widerstandsvereinigung zur Zeit des Nationalsozialismus. Zu den Mitgliedern gehörten unter anderem Graf York von Wartenberg, der mit seiner Frau in dem Haus lebte. Von der Erinnerungstafel erfährt der Leser lediglich, dass er in diesem Haus lebte und nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler hingerichtet wurde.
Mit einem Satz wird erwähnt, dass sich der Kreisauer Kreis hier traf. Hinweise darauf, dass Graf von Moltke ebenfalls hier lebte und im Kreisauer Kreis agierte, gibt es hingegen nicht. „Der Umgang mit diesem Ort, der von nationaler Bedeutung ist, ist nicht hinreichend“, so Wippermann. Im Buch wird ausführlich über die Widerstandsgruppe und deren Mitglieder berichtet.
„Erinnerungsverweigerung“ würde auch an anderen
Stellen deutlich. „Gar nichts erinnert an die Stätten mörderischer
Wissenschaft“, kritisiert der Professor. In vier Dahlemer Gebäuden, darunter
das Staatsarchiv in der Archivstraße, wurde von Historikern der „Generalplan
Ost“ ausgearbeitet, der in seiner Endstufe die Ermordung von 50 Millionen
Slawen zum Ziel hatte. Nur eine Gedenktafel im Verborgenen, nämlich in der
Bibliothek des heutigen Bundesinstituts für Risikobewertung, weißt auf die
dunkle Vergangenheit des Gebäudes in der Thielallee 88-92 hin. Während des
Nationalsozialismus befand sich hier die „Rassenhygienische und
erbbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“, die für die
Erforschung und damit auch für die Ermordung der Sinti und Roma
verantwortlich war. Keinen Hinweis gibt es darauf, dass im heutigen
Otto-Suhr-Institut der FU in der Ihnestraße 22 „Rassenforscher“ und Mörder
ihre Forschungen betrieben, die eine wissenschaftliche Grundlage für die
Rassenlehre Nazi-Deutschlands liefern sollten. Otmar Freiherr von Verschuer
arbeitete hier mit menschlichen Präparaten, die ihm KZ-Arzt Josef Mengele
lieferte.
„Täter und Opfer lebten in Dahlem Tür an Tür, und Orte der Verfolgung und
des Widerstandes lagen dicht und gehäuft wie wohl an keinem anderen Ort in
Berlin und Deutschland“, schreibt Professor Wolfgang Wippermann im Nachwort.
An dem Buch haben über 40 Studenten mitgearbeitet. Es soll das Wissen über
die „vergessenen Orte“ weitergeben.“ KM
Dahlemer Erinnerungsorte, Verlag: Frank & Timme, 2007, 29,80 397 Seiten (broschürt), ISBN-10: 3865961444
taz Berlin, 18. Januar 2008
http://www.taz.de/regional/berlin/aktuell/artikel/1/wissenschaft-als-waffe/?src=SZ&cHash=9a3e39304c
Originallayoutansicht hier
Die Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung" befasst sich mit der NS-Vergangenheit deutscher Wissenschaftler. Im Zentrum steht der "Generalplan Ost", der große Vertreibungs- und Besiedlungsplan für Osteuropa. VON DUNJA BATARILO
Eingang zum Hauptgebäude der Humboldt-Universität Foto: Heike Zappe / HU-Referat Öffentlichkeitsarbeit
Festungen, Berge und Wälder. Die Landkarte auf der Stellwand im Foyer der Humboldt-Universität sieht aus wie aus dem Film "Herr der Ringe". Die Karte "Der Neue Osten" ist Teil der Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung", die Mittwoch Abend eröffnet wurde. Nach dem erwarteten Endsieg des nationalsozialistischen Deutschland sollte, so die damaligen Pläne deutscher Wissenschaftler, zwischen Oder und Ural "deutsches Volkstum" entstehen. Dass dafür 31 Millionen jüdischer und slawischer Bewohner "umgesiedelt", also vertrieben und ermordet werden sollten, nahmen sie in Kauf. Die Forscher waren keineswegs gleichgeschaltet, wie gern behauptet wird, sondern boten dem Regime beflissen ihre Dienste an. Bezahlt wurden sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die auch heute noch der größte deutsche Wissenschaftsförderer ist.
Die Wanderausstellung ist ein Ergebnis der Vergangenheitsaufarbeitung, die die DFG seit 1995 in eigener Sache betreibt. Anhand von drei Stellwandgruppen veranschaulicht sie, wie es möglich war, dass ein Heer von willigen Wissenschaftlern sich in den Dienst der Nazis stellte: Schlüsselfigur war der Ämterhäufungsstratege Konrad Meyer. Er war Leiter des Agrarwissenschaftlichen Instituts und langjähriger SS-Führer. 1939 wurde er von Heinrich Himmler damit beauftragt, einen Plan zu entwickeln, wie sich die größenwahnsinnige Fantasie vom tausendjährigen Reich verwirklichen ließe. Drei Jahre später war Meyers Beitrag zum "Generalplan Ost" fertig - entwickelt hauptsächlich von Forschern der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Uni.
"Kein einzelner Bösewicht"
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taz: Herr Markschies, 65 Jahre nachdem Forscher der Humboldt-Universität in ihrem "Generalplan Ost" die Ermordung und Vertreibung von 25 Millionen Menschen empfohlen haben, hat sich die Universität eine Ausstellung dazu ins Haus geholt. Warum erst jetzt?
Christoph Markschies: Es gab ja schon vorher Aktivitäten, zum Beispiel eine studentische Ausstellung an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät. Ich muss sagen, ich selbst habe bei meinem Amtsantritt Anfang 2006 die Universität in diesem Punkt als große Baustelle vorgefunden.
Wer hat da geschludert?
Ich fürchte, da kann man gar keinen einzelnen Bösewicht identifizieren. Das ist so die übliche Mischung aus Unkenntnis, Schlamperei und so weiter. Und natürlich hatte die Generation meiner Eltern Schwierigkeiten mit dieser Aufarbeitung, das muss man ganz klar so sehen. Das ist keine Entschuldigung für die Humboldt-Universität, aber ich denke, das ist bei vielen deutschen Universitäten so.
Der Plan zur Neuordnung und Besiedlung Ost- und Mitteleuropas wurde maßgeblich an der HU entwickelt. Wie kann es sein, dass die Uni sich zu diesem Thema eine Ausstellung der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) ins Haus holt und selbst ihre eigene Rolle nicht weiter reflektiert?
Zur Eröffnung der Ausstellung habe ich in Bonn eine große Rede gehalten, in der ich nur über die Rolle der HU und nicht über die DFG geredet habe. Wir planen zum 200. Jubiläum im Jahr 2010 eine eigene Ausstellung. Es gab auch schon eine Publikation und eine Ringvorlesung zum Thema.
Sie selbst haben gesagt, die "Offenlegung der Schuld" sei die angemessenste Form der Entschuldigung. Die Stellungnahmen der HU haben sich bis jetzt aber sehr stark im akademischen Umfeld abgespielt. Warum gehen Sie nicht an eine breitere Öffentlichkeit?
Es hat ja von meinem Vorgänger und von der landwirtschaftlichen Fakultät schon Erklärungen gegeben. Weitere Worte abzugeben und darum publizistisches Tamtam zu machen, finde ich eher peinlich. Man muss wirklich mit den Leuten, den Überlebenden in Kontakt kommen.
Was heißt das konkret?
Ende Februar wird der Direktor der polnischen Gedenkstätte Majdanek kommen. Mit ihm wird es einen Tag geben, der sich an eine nichtakademische Öffentlichkeit richtet. Wir haben Menschen eingeladen, die Opfer dieser "Umsiedlungspolitik" wurden. Die Ausstellung beschreibt die Faktengeschichte, in dem Rahmen wollen wir das mit konkreten Gesichtern verbinden. Es gibt ja noch Überlebende, die eine Entschuldigung der HU auch noch physisch erleben können, unabhängig davon, wie sie damit umgehen. Das soll kein Historikersymposium werden.
Aber das bewegt sich dann ja wieder im Rahmen der Uni.
An die breite Öffentlichkeit gehen wir vor allen Dingen in Polen. Wir werden im Rahmen unseres Jubiläums in einer Kooperation mit der Uni Breslau unsere Entschuldigung in Form einer Ausstellung auf den Breslauer Marktplatz tragen. Wenn es klappt, werden wir das auch mit einer zweiten Universität in Ostpolen veranstalten. Das braucht alles viel Zeit, angesichts dieser Vorgeschichte und der politischen Großwetterlage muss ich als jemand, der neu im Amt ist, erst einmal Vertrauen aufbauen.
Gibt es Pläne, wie Sie das Thema an die Berliner Öffentlichkeit bringen wollen?
Das ist schwierig, man darf nicht zu viele Einladungen machen, dann kommt keiner. Wir werden zum Jubiläum ein Denkmal in den hinteren Hof stellen. Außerdem sind wir gerade dabei, einen Wettbewerb auszuschreiben, wie man die Wände des Foyers passend gestalten könnte. Bis jetzt hängen ja vor allem Nobelpreisträger in der Universität. Ideen gibt es auf jeden Fall viele.
CHRISTOPH MARKSCHIES ist evangelischer Theologe und Philosoph und seit 2006 Präsident der Berliner Humboldt-Universität. Foto:
Der Generalplan Ost war ein interdisziplinäres Großprojekt von frappierender Detailtreue. Eine Stellwand zeigt Fotos von zwei blonden polnischen Kinderköpfen: Nach Empfehlungen von Rassenforschern wurden sie akribisch vermessen, um ihre "Wiedereindeutschungsfähigkeit" und damit ihre Verwendbarkeit als deutsche Siedler in den Ostgebieten zu ermitteln. 31 Millionen "fremdvölkische" Menschen plante man zu deportieren oder zu ermorden, 14 Millionen sollten als Arbeitssklaven dem Reich dienen. Ziel war, eine gigantische Kornkammer im Osten zu schaffen, die ein völlig autarkes Großgermanien versorgen sollte. Am Agrarwissenschaftlichen Institut plante man den Verlauf von Straßen, Siedlungsstrukturen und Anbauflächen und -formen. Geologen, Klimaforscher, Stadtplaner, Veterinärmediziner, Sprachwissenschaftler - es gab Arbeit und Förderungsmittel genug für jeden, der einen entsprechenden Antrag zu stellen wusste.
Konrad Meyers wurde nach dem Krieg in den Nürnberger Prozessen freigesprochen und konnte seine wissenschaftliche Karriere unbehelligt fortsetzen. "Es geht uns darum, zu erklären, wer die Schreibtischtäter waren, wie umfassend ihre Pläne waren und in welchem politischen Rahmen sie gehandelt haben", sagt Sabine Schleiermacher, Medizinhistorikerin an der Charité und Mitorganisatorin der Ausstellung, bei der Begehung. Christoph Markschies, Präsident der HU, geht in seiner Eröffnungsrede nur im Nebensatz auf die Rolle der "Universität des Mittelpunktes" (Zitat Hegel) in der Vernichtungspolitik der Nazis ein.
Das ist Matthias Burchard nicht genug. Der ehemalige Mitarbeiter der agrarwissenschaftlichen Fakultät hält eine Mahnwache vor dem Eingangsportal. Seit 15 Jahren setzt er sich unermüdlich für eine ehrliche Aufarbeitung der HU-Historie ein. Die DFG-Ausstellung findet er "verharmlosend", sie beschränke sich auf Polen und vernachlässige die Gebiete in der damaligen Sowjetunion. Die Ausstellung wird noch bis zum 23. Februar zu sehen sein, danach wandert sie weiter. Die östlichste Station ist Frankfurt (Oder).
Mörderische Wissenschaft
http://www.neues-deutschland.de/artikel/122524.html
„Wir sahen
Menschen, die etwas heraustrugen, von dem man nicht wusste, was es ist. Es
konnten Menschen oder Lumpenbündel sein. Dann sahen wir, dass es Kinder
waren. Die Kinder von Zamosc.“ Diese Worte sprach eine polnische Frau, die
Deportationen der deutschen Wehrmacht und der SS überlebt hatte in dem Film
„Die Kinder von Himmlerstadt“. Das ergreifende Dokument der mörderischen
NS-Politik in Polen ist zur Zeit im Foyer der Berliner Humboldtuniversität
als wichtigster Teil der Ausstellung „Wissenschaft, Planung, Vertreibung –
der Generalplan Ost der Nationalsozialisten“ zu sehen. Auf zahlreichen
Schautafeln und in Vitrinen wird dokumentiert, wie selbstverständlich sich
führende Wissenschaftler und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) i n
die NS-Politik einfügten.
In
der Ausstellung wird gezeigt, wie die führende deutsche
Wissenschaftsorganisation schon seit Beginn der Weimarer Republik im
Einklang mit der nationalkonservativen und völkischen Rechten auf eine
Revision des Versailler Vertrages. und die „Germanisierung Osteuropas“
setzte. Schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden von der DFG
Forschungen gefördert, die eine Überlegenheit der deutschen über die
slawische Bevölkerung behauptete So verwundert es nicht, dass die DFG nach
1933 wenig Probleme hatte, sich an das nationalsozialistische Regime
anzupassen. „Die große Mehrheit der Wissenschafter wurde nicht
gleichgeschaltet oder missbraucht sondern mobilisierte sich selbst aus
freien Stücken für die NS-Politik“, heißt es in der Ausstellung. Zu dem
zwischen 1934 und 1945 von der DFG beförderten Projekten gehören u.a.
„rassekundliche Untersuchungen bei osteuropäischen Völkern“ sowie
„vergleichende anatomische und anthropologische Untersuchungen an
Kriegsgefangenen fremder Rassen“. Als eine Schlüsselfigur in der Symbiose
zwischen Forschung und NS-Politik wird in der Ausstellung der Berliner
Agrarwissenschaftler Konrad Meyer genannt. Er wurde vom Reichsführer der SS
Heinrich Himmler zum Chef-Umsiedlungsplaner ernannt. Meyer wurde dabei eine
Art Projektkoordinator des Generalplan-Ost, der nie Realität wurde. Doch
schon n die ersten Schritte seiner Umsetzung kosteten zahlreichen Menschen
das Leben. So wurden aus dem Kreis Zamosc mindestens 50.000 Polen
vertrieben. Ihr Schicksal steht im erwähnten Film „Die Kinder von
Himmlerstadt“ im Mittelpunkt. In der Ausstellung wird deutlich, wie die
Umsiedlungspläne des Generalplans Ost und der Massenmord an den Juden
ineinander verwoben waren.
Nachkriegskarriere der Täter
Nach 1945 deckten sich NS-Wissenschafter nach 1945 gegenseitig vor Gericht und sorgten so für ihre Freisprüche. Konrad Meyer setzte in der BRD seine wissenschaftliche Karriere bruchlos fort und wurde Professor für Landesplanung und Raumforschung an der Technischen Universität Hannover. Noch 1964 verfasste er unter dem Titel „Ordnung im ländlichen Raum“ ein wissenschaftliches Standardwerk. Es sollte noch mehr als 40 Jahre dauern, bis die DFG mit der Ausstellung die braune Vergangenheit aufzuarbeiten beginnt.
Das ist auch ein Erfolg des jahrelangen Engagements von Studierenden wie Matthias Burchard. Der Agrarwissenschafter fordert seit Jahren mit Mahnwachen, Ausstellungen und Veranstaltung die Auseinandersetzung seiner Fakultät mit der Vergangenheit ein. Er kritisiert, dass in die Ausstellung und den kostenlosen Katalog die „russische, ukrainische und baltische Opferperspektive“ zuwenig einbezogen sei. Burchard ist in den letzten Jahren auf eigene Kosten in mehrere polnische, russische und ukrainische Städte gefahren und hat mit Wissenschaftlern Kontakt aufgenommen.
Peter Nowak.
Neues Deutschland 19. Jan. 2008
http://bgr.blogsport.de/2009/03/04/fehlerhafte-aufarbeitung/ (siehe Allgemeines)
Immer wieder stößt man auf Sachen, die einen stutzen lassen. So z. B. die Diskrepanz zwischen offizieller Darstellung und seit längerer Zeit vorgebrachten kritischen Nachfragen bezüglich des Verhältnisses des Generalplanes Ost und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der Generalplan Ost steht für die „Idee“ der Nationalsozialsten, Osteuropa zu „germanisieren“. Dieses monströse Vorhaben, wurde u. a. auch mit Hilfe deutscher Wissenschaftler, Studierender und Hochschulen geplant.
Gerade die Verstrickung einiger zentraler Stellen, so der Einwand, wird in der offiziellen Ausstellung der DFG kaum thematisiert. Für die betroffenen Menschen in den osteuropäischen Ländern, ist dieses Verhalten nicht nachvollziehbar.
Wir, als AG Bildung gegen Rechts, unterstützen das Vorhaben, die vollständige Involviertheit der betroffenen universitären und wissenschaftlichen Einrichtungen aufzuklären. Die Erinnerung an die unglaublich verbrecherischen Pläne der deutschen Nationalsozialisten muss wachgehalten werden.
Anbei der Link zu einem Artikel, der in der blz erschien:
http://www.gew-berlin.de/blz/494.htm
Ansicht des Einladungsflyers DIN A 5 hier:
Eine Gedächnislücke. Vor 70 Jahren startete der
studentische FACHEINSATZ OST
GEW Berlin, blz, berlin, Febr. 2010
Ansicht des Originallayouts (1,5 Seiten)
Link zu blz-Artikel ohne Graphiken hier
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/3462499/deutsche-familie-gibt-raubkunst-russland-zurueck.story
Zuletzt aktualisiert: 09.11.2013 um 13:01 Uhr
125 historische Bücher, die deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg aus Russland geraubt haben, kehren zurück ins Schloss Pawlowsk. Die Familie von der Schulenburg übergibt die Bände am 18. November in Leipzig an Alexej Gusanow, den Hauptkustos des Schlossmuseums, wie der in Frankfurt lebende Erbe Stephan Graf von der Schulenburg sagte.
Der Festakt wird von der Kulturstiftung der Länder organisiert. Anlass ist die vierte Jahrestagung des deutsch-russischen Bibliotheksdialogs. Die Familie bringe die Bücher nach Leipzig, die Kisten würden dann von der russischen Botschaft weitertransportiert, sagte Britta Kaiser-Schuster von der Kulturstiftung der Länder. Darunter ist auch eine 30-bändige Lessing-Ausgabe von 1771, die meisten Bücher aber sind in französischer Sprache.
Deutsche Truppen hatten Tausende Bände aus dem Schloss bei St. Petersburg geraubt. Einige davon bekam der ehemalige Botschafter und spätere Widerstandkämpfer Friedrich Werner Graf von der Schulenburg (1875-1944) geschenkt. Jahrzehntelang lang standen sie in der Bibliothek von Burg Falkenberg in der Oberpfalz, die Schulenburg wiederaufgebaut hatte. Die Bücher wurden mit der Burg weitervererbt.
Durch Recherchen der "Süddeutschen Zeitung"
erfuhr die Familie 2013, woher die Bücher stammten. "Das ist Raubkunst. Das
dürfen wir nicht behalten. Es ist klar, dass diese Dinge unrechtmäßig in
unseren Besitz gelangt sind", beschrieb Stephan Graf von der Schulenburg
damals die Reaktion der Familie.
Foto der Übergabe auf den deutsch-russischen Bibliothekentag in Leipzig, 18.11.2013 hier
die
rbb-Reporter: HART AN DER GRENZE
Dokumentation. Erstausstrahlung 28.01.2014
http://www.rbb-online.de/doku/die_rbb_reporter/beitraege/hart-an-der-grenze.htm/listall=on/print=true.html
Di 28.01.2014 | 20:15 | Die rbb Reporter
Die Kriminalität ist international organisiert, unter arbeitsteiliger Beteiligung ganz unterschiedlicher Herkunftsländer ‑ Deutsche, Polen, Litauer, Russen, arbeiten Hand in Hand und überwinden die nationalen und administrativen Grenzen.
Die Grenzkriminalität ist grenzenlos. Wir zeigen die organisierten Strukturen und die Arbeitsweisen der Banden auf.
Zudem dokumentiert der Film, warum es für die Behörden so schwer ist, Menschen in der Grenzregion vor den negativen Begleiterscheinungen der europäischen Freizügigkeit zu schützen und was mit den gestohlenen Fahrzeugen passiert. Deutsche wie polnische Ermittler stoßen immer wieder an juristische sowie administrative Grenzen, auch weil die Rechtssysteme unterschiedlich sind.
Erstausstrahlung vom 28.01.2014/rbb
Stand vom 06.08.2013
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Zitate im Anspann:
- Deutschland ist ein hervorragender Selbstbedienungsladen, man braucht noch
nicht einmal zu bezahlen“ Ein Landwirt der Agrargenossenschaft/Landgut
Küstrinchen
- „Wir werden es nicht schaffen, ein Land zu kriegen, was völlig ohne Kriminalität darsteht.“Der Ministerpräsiden (oder Innenminister?) Dr. D. Woidke
- „Die Fahrer sind skrupellos, und am Ende muß man sagen: wir sind zu wenig.“ Der Polizist einer Soko im Südosten Brandenburgs
- „Unsere Zusammenarbeit ist rechtlich gar nicht geregelt.“ Ein Brandenburger Polizist, welcher grenznah in Polen ‚hospitiert‘
-„Wir haben hier nur die Spitze vom Eisberg.“ Ein Polizist, welcher intensiv an der Aufklärung von Autodiebstählen arbeitet
Feste Grenzkontrollen:
wurden im Jahr 2007 abgeschafft. Seitdem stieg die Zahl der Pkw-Diebstähle
bis 2011/2012 stark an. Aktuell werden etwa 30 Autos pro Tag in der
Hauptstadregion Berlin-Brandenburg gestohlen. Nur jeder siebente Diebstahl
wird aufgeklärt.
Ein Landwirt aus Künstrinchen: beschreibt den Diebstahl von zwei Traktoren
im Wert von 250.000,- Euro (der siebente Diebstahl). Er ist sehr frustriert,
sieht den Staat in der Verantwortung und befürchtet, dass es in Kürze zu
Lynchjustiz kommen kann/wird, wenn sich nichts ändert.
Das Polizeiabkommen mit
Polen stammt aus dem Jahr 2003 und ist stark veraltet. Polnische Polizisten
können fast nicht in Deutschland und deutsche Polizisten fast nicht in Polen
tätig werden.
Ministerpräsident (MP) Dr. Woidke: empfindet, dass die Stimmung 2011/12 sich
sehr negativ entwickelte, zu kippen drohte und extreme Frustration
herrschte. Will Selbstjustiz gern verhindern. Sieht die einzige Lösung in
einer besseren politischen Zusammenarbeit mit Polen. Es müssen dringlich die
Gesetze, die den Polizeieinsatz regeln, koordiniert werden. Aktuell dürfen
noch nicht einmal die Kameras auf den Grenzbrücken von der deutschen Polizei
ausgewertet werden. Die juristische Verfolgung von Dieben ist extrem
umständlich (Rechtshilfegesuch stellen, Anträge ins Polnische übersetzten…).
Deutsche Polizisten können und dürfen in Polen fast nicht tätig werden. Der
MP sieht die Gründe hierfür in der Geschichte, da der Anblick von deutschen
Uniformierten in Polen sehr reale und schlechte historische Erinnerungen
weckt. Er respektiert dies und kann und will deshalb keinen Druck auf die
polnische Seite ausüben. Der MP hofft, dass die Bundesregierung hilft und
Kontakte herstellt, um das Problem über die politische Ebene dann konkret
gesetzlich- juristisch zu regeln/zu lösen.
Ein Autohändler in Grenznähe hat seinen Glauben in die Polizei und den Staat
vollständig verloren. Er hat schon mehrere 10.000 Euro für Überwachungs- und
Sicherungsmaßnahmen zum Schutz seines Geländes aufgewendet und musste
dennoch weiter Einbrüche und Diebstähle erleben. Pkws der attraktiven Marken
Audi und VW sichert er stets mehrfach.
Ein Kohlenhändler bei Küstrin erzählt, dass er sich selbst auf die Lauer
gelegt hat und einen Einbrecher überraschte, aber dieser dann eine Rechnung
für den Krankentransport schickte, weil er sich bei der Flucht einen
Bluterguß zugezogen hatte (sinngemäß). Die heutigen Gesetze würden mehr die
Kriminellen als die Eigentümer schützen.
Ein Unfallopfer aus Frankfurt/O., M. Werner von der IHK, fragt sich, warum die Brandenburgische Polizei polnische Autodiebe mit Tempo 170 bis 180 bei sehr schlechter Straßenlage verfolgt und damit völlig Unbeteiligte in (Lebens-) Gefahr bringt.
Es sind drei Sonderkommandos mit je 100 Polizisten eingerichtet. Es wird berichtet, dass den Autokriminellen Körperverletzung vollständig egal ist und sich auch Sachschäden an anderen Autos zum Teil bewusst herbeiführen.
Kulturperspektiven
Zwischen Bildungsauftrag und Finanzvorbehalten
Kulturfragen
/ Beitrag vom 02.03.2014
http://www.deutschlandfunk.de/kulturperspektiven-zwischen-bildungsauftrag-und.911.de.html?dram:article_id=278931
Monika Grütters im Gespräch mit Stefan
Koldehoff
Seit 74 Tagen ist die CDU-Politikerin Monika Grütters in der neuen Bundesregierung Staatsministerin für Kultur und Medien. Den Fall Gurlitt nahm sie zum Anlass, Recherchen und Aufarbeitung zur NS-Raubkunst zu forcieren. In den "Kulturfragen" äußerte sich Grütters zu den weiteren Schwerpunkten, die sie in ihrem Amt setzen will. (…)AUSZUG:
Koldehoff: Sie haben eine Aufstockung der Mittel angekündigt, Sie haben angekündigt, bestimmte Institutionen, die sich mit dem Thema befassen, zu konzentrieren, zusammenzulegen. Sie haben aber auch vor allen Dingen gesagt, Sie wollen eine Art Stiftung gründen, die sowohl öffentliche als auch private mögliche Besitzer von NS-Raubkunst ansprechen kann. Welche Idee steckt hinter dieser Stiftung?
Grütters: Tatsächlich ist es ja so, dass wir bis zur Jahrtausendwende, glaube ich, weniger getan haben, als nötig gewesen wäre. Aber es gab 98 diese Washingtoner Konferenz, der sich Deutschland dann mit vielen anderen Ländern angeschlossen hat. Wir haben dann eine gemeinsame Erklärung zwischen Bund und Land gemacht, Handreichung, wie man die Erklärung, die es aus Washington gab, umsetzen kann in Deutschland. Wir haben dann 2008 die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche gegründet, in der Wissenschaftler und Profis Museen auf Anfrage helfen, ihre Bestände zu sichten und auch Restitutionsfragen, auch komplexe juristische Fragen zu beantworten. Es gibt die Limbach-Kommission, die als beratende Kommission in Streitfällen zu einer gerechten und fairen Lösung verhelfen soll, es gibt die Lost-Art-Datenbank in Magdeburg, die Koordinierungsstelle dort. All das ist viel, aber noch lange nicht genug, sondern kann gerade erst mal einen Rückenwind geben für verstärkte Anstrengungen.
Wir müssen auch zu einem Bewusstseinswandel bei den Museen und bei Privatleuten auch beitragen durch das öffentliche Diskutieren dieser Situation. Und wir haben den Eindruck durch den spektakulären Fall Gurlitt, dass etwas fehlt. Erstens eine konzentrierte Darstellung all dieser Aktivitäten, die es ja schon gibt, zweitens aber natürlich auch eine vernünftige Öffentlichkeitsarbeit. Es geht dabei um heikle, politisch schwierige, moralisch belastete Themen und natürlich um komplexe juristische Zusammenhänge, da fehlt auch ein Ansprechpartner, viele fühlen sich unwohl, wenn sie angefragt werden und darüber Auskunft geben sollen. Deshalb möchten wir die Anstrengung schneller, transparenter und effektiver machen und glauben, dass es Sinn macht, eine Dachorganisation zu gründen.
Mir ist wichtig, dass das in Form einer Stiftung passiert, weil dadurch eine größtmögliche Unabhängigkeit von dem öffentlichen Auftraggeber transportiert wird, weil es Aufsichtsformen gibt, in denen hauptsächlich Fachleute und Unterstützer dieser Initiative drin sind und nicht nur eine behördliche Aufsicht passiert. Deshalb soll in Magdeburg, wo es die Koordinierungsstelle und die Lost-Art-Datenbank schon gibt, diese Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, German Lost Art Foundation geben. Und zwar, wenn es geht, über eine Stiftungsgründung im Sommer dann, dass es Ende des Jahres bereits auch etabliert ist. Und diese Stiftung soll vor allen Dingen die ganzen Aktivitäten bündeln, Provenienzforschung, Dokumentation, Restitution unter einem Dach. Wir wollen Bund, Länder und Kommunen einbeziehen, es soll auch möglich sein, über die in der SBZ und in der DDR verloren gegangenen Kulturgute zu sprechen und sie aufzuarbeiten, wir möchten, dass die Forschungsstelle Entartete Kunst, die im Moment, auf private Initiative gegründet vor zehn Jahren, dann auch dort unter dieses Dach kommt, wir werden mehrere Wissenschaftlerstellen dort finanzieren, damit sie auch vom Staat jetzt anerkannt wird.
Koldehoff: Wer kann sich an diese Stiftung dann wenden?
Grütters: Daran sollen sich Museen und öffentliche Stellen natürlich wenden können, wo immer wieder Anfragen dieser Art eingehen, wir haben aber auch die Hoffnung – und es ist das ausdrückliche Angebot, das wird noch deutlich zu kommunizieren sein –, dass auch Private diese Anlaufstelle dann für sich in Anspruch nehmen. Weil da natürlich ein Bewusstseinswandel oder zumindest eine Bewusstseinsschärfung noch nötig ist, das hat man an diesem Privatfall Gurlitt jetzt gesehen. Wir wissen nicht, wie viele Bestände dieser Art es in vergleichbaren privaten Zusammenhängen gibt, aber vermuten kann man, dass das kein Einzelfall ist. Es gibt immer wieder Anrufe bei der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche mit der Bitte um Diskretion, sich die eigenen privaten Bestände anzusehen, und ich hoffe, dass das als Ermutigung verstanden wird, dass wir jetzt eine solche zentrale Anlaufstelle, eine Stiftung bürgerlichen Rechts deshalb extra gründen.
Koldehoff: Und wenn sich nun ein Privatmensch an diese Arbeitsstelle wenden würde und sagt, wir haben da seit vielen Jahrzehnten einen Max Liebermann über dem Sofa hängen und eigentlich wissen wir gar nicht so richtig, wo der herkommt, dann würde der auch Hilfe bekommen?
Grütters: Der würde Hilfe bekommen durch die Provenienzrechercheure, die das hoffentlich lückenlos nachverfolgen können. Und man kann dann Angebote machen, wie man mit einem solchen Befund umgeht. Wenn es jemanden gibt, dem man das eigentlich zurückgeben müsste, und diese Person oder die Nachfahren wären identifizierbar, kann man über faire und gerechte Vergleiche ja sprechen. Es geht nicht immer nur um materiellen Ausgleich, sondern vor allen Dingen uns darum, Opferbiografien auf der anderen Seite anzuerkennen, auch 70 Jahre danach, über die Brüche, über das Leid, über das Unglück zu sprechen, das diese Familien erlitten haben. Und die Erfahrung zeigt auch, dass viele Fälle diskret geregelt werden, weil es in der Tat gar nicht das Interesse der Anspruchsteller ist, ein Bild wieder zurückzubekommen oder viel Geld, sondern dass sie tatsächlich in ihrer Biografie anerkannt werden möchten. Und dann ist der finanzielle Ausgleich in der Regel machbar. (…)
TOP STORIES
/
Germany
Holocaust
Reinhard Strecker, the man who exposed
German judiciary's Nazi past
http://www.dw.de/reinhard-strecker-the-man-who-exposed-german-judiciarys-nazi-past/a-18203836
Reinhard Strecker lives a quiet life now - but he was once feared by ex-Nazis who became top judges and prosecutors in postwar Germany. Ben Knight meets the man who uncovered the German judiciary's Nazi past.
Sitting in prison in Jerusalem in 1961, Adolf Eichmann got hold of a book which he hoped would get him off the hook. The man who was to be executed the following year for coordinating the Holocaust was lucky to get his hands on a copy of this new paperback, seeing as the West German government had tried to suppress it.
Apart from an introduction and some explanatory captions, the book was little more than a collection of legal files, photographs, and newspaper clippings from the archives of the Third Reich. But all the documents related to one man, Hans Globke, who in 1961 was one of the most important civil servants in the West German government, state secretary and senior advisor to Chancellor Konrad Adenauer.
Entitled "Dr. Hans Globke - File Extracts and Documents," the book showed that Globke had helped draft some of Germany's anti-Semitic laws in the early 1930s - even before Adolf Hitler's accession to power - and had later been one of Eichmann's most important officials, with a brief that spread across several departments in Hitler's government. Now the book was a last straw for Eichmann to clutch at, and with its help he wrote 30 pages for his defense attorney, detailing his relations with Globke and attempting to prove that the civil servant had more authority than he ever did. He failed, but the book had struck several nerves, provoking defensive statements from Adenauer and, supposedly, threats against the publisher from the German intelligence agency the BND.
Careers continued
Its
author was Reinhard Strecker, a fierce archiver and campaigner whose work
caused many sweaty palms among top West German officials in the 1950s and
1960s. For as he wrote in the introduction, "Globke is no unique case." In
spring 1960, Strecker filed charges against 49 former judges who had
actively participated in the Nazi regime and continued serving in West
Germany. In the same year he displayed his research in an exhibition - 105
ring-binders of laboriously photographed files laid out in the back room of
a student bar in Karlsruhe. "It was completely improvised - but it was
totally packed out," remembers Strecker. And its impact was seismic.
The exhibition, called Ungesühnte Nazijustiz ("Unpunished Nazi Judiciary"), grew and toured a number of universities across the country, causing rows between students and faculties, and attracting national and international media. The exhibition was tailored to each city in which it was displayed, highlighting local state prosecutors and judges. ("After all, there was someone with a past everywhere," Strecker once said.)
Strecker, who often found himself locked out of German archives, got help first from Warsaw, which gave him full access to Polish state archives, and then from Britain, where a handful of MPs invited him to speak to an all-party committee in the British parliament. He also travelled to Jerusalem to be one of the few non-Jewish historical and legal experts invited by the Knesset to help prepare cases against Nazi war criminals.
In addition to
causing much embarrassment to the Adenauer administration, and not a few
quiet early retirements of judges and state attorneys, Strecker's work
ultimately fed into the intergenerational tension that was gathering pace in
Germany in the 1960s, which would culminate in the 1968 student
movement.
http://www.faz.net/aktuell/politik/70-jahre-kriegsende/brd-will-sowjetischen-kriegsgefangenen-entschaedigung-zahlen-13602533.html?fb_action_ids=1033821246629510&fb_action_types=og.shares
Mittwoch, 20. Mai 2015
Die große Koalition in Berlin will den überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs eine Entschädigung zahlen. Angesichts aktueller Krisen ist die Entscheidung von hohem symbolischen Wert.
Die große Koalition will den überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs eine Entschädigung für ihr Leid zahlen. Die Haushälter von CDU/CSU und SPD hätten dafür im Nachtragshaushalt zehn Millionen Euro eingestellt, hieß es an diesem Mittwoch aus Koalitionskreisen. Auch die Zustimmung der Grünen wird erwartet. Der Beschluss zu dieser Wiedergutmachungsleistung hat auch angesichts der Spannungen zwischen dem Westen und Russland wegen der Ukraine-Krise eine hohe symbolische politische Bedeutung.
Bundespräsident Joachim Gauck hatte beim Gedenken an den 70. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges ausdrücklich den Beitrag der sowjetischen Soldaten zur Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur gewürdigt. Er hatte zudem die deutsche Verantwortung dafür betont, dass in Gefangenschaft mehr als die Hälfte der rund 5,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen gestorben sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier waren trotz der Differenzen mit Russland in der Ukraine-Krise nach Russland geflogen, um dort an die Kriegsopfer und die deutsche Verantwortung zu erinnern.
Die Zahl von zehn Millionen Euro orientiert sich an der Schätzung, dass es noch 4000 Überlebende gibt. Diesen könnte dann je 2500 Euro ausgezahlt werden.
Quelle: Reuters
Roland
Köhler (12.11.1928 – 04.08.2014)
Im August 2014 ist der Ehrenvorsitzende des Vereins zur Völkerverständigung
mit MSOE, Prof. Dr. Roland Köhler aus Berlin-Friedrichshain verstorben. Wir
trauern um ihn.
Roland Köhler war ein Symbol für Offenheit, Neugier und Freundlichkeit. Aus
dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen kommend,
setzte er wichtige Impulse für die Beziehungen zu Polen. Er lernte noch im
vorgerückten Alter Polnisch, verbrachte mehrere Camping-Urlaube in
Südost-Polen, um die Menschen vor Ort kennenzulernen und berichtete später
im Gesprächskreis Universitätsgeschichte der Humboldt-Universität darüber.
Er übersetzte die Publikation von Henryk Kajtel: das Hitlersche
Umsiedlungslager in Zamość
(2003) aus dem Polnischen (2006) und bereicherte so nachhaltig wichtige
Begegnungen und Gedenkveranstaltungen in Berlin und Südost-Polen. Sein
Andenken sei zum Segen.
Der Vorstand.
Wenn Russland aus der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates austritt...
Ostinstitut Wismar, April 2014
http://www.ostinstitut.de/de/news/aktuelles/news_ansicht/d/wenn_russland_aus_der_parlamentarischen_versammlung_des_europarates_austritt
Am 10.04.2014 hat eine Plenarsitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg stattgefunden. Der Parlamentarischen Versammlung gehören 318 Abgeordneten aus den 47 Mitgliedsländern an, darunter 18 aus der Russischen Föderation. Die Parlamentarier haben in dieser Sitzung über den Antrag abgestimmt, Russland bis Ende des Jahres das Stimmrecht bzw. die andere wesentliche Mitgliedschaftsrechte zu entziehen.Unter anderem ist auch vorgeschlagen worden, Russland ganz aus dem Gremium auszuschließen.
Der Vorsitzende der russischen Delegation Alexej Puschkov erklärte, dass Russland bereit sei, selbst aus dem Gremium auszutreten, falls die Versammlung Sanktionen gegen die russische Delegation beschließe. Einige Politiker in Russland sind sogar der Ansicht, dass der Beitritt in den Europarat im Jahr 1996 ein Fehler gewesen sei. Eine Entscheidung steht allerdings von russischer Seite noch aus.
Alexej Puschkov hat zwar unterstrichen, dass Russland auch im Falle des Austritts seine Verpflichtungen, die mit der Mitgliedschaft im Europarat verbunden sind, erfüllen werde. Russische Menschenrechtler sind jedoch besorgt. Mit ihrem Resolutionen, Monitoring-Gruppen und Sonderberichterstattern wirkt die Parlamentarische Versammlung auf die Situation in Russland ein. Sie stellt einen wichtigen Hebel dar, um Russland zu beeinflussen. Hierbei spielt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine große Rolle im Hinblick auf einen wirksamen Einfluss auf Russland. Denn der Gerichtshof ist die letzte Hoffnung für Menschen, die vor russischen Gerichten kein Recht bekommen. Solange Russland noch Mitglied des Europarates ist, sind Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bindend. Mit Stand vom 31.03.2014 sind im Gerichtshof rund 14.000 Beschwerden gegen die Russische Föderation anhängig. Es sind 14 % aller Beschwerden, über die der Gerichtshof zu entscheiden hat.
Wenn Russland aus dem Europarat austreten würde, würden die Urteile des Gerichtshofs ihre Wirkung für Russland verlieren. Es ist im übrigen nicht zu vernachlässigen, dass Russland im Züge des Beitritts zum Europarat ein Moratorium auf die Anwendung der Todesstrafe eingeführt hat (entgegen der öffentlichen Meinung). Am wichtigsten ist jedoch, dass die Parlamentarische Versammlung eine ideale Plattform zum Dialog und Meinungsaustausch ist. Der Verlust dieser Möglichkeit wäre für die Zusammenarbeit und insbesondere für die Lösung der Ukraine-Krise kontraproduktiv.
Fotoquelle: www.Gazeta.ru
Heute-journal Sendung, zdf, 19.06.2015
Schaden uns die
Russland-Sanktionen?
Tja, der eine hat kein Geld, der andere hat Sanktionen am Hals. Wobei
Putin sagt: „Mit den Sanktionen schadet ihr euch doch nur selbst!“ Damit hat
er natürlich nicht ganz unrecht. Wie groß der wirtschaftliche Schaden für
Europa sein wird, dafür gibt es ganz unterschiedliche Berechnungen, mit
teils horrenden Zahlen. Die Europäische Union hingegen meint, dass die
Auswirkungen überschaubar sein werden. Nun ist das natürlich auch
Definitionsfrage, was man für überschaubar hält, Länder und Branchen sind ja
unterschiedlich betroffen, was unter dem Strich nicht besonders schlimm
aussieht, kann für einzelne Regionen sehr wohl schlimm sein. Z.B. in MV, das
historisch enge Beziehungen zu Russland hat. Silvia Blessmann berichtet:
Bio-Puten aus Mecklenburg. Ihr Fleisch gehört zu den wenigen Produkten, die
trotz Einfuhrverbot für EU-Lebensmittel noch nach Russland gelangen. Mit
seinen freilaufenden Waldputen hat sich Armin Kremer ein Nischenprodukt
aufgebaut, mit dem er bislang in Russland noch punkten kann bei Produzenten
von Babynahrung. „In dem Segment aktuell denken wir, dass wir die einzigen
sind, die das noch machen können. Und jeder hofft natürlich drauf, dass es
irgendwie vorangeht und weitergeht, aber dass andere Länder in den
Startlöchern stehen und auch jetzt schon liefern, das ist bekannt. Und wenn
wir weiter in Europa uns abschneiden und abnabeln vom Markt, das kann
eigentlich nur negativ sein für uns. [Mecklenburger Landpute GmbH] In MV ist
letztes Jahre fast die Hälfte des Handels mit dem traditionellen
Wirtschaftspartner im Osten eingebrochen. Viele Firmen aus der
Lebensmittelbranche müssen nach neuen Märkten suchen. Die deutsche
Wirtschaft exportiert in alle Welt, nicht einmal drei Prozent der Waren
gehen nach Russland. Dennoch hat das Embargo vor allem im Maschinenbau tiefe
Spuren hinterlassen. Auf dem Wirtschaftsgipfel in St. Petersburg suchen
deutsche Unternehmer nach wie vor den Dialog mit ihren russischen Partnern,
trotz anhaltender Erosion von gegenseitigem Vertrauen.
E. Cordes, Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft: „ Wir haben noch eine
hohe Kredibilität, was das Thema Wirtschaft betrifft hier in Russland, wenn
aber diese Situation noch längere Zeit und lange Zeit andauert, dann werden
wir signifikante Schäden davontragen.
Mit einem russischen Eigentümer haben die Werftarbeiter an der Ostsee auch
auf Bestellungen aus Russland gesetzt. Aber die Kräne stehen still. Seit der
Eiszeit in den deutsch-russischen Beziehungen wurden nur zwei eisbrechende
Bergungsschiffe gebaut. Es gibt keine neuen Aufträge.
Erwin Sellering, Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern : „Wir müssen
möglichst bald zu vernünftigen Verhältnissen zurückkehren, und dieses, was
im Moment so aussieht wie ein neuer kalter Krieg, das
wäre verheerend für unsere Länder.“
Bedrohlich wirken sie noch immer, riesige Reaktorblöcke, in der
russischen Arktis, Reste von Atom-U-Booten. Spezialisten aus MV bauten bei
Murmansk ein Endlager für den radioaktiven Militärmüll. Der einstige Stolz
der Nordmeer-Flotte dümpelte nach dem Zusammenbruch der SU im eisigen
Polarmeer, bis Spezialisten aus Lubmin mit der Verschrottung der
verstrahlten Flotte begannen.
Henry Cordes, Geschäftsführer Energiewerke Nord: „Wir würden uns sehr
wünschen, dass das Vertrauen, das in diesem Projekt gewachsen ist, auch in
anderen Projekten, insbesondere auch für das deutsch-russische Verhältnis
Eingang finden könnte“. Nach der Übergabe der Russen im Sommer hoffen sie
auf Folgeaufträge. Denn in MV gibt es nicht mehr viele gutbezahlte Jobs.
Wieviel Arbeitsplätze bislang durch die Sanktionen bisher verloren gingen,
kann niemand genau beziffern.
http://www.jungewelt.de/2015/08-10/010.php
Von Sabine Lueken[Foto aus der Ausstellung] Durfte seine Karriere nach '45 fortsetzen: Konrad Meyer, Universitätsprofessor und Mitverfasser des »Generalplans Ost« Foto: Stiftung Topographie des Terrors |
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die zentrale Organisation zur Förderung wissenschaftlicher Forschung in Deutschland, hat 2006 eine kleine Ausstellung erarbeiten lassen. »Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten« hieß die. Auch die Rolle der DFG in der Nazizeit wird in ihr thematisiert. Aber auf eine Art, dass Kritik nicht ausblieb. Doch geändert hat sich nichts. Nach einer Tour durch 18 deutsche Städte und Gedenkstätten und einige polnische ist sie jetzt in unveränderter Form bis August in der Berliner »Topographie des Terrors« zu sehen.
Der »Generalplan Ost« war ein gigantomanisches Umsiedlungs- und Bevölkerungsprogramm für Europa. Die jüdische Bevölkerung, die in den von Hitlerdeutschland eroberten »Ostgebiete« lebte, sollte unterschiedslos ermordet werden. Slawen sollten hingegen selektiert und dann entweder versklavt, umgebracht oder »eingedeutscht« und zu niederen Arbeiten herangezogen werden. Auch im faschistischen Deutschland sollten nach den Vorstellungen der Wissenschaftler Strukturreformen vorgenommen werden: Die »ländlichen Klein- und Kümmerbetriebe« wollte man zu effizienten Großbetrieben zusammengelegt. Die so freigesetzten Menschen sowie die überall zusammenzuholenden »volksdeutschen« Umsiedler sollten in den eroberten Räumen im Osten angesiedelt werden.
Maßgebender Verfasser des »Generalplans Ost« war der Agrarwissenschaftler Konrad Meyer. Der war zudem Universitätsprofessor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, hoher SS-Führer und Multifunktionär in diversen NS-Institutionen. So leitete er etwa seit 1939 die Hauptabteilung Planung und Boden des »Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums im Osten« (RKF), Heinrich Himmler.
Meyer – wie auch andere beteiligte Wissenschaftler – wurden später in Nürnberg freigesprochen. Nach dem Krieg konnten sie ihre Karrieren nahtlos fortsetzen. Sie prägten die deutsche Universitätslandschaft bis in die späten 60er Jahre, ihre Veröffentlichungen wurden zu Standardwerken der »Politikberatung«.
Bereits seit den 1920er Jahren finanzierte die »Forschungsgemeinschaft«, wie die DFG unter den Nazis hieß, Arbeiten, die sich den »Konturen eines deutschen »Volks- und Kulturbodens« widmeten. Der sollte sich bis zur Krim und Ukraine ausdehnen.
Meyers 100seitige Langfassung des Plans vom Mai 1942 sah vor, das eroberte Polen möglichst schnell zu »germanisieren« und dann innerhalb von 25 Jahren drei »Siedlungsmarken« zu errichten, die Krim (»Gotengau«), das Gebiet um Leningrad (»Ingermanland«) und Westlitauen/Bialystok (»Memel- und Narwagebiet«). Weitere »Siedlungsstützpunkte« bis zum Ural sollten folgen. Er schreibt: »Im Ingermanland wurde die künftige Stadtbevölkerung mit 200.000 (1939: 3.200.000) angenommen.« Doch zu lesen ist das in der Ausstellung nicht. »Der Generalplan Ost wurde nie Realität,« heißt es in der Schau. Tatsächlich wurden neben der »Germanisierung« der Region Zamosc (»Himmlerstadt«) auch die Pläne für das »Ingermanland« mit der Belagerung und Aushungerung Leningrads teilweise umgesetzt.
Diese Information über den »Generalplan Ost« fehlt auch auf der Gedenkstele vor dem Haus Kurfürstendamm 140–143, in dem sich seit 1939 der Stab des RKF befand. Dort wurde der Plan entwickelt. Der Agrarwissenschaftler Matthias Burchard, der sich seit Jahren für die angemessene Aufarbeitung der verbrecherischen »Ostraumpolitik« der Nazis einsetzt, will den offiziellen Infotext entsprechend geändert wissen. Ebenso einen zugehörigen Kartenausschnitt. Auch der »Verein zur Völkerverständigung mit Mittel-, Süd- und Osteuropa« kämpft darum. Doch schon bei der Konzeption der Stele haperte es. Da bezog die zuständige Gedenktafelkommission lediglich die polnische Botschaft ein, nicht aber die russische. So geht es auch heute weiter: Burchards Vorschlag, die Ausstellung mit einer kritischen Führung zu begleiten, wurde von der »Topographie des Terrors« abgelehnt.
»Wissenschaft – Planung –
Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten«, Topographie des
Terrors, Niederkirchnerstr. 8, Berlin, bis zum 30. August kostenlos
besuchbar
NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) zur internationalen Gedenkstätte Stalag 326: Unüberhörbarer Appell, Westfälische Rundschau 8.10.20
http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/PB2020/Westfbl20201008stukenbrock.pdf
Bundestag stärkt Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs, Bericht vom 9.10.2020
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-de-opfer-nationalsozialismus-797436
Bundestag stärkt das Gedenken, Video-Plenardebatte 9. Oktober 2020
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw41-de-opfer-nationalsozialismus-797436
Pläne für Gedenkstätte: Späte Würde für sowjetische Kriegsgefangene. F.A.Z., 19. Okt. 2020
Bundestag will Gedenkort in Berlin für polnische Weltkriegsopfer, Bericht, 30. Okt. 2020
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw44-de-deutsch-polnische-geschichte-798198
Bundestag stärkt Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs, Video-Plenardebatte 30. 10.2020
Versöhnung: In Berlin soll ein Ort des Gedenkens und der Begegnung zur deutsch-polnischen Geschichte entstehen, Das Parlament Nr. 45 / 02.11.2020
https://www.das-parlament.de/2020/45/kultur_und_bildung/802852-802852
Geplanter Polen-Gedenkort in Berlin: Hoffnung für deutsch-polnische Beziehungen, DLF 26.01.2021
Iranischer Diplomat in Belgien [nur] wegen Anschlagplanung zu 20 Jahren Haft verurteilt, Brüssel, 4.02.2021
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